Ein Arzt, der kein Doktor ist?! Was früher die Ausnahme war, ist heute nicht unüblich. Schätzungen aus dem Jahr 2009 gehen davon aus, dass noch etwa 60 Prozent aller Medizinabsolventen promovieren. Vergleichszahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen jedoch, dass die Bereitschaft, eine Dissertation zu verfassen, Jahr für Jahr zurückgeht. Die Gründe dafür sind unterschiedlicher Natur.
Ein Aspekt ist der günstige Stellenmarkt für Mediziner. Auch ohne „Doktor“ im Namen ist heutzutage eine Anstellung zu finden. Man ist kein schlechterer Arzt, nur weil man keinen Titel hat. Gerade kommunale Häuser legen auf einen Doktortitel keinen Wert. Anders sieht es an Unikliniken aus. Im Dunstkreis der „Wiege der Wissenschaft und Lehre“ gehört wissenschaftliches Arbeiten und Engagement in der Forschung bekanntermaßen dazu. Ein Doktortitel ist hier Bedingung für ein gutes Vorankommen.
Wie sieht es mit dem gesellschaftlichen Ansehen aus? Für einige Patienten ist jeder Arzt auch automatisch ein „Doktor“. Mit dem Begriff verbindet man Respekt, Zuverlässigkeit und Bildung. Andere schauen gezielt auf das Türschild: Fehlt der „Dr.“, kann das im Extremfall dazu führen, dass sich der Patient für einen anderen Arzt entscheidet.
Pros und Contras
+ Besseres Verständnis von wissenschaftlichem Arbeiten und versiertere Einordnung von Publikationen
+ Voraussetzung für eine Karriere in der Forschung und Wissenschaft
+ Vorteilhaft bei geplanter Niederlassung
+ Erwartungshaltung der Patienten erfüllen
+ Eigener Anspruch, als Arzt auch ein Doktor zu sein
- Enormer Zeitaufwand, im schlimmsten Fall leidet das Studium darunter
- Für einen reinen Kliniker keine Voraussetzung mehr
- Bei Beginn nach dem Studium verzögert sich der Beginn der Facharztweiterbildung
Ein anderer Aspekt: Die medizinische Promotion steht derzeit stark unter Kritik: Ihr haftet der Ruf an, „weniger wert“ zu sein als Arbeiten anderer naturwissenschaftlicher Fachrichtungen. Sie sei weniger umfangreich und anspruchsvoll. Diese Stimmen lassen jedoch außer Acht, dass die medizinische Doktorarbeit in den meisten Fällen studienbegleitend durchgeführt wird. Eine Vergütung gibt es fast nie, viele Studenten arbeiten nebenher. Diese äußerlichen Bedingungen sind natürlich nicht vergleichbar mit einem Physikabsolventen, der sich nach erfolgreichem Abschluss fünf Jahre lang und unter Bezahlung seinen Forschungen widmen kann. Dennoch muss man sich eingestehen, dass es große Unterschiede hinsichtlich den Anforderungen zwischen den Fachrichtungen und auch zwischen den Universitäten gibt. Bundesweit einheitliche Qualitätsstandards der medizinischen Promotion fehlen.
Einheitlich ist lediglich die Bedingung der Approbation. Erst nach der offiziellen Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand darf der Doktortitel verliehen werden. Während des Studiums kann allerdings bereits mit der Arbeit begonnen werden, ein Merkmal der medizinischen Promotion im Vergleich mit anderen Fachrichtungen.