Rechtsmedizin 2030: Wie sieht die Zukunft aus?

Bis zum 3. September tagte die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin in der Neuen Universität Heidelberg. Die Fragestellungen: Welche Leistungen soll das Fach künftig für Staat, Gesellschaft und Gesundheitssystem erbringen? Wer trägt dafür die Kosten?

Am Universitätsklinikum Heidelberg gehört die Nutzung modernster bildgebender Verfahren zum Standard der rechtsmedizinischen Untersuchung. | Universitätsklinikum Heidelberg

Entwicklungen in Technik und Gesellschaft stellen die rechtsmedizinischen Institute vor enorme Herausforderungen: Wie kann Gewalt gegen alte Menschen und Pflegeversagen bei Demenzpatienten festgestellt werden? Welche Folgen hat die Vielfacheinnahme von Medikamenten bei älteren Patienten mit mehreren Erkrankungen? Wie kann die Qualität einer zunehmend komplexeren Medizin gesichert und überprüft werden? Wie wirken sich Assistenzsysteme und autonomes Fahren im Verkehr aus? Was können und dürfen molekularbiologische Methoden künftig über Täter aussagen? Und wie kann auf eine zunehmend prekärer werdende finanzielle Situation der Institute reagiert werden? Die 95. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, zu der sich in der Neuen Universität Heidelberg rund 350 Experten aus Medizin, Politik, Rechts- und Polizeiwesen trafen, warf den Blick weit in die Zukunft, um die rechtsmedizinischen Institute hinsichtlich ihrer hohen Potentiale fit für das Jahr 2030 zu machen. Kongresspräsidentin war Prof. Kathrin Yen, Ärztliche Direktorin des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg.

Dem umfangreichen Spektrum der Aufgaben und Möglichkeiten gegenüber stehen die aktuellen finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die einen kostendeckenden Betrieb nicht ermöglichen. "Fast alle rechtsmedizinischen Institute in Deutschland müssen daher von den Universitäten bzw. Universitätskliniken bezuschusst werden", erklärt Irmtraut Gürkan, Kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikums Heidelberg. "Die einzelfallabhängige Finanzierung hat sich in der Rechtsmedizin nicht bewährt. Denkbar wäre eine Grundfinanzierung der so genannten Vorhalteleistungen, also einer Grundversorgung der Bevölkerung, analog zu Polizei und Feuerwehr." Zu dieser Grundversorgung – z.B. Aufklärung unklarer und nichtnatürlicher Todesfälle sowie verkehrsmedizinische Untersuchungen – gehört in Heidelberg auch die Gewalt- und Opferambulanz, an die sich Betroffene rund um die Uhr zur Sicherung von Gewaltspuren wenden können.

Enge Vernetzung mit klinischen Einrichtungen

Zum Aufgabenspektrum gehören auch Forschung und eine enge Vernetzung mit klinischen Einrichtungen. "Damit die interdisziplinäre Kooperation funktioniert – sowohl in Klinik als auch in Forschung und Lehre – brauchen wir auch in Zukunft eine Rechtsmedizin an den Universitäten", betont Prof. Dr. Claus R. Bartram, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Humangenetik und vormaliger Dekan der Medizinischen Fakultät Heidelberg. "Molekulargenetische Analysen haben das Spektrum der Rechtsmedizin in den letzten Jahren maßgeblich erweitert und völlig neue Impulse für die Tätersuche gegeben", erklärt der Humangenetiker.

Prof. Dr. Heinz-Peter Schlemmer, Leiter der Abteilung Radiologie des Deutschen Krebsforschungszentrums und Mitveranstalter des Kongresses, arbeitet seit sechs Jahren mit Prof. Yen auf dem Gebiet der forensischen Bildgebung zusammen: "Kooperationen zwischen universitären und außeruniversitären Instituten sind entscheidend für die Qualität moderner Forschung und auch für die Finanzierung von neuen Projekten." Am Kongress wurden die neuesten Ergebnisse der forensisch-radiologischen Zusammenarbeit gezeigt: So können selbst kleinste, mit den heute üblichen Methoden nicht erfassbare Blutungen nach Schädel-Hirn-Trauma durch die Hochfeld-MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie) sichtbar gemacht werden. Neueste Technologien machen komplexe Verletzungsbefunde im Gerichtssaal auch für medizinische Laien nachvollziehbar.

Lebender Mensch rückt zunehmend in den Fokus

"War die Rechtsmedizin früher vorwiegend am Leichnam tätig, so rückt heute der lebende Mensch zunehmend in den Fokus", sagt Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Auch der klinische Patient profitiere davon, wenn zum Beispiel die diagnostischen Möglichkeiten nach Trauma erweitert werden oder nach gewaltsamen Übergriffen eine fundierte Beweissicherung stattfinden kann. "Eine rechtsmedizinische Untersuchung sollte zum Beispiel nach Kindesmisshandlung, häuslichen oder sexuellen Übergriffen zum medizinischen Standard gehören und möglichst für alle Betroffenen zugänglich sein."

Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg, www.klinikum.uni-heidelberg.de

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