Uni Frankfurt: „Wer freiwillig hilft, bekommt das angerechnet“

Viele Medizinstudierende wollen helfen, das Gesundheitssystem in der COVID-19-Pandemie zu stützen. Allein in Frankfurt haben sich schon mehr als 1.000 Freiwillige gemeldet, berichtet Fachschaftssprecher Alexander Sanchez im Interview. Das Besondere: Sie bekommen ihren Einsatz für ihr Studium angerechnet.

Alexander Sanchez ist Sprecher der Frankfurter Mediziner-Fachschaft. | privat

Alexander, viele Studierende wollen gern helfen, die COVID-19-Pandemie zu bewältigen. Was tut sich da gerade in Frankfurt zu dem Thema?

Alexander Sanchez: Wir von der Fachschaft sind gerade dabei, mit dem Dekanat an einer Lösung zu arbeiten, wie die ganzen Blockpraktika, Pflegepraktika, Famulaturen und andere Studienleistungen, die im Moment ausfallen, ersetzt werden können. Wir wollen eine Möglichkeit schaffen, wie die Studierenden in das Management dieser Krise eingebunden werden können. Wir werden bei der Patientenversorgung, aber auch bei logistischen Aufgaben eingesetzt. Und dafür bekommen die Studierenden dann eine Bescheinigung über die Studienleistungen, die sie sich anrechnen lassen können. Frankfurt ist die erste Uni, die das macht. Auch andere Unikliniken setzen Studierende zur Unterstützung des medizinischen Personals ein, allerdings sind wir die ersten, die dafür sorgen, dass die Studierenden dabei nicht auf der Strecke bleiben, weil ihre Praktika und Kurse nicht stattfinden.

Wie funktioniert das konkret?

Alexander Sanchez: Wer beispielsweise im Blutspendedienst hilft, wo die Corona-Testungen durchgeführt werden, der kann sich das für verschiedene Blockpraktika anrechnen lassen. Andere Bereiche sind gerade noch im Aufbau. Da werden sich in der nächsten Zeit weitere Abteilungen melden, die Unterstützung gebrauchen können. Ich bin froh, dass wir eine so gute Lösung gefunden haben. Viele gehen für Famulaturen oder das PJ ins Ausland, auch in Entwicklungsländer. Dort lernen sie ganz andere medizinische Standards kennen und bekommen dafür ebenfalls eine Äquivalenzbescheinigung. Es ist also nur fair, wenn das auch für diesen Fall gilt. Ich bin überzeugt, dass die Erfahrungen, die man im Rahmen dieser Einsätze macht, sehr wertvoll und dementsprechend als äquivalent zu betrachten sind. Mit Sicherheit ist die Mitarbeit an der Bewältigung einer derartigen Ausnahmesituation eine lehrreiche Herausforderung. Das ist die größte medizinische Krise in Europa seit einer sehr langen Zeit.

Wie kommt das bei den Studierenden an?

Alexander Sanchez: Inzwischen haben sich schon mehr als 1.050 Studierende angemeldet. Man merkt, dass die Motivation sehr groß ist. Die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ist immer dann besonders beeindruckend, wenn sie wirklich nötig ist. Plötzlich ist man doch Teil von etwas Größerem. Das ist ein überwältigendes Gefühl. Aktuell findet ja sonst gar nichts statt – weder Kurse noch Prüfungen. Viele haben also auch die Zeit, sich zu engagieren.

Wie erlebst Du die Stimmung unter den Studierenden?

Alexander Sanchez: Einerseits nehme ich einen starken Willen zu helfen wahr. Die Studierenden, die ich schon angerufen habe, haben sich alle bedankt, dass wir das in dieser Form organisieren, und sind froh, dass sie etwas tun können. Andererseits gibt es aber auch eine große Unsicherheit, was die abgebrochenen oder abgesagten Famulaturen etc. angeht. Dazu sind in den vergangenen Tagen etliche hundert Nachrichten auf uns eingeprasselt. Die konnten wir noch gar nicht alle beantworten, weil auch zunächst nicht klar war, wie eine Lösung aussehen kann. Aber ich denke, wir haben jetzt eine hervorragende Lösung gefunden.

