Second Victim: Wenn ein Arzt einen Fehler macht

Prof. Dr. David Schwappach, Wissenschaftlicher Leiter Stiftung Patientensicherheit (Zürich), stellt die Krisensituation eines Arztes, dem ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, dar, und gibt Tipps für den Umgang mit dem betroffenen Kollegen.

Depressiver Arzt

Ein Behandlungsfehler kann passieren. Dann muss auch den Second Victims geholfen werden. | Corbisrffancy - Fotolia

Bei einem psychosozialen Notfall in der Klinik gibt es drei „Ebenen“ von Opfern: Die First Victims sind die Patienten, die aufgrund eines Behandlungsfehlers einen Schaden erleiden, sowie deren Angehörige. Es muss sich nicht immer um tödliche Irrtümer handeln: alleine wenn eine Untersuchung wiederholt werden muss, oder der Patienten durch einen Fehler länger im Krankenhaus bleiben muss, sind dies negative Umstände. Die Gruppe der Second Victims sind die Ärzte, die Fehler gemacht haben, und alle beteiligten Personen, beispielsweise das OP-Personal. Als Third Victims werden diejenigen bezeichnet, die indirekt betroffen sind, zum Beispiel die gesamte Klinik, an der der Fehler passiert ist, da es bei entsprechender öffentlicher Aufmerksamkeit zu einem Reputationsverlust kommen kann. „Gravierende Fehler mit entsprechenden Folgen brennen sich in das Gedächtnis der Leute ein, man merkt das deutlich an der Atmosphäre in der jeweiligen Klinik“, sagte Schwappach.

Meist werde von allen direkt oder indirekt Beteiligten sehr passiv mit einem solchen Fehler umgegangen, dabei beeindrucke und beeinflusse auch ein „beinahe-Fehler“ die Betroffenen bereits nachhaltig. Nicht darüber zu reden, sei also die falsche Lösung. Aus seiner eigenen Erfahrung erzählte Schwappach, viele Betroffene hätten einige Zeit später gesagt „Ich hätte mir gewünscht, dass irgendjemand mit mir redet“.

Spritze

Noch kein Arzt, aber schon ärztlich tätig – für viele ist das PJ eine rechtliche Grauzone. Doch auch Studierende haften für Schäden, die sie durch Sorgfalt hätten vermeiden können.

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Prof. Dr. David Schwappach„Potenziell kann jeder ein Second Victim werden, etwa 50 Prozent aller Ärzte erleben im Laufe ihrer Karriere eine solche Krisenphase“, hielt Schwappach fest. Im Moment des Realisierens löse ein solcher Fehler ein emotionales Gefühlschaos aus. Das Spektrum beinhalte Angst, Wut, Isolation, Schuld uvm. Messbare Auswirkungen und Beeinträchtigungen der eigenen Lebensqualität seien Schlaflosigkeit, Angst vor zukünftigen Fehlern und eine generelle Unsicherheit im Job. „Das ist ein riesiger Gefühlsberg, über den leider viel zu wenig gesprochen wird“, sagte Schwappach. Betroffene müssen über die Situation reden und auch darüber, was dieses Problem mit ihnen macht bzw. in ihnen auslöst. Unverarbeitete Situationen, die bereits lange vorbei sind, brennen sich ins Gedächtnis ein und können immer wieder hochkommen. Ärzte in dieser Spirale haben ein deutlich erhöhtes Risiko, erneut Fehler zu machen. Ein Klinikwechsel oder sogar die Aufgabe des Berufes sei in vielen Fällen die Konsequenz.

Eine kurze Auszeit von der klinischen Tätigkeit, um sich zu sammeln, sei eine erste Option nach einem einschneidenden Erlebnis. Gespräche mit Kollegen und Freunden seien ebenfalls dringend empfehlenswert. Ziele dieser Gespräche können die Bestätigung der fachlichen Kompetenz, die Rekapitulation der getroffenen Entscheidungen und die Bekräftigung des professionellen Selbstwertgefühls sein.

Auch ein Medizinstudent befindet sich während der klinischen Phasen des Studiums, wie zum Beispiel im Praktischen Jahr, nicht in einem rechtsfreien Raum. Passiert ein Fehler, wird dieser genau so untersucht, wie bei erfahrenen Ärzten und beim Vorliegen fahrlässigen Handelns o.ä. auch bestraft (s. Verweis oben).

Quelle: Schwappach, Prof. Dr. David: "Second Victim - das Trauma des Arztes nach dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers" auf der 122. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 9. bis 12. April 2016, Mannheim.

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