Kampf auf den Stationen – Teamwork in Krankenhäusern auf dem Prüfstand

Wieso kracht es so häufig zwischen Ärzten und Pflegern? Bringen Arztassistenten Entlastung? Auf dem Gesundheitskongress des Westens 2016 nahmen die Referentinnen der Session „Kampf auf den Stationen – Konflikte statt Teamwork?“ Leitungsmodelle und Arbeitsteilung in deutschen Kliniken kritisch unter die Lupe.

Arztteam

Braucht es in deutschen Kliniken Arztassistenten als Bindeglied zwischen Arzt und Pflege? | kzenon/Fotolia

Es piepst überall, der Patient droht zu dekompensieren. Es muss schnell gehen, jeder Handgriff muss sitzen. Aber als Anästhesistin im OP zu arbeiten heißt nicht nur den Beatmungsbeutel zu drücken, wenn der Unfallchirurg versehentlich eine Arterie angeritzt hat. Blutgerinnungsmedikamente oder Analgetika verabreichen, einen Katheter oder eine Periduralanästhesie (PDA) zur Geburtsvorbereitung legen … Der Arbeitsalltag von Dr. Katharina Feige, Assistenzärztin Anästhesie und Intensivmedizin am St. Vinzenz-Hospital in Köln, ist durchaus vielseitig, aber der Stresspegel hoch.

Arztassistenten – Patentrezept gegen den Fachkräftemangel?

Braucht es in deutschen Kliniken Arztassistenten als Bindeglied zwischen Arzt und Pflege? Einen Bachelorstudiengang zum Arztassistenten bietet beispielsweise die private Fresenius-Hochschule in Frankfurt, München oder Düsseldorf an. Der Arztassistent kommt zum Einsatz in Aufnahmestationen und Polikliniken und betreut Patienten vor der stationären Aufnahme, macht dort die Erstanamnese und die körperliche Untersuchung. Auch die Mitarbeit bei ambulanten Operationen und administrative Tätigkeiten gehören zu seinem Aufgabenfeld.

Ein Arztassistent kann den Arzt vor allem auf peripheren Stationen von Routine-Tätigkeiten entlasten, wie Blutabnahme, Verbandswechsel, Fädenziehen oder in der medizinischen Dokumentation. Rechtlich gesehen handelt es sich um eine Delegation, keine Substitution ärztlicher Leistungen. Der Arzt bleibt verantwortlich für Patientenbehandlung.

Doch Katharina Feige ist eher skeptisch: Kenne ich den Patienten noch genauso gut, wenn eine ärztliche Assistenz dazwischengeschaltet ist? Oder leidet vielleicht sogar die medizinische Qualität? Und was ist eigentlich der Unterschied zu Fachkrankenschwestern und Pflegern? Besonders in der Intensivmedizin sind Schwestern und Pfleger sehr gut ausgebildet und übernehmen viele Aufgaben.

Ist der Arztassistent also wirklich das Patentrezept gegen die allgegenwärtige Überlastung des Fachpersonals und die oft stressbedingten Konflikte zwischen den Berufsgruppen? Doch insgesamt lautet ihr Fazit nach einem Jahr als Assistenzärztin: Auf Station herrscht kein Kampf, sondern ein teamorientiertes Miteinander von Ärzten und Pflegern.

Doch nicht immer läuft es so harmonisch. Was sind die Gründe für die vielen interprofessionellen Konflikte in der Klinik? Liegt es an der hierarchischen Aufbauorganisation der Krankenhäuser an sich? Krankenhäuser sind in ihrer Organisationsform anders aufgestellt als Industriebetriebe, da die Hierarchie der Berufsgruppen statt der Prozessabläufe die Arbeit auf Station bestimmt.

Weniger Macht, mehr Kooperation!