Viele Medizinstudierende helfen tatkräftig mit, die Folgen der COVID-19-Pandemie zu bewältigen. Was sie leisten und welche Unterstützung sie sich wünschen, berichtet Tim Schwarz, Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) im Interview.

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Wie läuft die Organisation?

Alexander Sanchez: Niemand hat ja damit gerechnet, dass so etwas passieren würde. Daher sind wir auch aktuell noch mit dem Aufbau der Organisation beschäftigt. In den nächsten Tagen werden alle, die sich freiwillig gemeldet haben, angerufen und auf verschiedene Aufgaben verteilt. Ich bin  zuversichtlich, weil wir gemeinsam mit dem Dekanat an einem Strang ziehen. Bei unserem Online-Tool, in dem man sich auch für unsere regulären Kurse anmeldet, gibt es jetzt das Wahlfach „COVID-19“. Die Studierenden melden sich einfach an und tragen zugleich alle möglichen Qualifikationen ein, aber auch, welche Studienleistung sie bescheinigt bekommen möchten. Danach richtet sich, wer welche Aufgabe zugewiesen bekommt. Wer logistische Aufgaben übernimmt, kann dafür schlecht ein Krankenpflegepraktikum bescheinigt bekommen. Das lässt sich über das Online-Tool leicht abfragen.

Wie sieht es mit der Versicherung aus?

Alexander Sanchez: Dadurch, dass wir die Hilfe als Wahlfach anbieten, sind auch die versicherungsrechtlichen Fragen geklärt. Da es eine Lehrveranstaltung der Uni ist, sind die Studierenden ganz normal versichert wie bei anderen Kursen auch. Und wir möchten hier auch den Marburger Bund loben: Die haben den aushelfenden Studierenden eine kostenlose Berufshaftpflicht-Versicherung zugesichert.

Ist das auch ein Modell für andere Unis?

Alexander Sanchez: Es gab Stimmen – auch von anderen medizinischen Fakultäten – die erstmal abwarten wollten, wie das hessische Landesprüfungsamt reagiert. Aber meiner Meinung nach ist es besser, selbst intern aktiv zu werden. Medizinische Fakultäten an anderen Unis blicken gerade etwas neidisch auf uns, weil wir dieses Programm umsetzen. Aber sie können sich das auch zum Vorbild nehmen und ähnliche Programme ins Leben rufen. Wir haben bereits Nachrichten von Medizinstudierenden anderer Universitäten bekommen, die uns bitten, unser Programm bei ihnen umzusetzen. Das ist natürlich nicht möglich, aber wir stehen gerne zumindest beratend zur Seite.

Wie nimmst Du die Atmosphäre an der Frankfurter Uniklinik aktuell wahr?

Alexander Sanchez: Aktuell mache ich noch eine Famulatur in einer Notaufnahme eines Lehrkrankenhauses hier in Frankfurt. Da das eine Unfallchirurgische Klinik ist, merkt man von Corona da aktuell noch nicht viel. Direkt im Anschluss fahre ich aber immer ans Uniklinikum, weil es da etliche Sachen zu organisieren gibt. An der Uniklinik ist das Haupthaus inzwischen gesperrt. Das ist das, was dann irgendwann mal in den nächsten Tagen oder Wochen das Corona-Haus werden soll.  Der Zugang zu diesem Gebäude ist bereits stark eingeschränkt. Besucher kommen gar nicht mehr rein. Außerdem tragen alle, die zum Personal gehören und sich auf dem Klinikgelände aufhalten, eine Kombination aus Kopfhaube und Mundschutz. Das habe ich zumindest an den anderen Frankfurter Kliniken bisher nicht gesehen. Sonst kann man die Situation hier am besten mit „Die Ruhe vor dem Sturm“ beschreiben. Im Moment hält sich die Fallzahl noch in Grenzen. Nichtsdestotrotz arbeiten wir auf Hochtouren, um auf Schlimmeres vorbereitet zu sein.

Abschließend möchte ich mich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Dekanat rund um den Studiendekan Prof. Robert Sader bedanken. Denn diese ist die Grundlage dafür, dass wir alle diese Krise gemeinsam bestmöglich überstehen können.

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