Kein Stationsarzt vor Ort – nur noch Fernbehandlung

Dr. Peter Niemann schreibt über seine Ausbildung zum Internisten sowie der Zeit danach, aber auch über die Skurrilität eines Arztlebens in den USA. In diesem Beitrag geht es um die Digitalisierung der Medizin in den USA.

Arzt in Amerika Telemedizin

Idee eines ländlichen Klinikums in den USA: die gesamte internistische Station soll virtuell abgedeckt werden | CCO Creative Commons

Die Krankenhausdirektorin hatte mich zu sich gebeten. Ich half einmal wieder in einem ländlichen Krankenhaus aus und weil ich das seit Jahren tue, habe ich eine Art Mitspracherecht bei größeren Entscheidungen. Das Krankenhaus leidet darunter, dass es nicht ausreichend Geld hat, um hohe Gehälter zu zahlen und entsprechend ist das Pflege- und vor allem Arztpersonal chronisch unterbesetzt, das Krankenhaus stets an der Grenze der Arbeitsfähigkeit.

Hier helfe ich also öfters aus, und die Krankenhausdirektorin sucht seit Jahren nach einer langfristigen Lösung, wobei ihr die Hände aus finanzieller Sicht gebunden sind. Nun also versucht sie eine Lösung zu finden, in dem sie eine Firma für Fernbehandlung engagiert und Stationsärzte vor Ort durch Fernbehandlungsinternisten ersetzt.

Man muss sich das folgendermaßen vorstellen: Diese Firma – ich nenne absichtlich keinen Namen um keine Werbung zu machen – kassiert einen bestimmten Stunden- und Patientenbetrag ab und bietet im Gegenzug eine medizinische Fernbehandlung an. Ohr und Auge des virtuellen Arztes sind das Mikrofon und die Videokamera eines kleinen Gerätes, das Krankenpflegepersonal sind sozusagen seine Hände.

Die gesamte internistische Station soll virtuell abgedeckt werden: Wenn ein Patient aufgenommen wird, begrüßt ihn zwar eine Krankenschwester reell, also analog, aber der Arzt ist nur noch digital vorhanden, also virtuell. Er macht seine „Aufnahme“, „Visite“ und „Entlassung“ via Lautsprecher, Mikrofon und Videokamera, und Interventionen werden vom Chirurgen gemacht, quasi als ausführende Hand dieses virtuellen Internisten. Übrigens wird diese Firma auch Notfälle elektronisch-virtuell abdecken, zumindest verspricht sie das.

Ich wurde nun also gefragt, was ich von diesem System halte (meine Antwort: nicht viel) und ob es zunächst nachts oder gleich ganztägig eingeführt werden solle (meine Meinung: erst nachts). Mir stehen beim Gedanken an diese Virtualität selbst jetzt noch die Nackenhaare zu Berge, denn das Arztdasein ist viel mehr als nur ein kognitiver Akt basierend auf abstrakten Patientendaten.

Alleine schon die ärztliche Anwesenheit kann eine heilende Wirkung haben – falsch vereinfachend manchmal als „Placeboeffekt“ bezeichnet – doch auch die Visite selbst ist ein besonderer, ja, ich meine sogar heiliger, Moment zwischen Arzt, Patient und Krankenpflege. Ich hoffe daher nicht, daß diese Virtualität die Zukunft der Medizin ist. Falls doch, dann graut es mir davor, was uns als Menschheit noch alles erwartet und welche Auswirkungen das auf zwischenmenschliche Beziehungen haben wird.

Alle Blog-Beiträge von Dr. Peter Niemann "Vom Arztdasein in Amerika" können hier nachgelesen werden.

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