Referentin Vera Lux, Pflegedirektorin der Uniklinik Köln, beleuchtete in ihrem Vortrag „Wie kommen wir vom nebeneinander arbeiten zum miteinander arbeiten?“ den Stationsalltag auf Sicht der Pflege, aber auch aus Sicht der jungen Ärzte. Die Arbeitsabläufe in der Klinik sind immer noch gekennzeichnet durch eine strikte Trennung der Zuständigkeiten in Verwaltung, ärztlichen Dienst und Pflegedienst, dazu kommen Reinigungsdienste, Hygieneverantwortliche und weitere Schnittstellen. Ursachen für Konflikte sind häufig eine defizitäre Kommunikation sowie unklare Zuständigkeiten an Schnittstellen. Auch unterschiedliche Aufgabenverteilungen auf den Stationen innerhalb einer Klinik können zu Missverständnissen und Fehlern fühlen.

Daher erscheint es Vera Lux besonders wichtig, Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar zu regeln und die Pflege partnerschaftlich einzubinden, die bisher meist „am Ende der Informationskette“ steht. Teamkonflikte innerhalb und zwischen den Berufsgruppen führen teilweise zu einer Boykotthaltung der Pflege, ärztliche Anordnungen werden nicht oder nicht zeitnah ausgeführt. Besonders die jungen Ärzte, die auf die Unterstützung der Pflege angewiesen sind, erleben die Position des Pflegedienstes als „Macht der Schwachen“, wie Lux aus täglicher Erfahrung weiß.

Doch vieles ist eine Frage des Blickwinkels, denn auch die Pflegekräfte fühlen sich häufig im Stich gelassen: Absprachen, z.B. der Termin der Visite, werden nicht eingehalten, die Ärzte nehmen keine Rücksicht auf ihre Arbeitsbelastung und schauen nur auf Fallzahlen und Budgets.

Doch wie immer ist nicht nur eine Seite schuld an der Misere. Beide Gruppen müssen sich bewegen, um ein interprofessionelles Gleichgewicht herzustellen. Wenn der Arzt der anderen Berufsgruppe entgegenkommt, erleben die Pflegenden, dass ihr Beitrag und Fachwissen für die Beurteilung eines Patienten notwendig ist. Doch in der Pflege muss auch die notwendige Fachkompetenz vorhanden sein, damit sich die Ärzte voll und ganz auf sie verlassen können. Lux plädiert daher für ein „Job Enlargement“ – die Erweiterung der Kompetenzfelder in der Pflege.

Wenn Ärzte und Pflegende Qualitätsziele, aber auch Therapieziele gemeinsam verfolgen und sich auf einheitliche Behandlungsstandards verständigen, läuft vieles reibungsloser. Im Fokus sollte dabei immer das gemeinsame Ziel der Patientenorientierung stehen.

„Stumme Kommunikation“ als Risiko

In der Hektik des Stationsalltags bleibt die wertschätzende Kommunikation der Berufsgruppen untereinander und zwischen den Professionen leider häufig auf der Strecke.

Auch technische Entwicklungen wie die elektronische Patientenakte verändern die Zusammenarbeit: Die „stumme Kommunikation“ über Krankenhausinformationssysteme birgt die Gefahr, dass die Pflegenden Nachrichten des Arztes im System übersehen.

Die Beobachtung von Vera Lux: Früher machten die Chefärzte noch mit Charme und Eloquenz manches Kommunikationsdefizit wett, heute haben die ärztlichen Führungskräfte zwar eine hohe fachliche Expertise, aber kaum kommunikative Skills.

Wichtig ist für die Pflegedirektorin ein regelmäßiger Informationsaustausch, sonst entstehen rasch Missverständnisse und Wissensdefizite: „Da können auch die sozialen Medien nicht alles rausreißen“, so Lux. Hilfreiche Tipps bietet für sie z.B. der Leitfaden zur Kommunikation im medizinischen Alltag, den die Ärztekammer Nordrhein zum kostenlosen Download auf ihrer Website (www.aekno.de) bereitstellt.

Haben berufsbezogene Leitungsmodelle eine Zukunft?

Während die Ärzte auf Station ständig wechseln, ist die Pflege die Konstante in der Struktur. Lux beobachtet besonders bei den jungen ärztlichen Kollegen oft noch unzureichende Führungsqualitäten, denn in ihrem Studium haben sie Mitarbeiterführung nicht gelernt. Ein Kennen und Anerkennen der Rollen, Zuverlässigkeit, gegenseitige Unterstützung und Verständnis gepaart mit Respekt und Wertschätzung führen jedoch eher zum Erfolg als ein starres Festhalten an Hierarchien. Ein Führungskräfte-Coaching für junge Professoren steht daher ganz oben auf ihrer Wunschliste.

