Nicht zur OP hinzugezogen, auch nicht zur Party eingeladen, aber offene Ausländerfeindlichkeit? Eigentlich im Krankenhaus undenkbar. Zumal immer mehr Ärzte aus dem Ausland rekrutiert werden. Mancherorts arbeiten inzwischen sogar mehr zugewanderte als deutschstämmige Mediziner, vor allem auf dem Land. Mit dem Teamwork scheint es dennoch gewaltig zu hapern. Dies ist zumindest das Ergebnis einer Masterarbeit aus dem Studiengang Internationales Management aus dem Jahr 2020. Alyssa Wolf hat darin sieben Ärztinnen und Ärzte aus verschiedenen Kliniken in Nordrhein-Westfalen befragt.
„Erstmal der Doofe…“
Alyssa Wolf hat sich in iher Masterarbeit mit dem Thema "Kulturelle Diversität in Ärzteteams" beschäftigt. | privat
„Hauptprobleme sind Sprachbarrieren, aber auch kulturelle Unterschiede. Daraus entstehen Missverständnisse, die häufig als fachliche Inkompetenz der im Ausland erworbenen Ausbildung interpretiert werden“, erläutert Wolf. So bemängeln deutsche Ärzte, dass sie nicht wissen, ob alles, was beispielsweise bei einer Teambesprechung gesagt wurde, wirklich verstanden und eben auch umgesetzt wird. „Infolgedessen fragen viele Deutsche lieber ihre einheimischen Kollegen um Rat bei einer Konsilanforderung oder schließen zugewanderte von vornherein von wichtigen OPs aus. Da heißt es dann: ‚Nein, den hole ich jetzt nicht. Das ist mir zu umständlich, der versteht unsere Sprache sowieso nicht‘“, so die Autorin. Ein syrischer Assistenzarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie erklärte im Interview, wie sich das wiederum für ihn anfühlt: „… da hat man manchmal das Gefühl, dass man als ausländischer Arzt von seinen Kollegen heruntergestuft wird, bis man sich beweisen kann. Also ist man erstmal der Doofe…“ Außerdem hat das einen selbstverstärkenden Effekt. Denn einige der Neuen im Team trauen sich gar nicht mehr nachzufragen, um diese Stereotypen nicht noch zu untermauern.
Auch kulturelle Unterschiede spielen eine große Rolle. So merkte ein Befragter an, dass manches, das für deutsche Ärzte im Stationsalltag selbstverständlich ist, wie Blut abnehmen oder Arztbefunde schreiben, für Kollegen mit Migrationshintergrund eher eine Tätigkeit zum Delegieren sei. Sie hätten das entweder nie gelernt oder würden diese Aufgabe als „unter ihrer Würde“ ansehen. Ein anderer beschrieb, dass ein muslimischer Arzt während einer OP um Pausen aufgrund seiner körperlichen Belastung durch den Ramadan gebeten hatte – was auf Seiten der deutschen Kollegen zu Unmut geführt hätte.
Ferner wiesen gleich mehrere Befragte auf ein erhöhtes Konfliktpotenzial in der Mann-Frau-Beziehung hin. „Ein zugewanderter Arzt soll beispielsweise zu seiner Kollegin gesagt haben: Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist eine Frau. Und das auch noch laut und aggressiv“, schildert Wolf. Dies passiere sogar, wenn die Kollegin in der Hierarchie höher stehe. Die Konsequenz daraus sei dann, dass er gleich mit der Hälfte des eigenen Teams nicht zusammenarbeiten könne, denn die Belegschaft wird immer weiblicher. Doch auch diese Medaille hat zwei Seiten. So erzählte ein Syrer in diesem Zusammenhang, dass ihm „als Araber“ eine frauenfeindliche Einstellung immer automatisch vorgeworfen werde, deswegen müsse er mit den Kolleginnen extra freundlich umgehen.
Reine Deutschkurse ohne Fachjargon
Ein weiterer Grund für viele Reibungspunkte: Es gibt kaum Integrationshilfen. Für den Einstieg wurden von allen Befragten ausschließlich allgemeine Deutschkurse als unterstützende Maßnahme genannt – ohne medizinischen Fachjargon, den sie sich dann in der Praxis aneignen müssten. „Wir sollen die Approbation besitzen, ein gewisses Sprachniveau nachweisen können und dann einfach nur kommen und die Arbeit erledigen. Am Ende des Monats gibt es Geld und das war es“, fasst ein zugewanderter Mediziner die Eingliederung zusammen. Das führt auch zu fachlichen Fehlern. „Viele meiner Interviewpartner sagten, dass dadurch im Alltag tatsächlich bei der Medikation Fehler passieren oder falsche Indikationen gestellt werden. Das ist ein ganz großes Problem“, betont die 27-jährige Autorin.
