I. Jede ärztliche Maßnahme ist einwilligungsbedürftig
Jede, auch noch so gut gemeinte, ärztliche Behandlung ist eine straf- und zivilrechtlich geahndete Körperverletzung: Sie stellt ohne Einwilligung des Patienten eine Straftat dar, außerdem stehen Patienten Unterlassung-, Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zu.
Bei volljährigen, bei Bewusstsein befindlichen Patienten erfolgt die Rechtfertigung dieser aus rechtlicher Sicht eigentlich zu sanktionierenden ärztlichen Eingriffe durch eine Einwilligung. Deshalb ist auch die umfassende und rechtzeitige Aufklärung so wichtig – nur so kann eine wirksame Einwilligung erreicht werden.
Kann der Patient die Einwilligung nicht geben, so ist sein mutmaßlicher Wille zu ermitteln: Was hätte der Patient gewollt, hätte man ihn fragen können?
II. Patientenverfügung als Möglichkeit, den Willen des Patienten zu vermitteln
Ein mittlerweile verbreitetes Instrument hierfür ist die Patientenverfügung. Sie soll, wenn sie gut abgefasst ist, den Willen des Patienten ermittelbar machen. Jeder Arzt ist verpflichtet, die Patientenverfügung zu beachten, wenn sie wirksam ist. Zu ihrer Wirksamkeit muss sie schriftlich verfasst worden sein, mittels Computer reicht aus. Sie sollte aber zumindest unterschrieben sein. Auch muss der Patient bei Abfassen der Patientenverfügung noch begriffen haben, was er verfügt.
Die inhaltliche Wirkung einer Patientenverfügung ergibt sich oftmals aus dem Wortlaut. Dieser ist stets ein wichtiges Indiz zu ihrer Auslegung. Jedoch darf man nicht am Wortlaut kleben bleiben. Entscheidend ist immer der Wille des Patienten, wie er sich aus dem Gesamtkontext der Patientenverfügung und ggf. auch durch Befragung der Angehörigen ergibt, selbst wenn er vom Wortlaut abweicht.
Wenn ein Patient etwa schreibt, er möchte nicht an "Maschinen angeschlossen" werden, so wollen die allermeisten Patienten durchaus auch eine Schmerztherapie, die ggf. den "Anschluss" an eine Maschine notwendig macht. Gleiches gilt etwa, wenn eine Beatmung abgelehnt wird - die meisten Patienten mit Atemproblemen dürften sich damit gegen eine Intubation entscheiden, jedoch eine Unterstützung durch eine nicht-invasive Beatmung wünschen.
Wenn der Patient einen Organspendeausweis ausgefüllt hat und die dort niedergelegte Entscheidung immer noch seinem Willen entspricht, dann haben die Angehörigen kein Mitspracherecht über die Entscheidung zur Organentnahme. Der durch die Auslegung ermittelte Wille des Patienten ist umzusetzen.
III. Unwirksame Inhalte von Patientenverfügungen
Manche in Patientenverfügungen geäußerten Wünsche sind jedoch unzulässig oder nicht umsetzbar: Bekanntlich ist in Deutschland die aktive Sterbehilfe verboten. Dem Verlangen aus einer Patientenverfügung oder von Angehörigen aktive Sterbehilfe zu leisten, ist nicht nachzukommen. Erlaubt sind hingegen die indirekte und die passive Sterbehilfe, d.h. das Sterbenlassen durch Abschalten von lebenserhaltenden Geräten sowie die Durchführung von Therapien, die als Nebenwirkung zu einem verfrühten Tod des Patienten führen, etwa bei hoch dosierten Schmerzmitteltherapien.
In der Praxis untauglich und von der Rechtsprechung mittlerweile auch für unwirksam erachtet, sind Allgemeinsätze wie der Wunsch des Patienten, "in Würde zu sterben" oder ein "menschenwürdiges Leben zu führen". Niemand weiß, was der Patient hiermit wirklich sagen wollte – und kein Arzt möchte einem Patienten einen würdevollen Tod vorenthalten.