Das Fazit des Vortrags von Vera Lux: Die kooperative Zusammenarbeit der Berufsgruppen wird zukünftig ein Garant für erfolgreiche Institutionen im Gesundheitswesen sein. Voraussetzung ist eine Abkehr von berufsbezogenen Leitungsmodellen zugunsten flacher Organisationsstrukturen, die sich an Zielvereinbarungen ausrichten und nicht an Statusfragen. Lux warb für gegenseitiges Vertrauen, damit der Ablauf in der Patientenbehandlung reibungsloser funktioniert.

Führung als Beziehungsaufgabe

Professor Lilia Waehlert, Studiendekanin der Hochschule Fresenius, hob in ihrem Vortrag „Kampf auf Station. Eine Betrachtung aus führungstheoretischer Sicht ebenfalls die Bedeutung von Kommunikation und Kooperation zwischen den Berufsgruppen hervor. Gerade den Zeiten der DRGs und Fallpauschalen ist Arbeitsteilung eine Lösung, um möglichst effizient mit den knappen Ressourcen umzugehen. Für die Leitungsebene im Krankenhaus stellt sich daher die zentrale Führungsaufgabe, das Motivations- und Koordinationsproblem auf Station zu überwinden.

Die Krankenhausorganisation unterscheidet sich zunächst nicht von der Organisation in Unternehmen anderer Branchen. Typischerweise findet sich auf Leitungsebene eine Dreiteilung nach dem funktionalen Gliederungsprinzip in die Bereiche Ärztlicher Dienst, Pflegedienst, Verwaltungsdienst. Auch die daraus resultierenden Leitungsmodelle unterscheiden sich nicht grundlegend von anderen Branchen. Das besondere Konfliktpotenzial im Krankenhaus ist also offenbar nicht durch berufsgruppenspezifische Leitungsmodelle zu erklären. Was sind also die Ursachen für den häufigen Krach auf Station?

Waehlert beobachtet in deutschen Kliniken eher hierarchische als partizipative Strukturen und einen autoritären Führungsstil. Dagegen stehen gesellschaftliche Trends, die solche Strukturen nicht mehr adäquat erscheinen lassen. Zwar gibt es aus der Führungstheorie heraus durchaus Möglichkeiten, Konflikte zu lösen. Jedoch scheint der Trend zur visionären, wertorientierten Führung bei den Ärzten noch nicht wirklich angekommen zu sein. Neben der Sachaufgabe ist Führung auch eine Beziehungsaufgabe auf sozial-kultureller Ebene. Diesen Beziehungsaspekt von Führung sieht Waehlert als möglichen Grund für den Kampf auf der Station.

Die unterschiedlichen Karrieresozialisationen im medizinischen, pflegerischen und kaufmännischen Bereich kommen erschwerend hinzu. Die Führungspersonen stammen aus unterschiedlichen „Fachkulturen“, aus denen unterschiedliche Zielsetzungen, Einstellungen, Erwartungen, Werte und Handlungen resultieren.

Visionen und Werte statt Kontrolle

Das IT- und Beratungsunternehmen IBM hat 2012 Führungskräfte über alle Branchen hinweg zur Mitarbeitermotivation befragt. Die Ergebnisse: Werte und Ethik sind ganz entscheidend für Mitarbeiter-Motivation. Der gesellschaftliche Trend zur Individualisierung geht einher mit einem stärkerem Bedürfnis nach Stabilität in den Werten. Die Führungspersönlichkeit muss authentisch sein und ihre Überzeugungen im Alltag leben. Ein möglicher Weg führt auch im Krankenhaus von der transaktionalen Führung durch Zielvereinbarungen, z.B. Chefarztboni, hin zur transformationalen Führung, die auf Sinn und Werte abzielt.

Partizipation und Kommunikation, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen statt Kontrolle sind daher für Waehlert die Schlüssel zum Erfolg einer erfolgreichen Zusammenarbeit von Ärzten und Pflege in der zukünftigen Gesundheitsversorgung.

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