In der Krankenhauspraxis untauglich sind viele Patientenverfügungen zum Ankreuzen, weil sie kausale "wenn-dann-Abläufe" voraussetzen, die in den allermeisten Fällen nicht gegeben sind. Insbesondere bei zum Zeitpunkt des Aufsetzens der Patientenverfügung noch mehr oder weniger gesunden Patienten und bei multimorbiden Patienten, treten die von den Ankreuz-Patientenverfügungen vorausgesetzten Kausalverläufe nicht ein. Dies ist, wenn überhaupt, nur bei austherapierten Patienten mit bestimmten Krankheiten vorstellbar. Wir empfehlen sogenannte "Wunsch-Werte-Angst"-Profile, d.h. nicht die Entscheidung des Patienten über einzelne, von im Zweifel überhaupt nicht zu überblickende medizinische Maßnahmen, sondern eine detaillierte "Anamnese" des eigenen Lebens, der eigenen Wünsche und der eigenen Ängste. Auf diese Weise kann in jeglichen Situationen der mutmaßliche Wille des Patienten wirklich ermittelt werden.
IV. Patienten mit Vorsorgevollmachten
Juristisch einfach ist die Entscheidung, wenn eine Vorsorgevollmacht als Generalvollmacht besteht, die einem Angehörigen oder Freund auch die Möglichkeit einräumt, in medizinischen Inhalten zu entscheiden. Viele Vorsorgevollmachten beinhalten diese Erlaubnis jedoch gerade nicht, sondern räumen eine Vertretungsmacht in Pflegeangelegenheiten ein. Hier müssen Sie die Vorsorgevollmacht sorgsam lesen.
Selbst wenn die rechtlichen Fragen damit gelöst sind, sind solche Vorsorgevollmachten oftmals inhaltlich wenig hilfreich: Denn welchen Willen der Patient gehabt hätte, lässt sich aus einer Vorsorgevollmacht, die nur einem Dritten das Recht zu entscheiden einräumt, nicht herauslesen. Deshalb ist es im Gespräch mit dem Vorsorgebevollmächtigten unerlässlich, auch hier zwischen dem Willen des Bevollmächtigten und des Vollmachtgebers (d.h. des Patienten) streng zu unterscheiden.
V. Vorgehen bei unwirksamen oder fehlenden Patientenverfügungen
Besteht keine Patientenverfügung, ist diese unwirksam oder unklar, kann der mutmaßliche Wille des Patienten auch durch die Befragung von Angehörigen oder Freunden herausgefunden werden. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass die von den Interessen des Patienten möglicherweise abweichenden Interessen der Angehörigen sorgfältig zu unterscheiden sind. Es kommt nicht auf das Interesse der Angehörigen an, sondern auf das des Patienten.
Besteht keine wirksame Patientenverfügung und hat der Arzt den Eindruck, dass die Angehörigen eher den eigenen Willen als den des Patienten formulieren, so empfiehlt es sich, den Betreuungsrichter am Amtsgericht zu informieren und eine Betreuung (früher: Vormundschaft) des Patienten anzuregen. Der Richter kommt dann in das Krankenhaus. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, entscheidet der dann bestellte Betreuer über den Fortgang und den Abbruch von medizinischen Maßnahmen.
Zum Autor:
Dr. Thomas Ruppel ist Rechtsanwalt für Medizinrecht in Lübeck. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Greifswald. Bereits während des Studiums richtete er seinen Fokus auf das Medizinrecht. Seinen juristischen Vorbereitungsdienst absolvierte er am Landgericht in Düsseldorf, bei einer Kassenärztlichen Vereinigung und mittelständischen medizinrechtlichen Kanzleien, die ausschließlich Ärzte und andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen beraten. Dr. Ruppel promovierte im Bereich der Versorgungsforschung und war unter anderem für eine internationale Rechtsanwaltskanzlei im Bereich Medizinrecht, Arzneimittelrecht und Medizinprodukte tätig.
Im Jahr 2012 absolvierte Dr. Ruppel den Fachanwaltslehrgang für Medizinrecht. Er veröffentlicht regelmäßig in der juristischen und ärztlichen Fachpresse.
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