Auch resultiere daraus natürlich Mehrarbeit für die deutschen Ärzte. Sie klagen, dass sie ihre zugewanderten Kollegen neben ihrer ohnehin schon vielen Arbeit einarbeiten und kontrollieren müssten. Mancher meint sogar, dass er die jeweilige Aufgabe dann lieber gleich selbst machen würde. Auf der anderen Seite stünden für die Ohren der Zugewanderten besonders in der Anfangszeit Kommentare wie „Ja pass mal auf, dass der das auch wirklich macht" auf der Tagesordnung. Neben dem Ausschluss aus den beruflichen Netzwerken kommen die neuen Kollegen zudem in die privaten Kreise nicht hinein. So fehlten bei den Befragten aus dem Ausland Sozialkontakte entweder gänzlich oder sie trafen sich hauptsächlich untereinander.
Ausbaufähige Chancen
„Obgleich interkulturellen Teams in der Forschung allgemein viele Vorteile zugeschrieben werden, nannten meine Interviewpartner tatsächlich mehr Probleme als Chancen“, erklärt Wolf. Ein paar Vorteile werden aber doch gesehen. So wiesen einige deutsche Ärzte darauf hin, dass sie die Sprachkompetenzen hochschätzen. Dies ist insbesondere bei Ärzten in der Notaufnahme der Fall, da dort meist keine Zeit bleibt, auf einen Dolmetscher zu warten. Auch auf die Sitten und Gebräuche der ausländischen Patienten könne verstärkt eingegangen werden, was zu einer besseren Versorgung führt. So berichtete ein deutscher Arzt, dass ein ägyptischer Kollege, der gleichzeitig Vorsteher der islamischen Gemeinde war, bei arabischstämmigen Angehörigen im Sterbeprozess vermitteln konnte. Das war „eine wahnsinnige Erleichterung für das ganze Krankenhaus“. Dadurch lernt am Ende auch das ganze Team ständig dazu.
Überhaupt profitieren die Kollegen von den verschiedenen beruflichen Erfahrungen und Meinungen, was kreative Problemlösungen mit sich bringen kann. Beispiel: neue Dienstmodelle. So fand das Heimat-Konzept einer ungarischen Assistenzärztin für Neurologie, das 24-Stunden-Dienste anders aufsplittet, großen Anklang. „Eine deutsche Ärztin wies zudem darauf hin, dass die ausländischen Kollegen zu einem lockeren, herzlicheren und lustigeren Teamklima beitragen, da sie häufig auch Späße mit Vorgesetzten machten“, erzählt Wolf.
Unabdingbar: Diversity Management
Weitere Maßnahmen zur Erleichterung des Einstiegs wurden von keinem der Befragten erwähnt. Bislang, so eine ungarische Ärztin, „wird man eher ins kalte Wasser geschmissen, ist auf sich alleine gestellt und bekommt niemanden zur Seite gestellt, den man mal Berufliches und auch Privates fragen kann.“ Und nur eine Ärztin berichtete von speziellen Beschwerdestellen und Supervisionsgesprächen mit einer externen interkulturellen Mediatorin. Meist fehlen entsprechende Ansprechpartner sowie überhaupt ein Diversity Management, das Konflikte und Diskriminierungen nicht nur lösen, sondern präventiv verhindern kann – unter anderem durch Coachings, Mentoring-Programme und (Führungskräfte-)Schulungen.
Sinnvoll sei auch ein Austausch, in dem Informationen über die Länder und das dortige Leben vermitteln werden, regten mehrere der Interviewpartner an. Denn es gibt tausend Kleinigkeiten, die Fehldeutungen auslösen können. So sind in einigen südlichen Regionen Hebungen und Senkungen im Sprachfluss gängig. Im arabischen Raum gilt dagegen eine monotone Stimmlage als respektvoll.
Formen von Rassismus: Beleidigungen bis hin zum Nachahmen von Akzenten
All das sei dringend nötig, denn es gibt offenen Rassismus, konstatiert Wolf. Am häufigsten berichte das ärztliche Personal von stereotypen Klischees, in Einzelfällen beschrieben die Befragten aber durchaus Kränkungen und offene Ablehnung. „Ich habe schon mit einigen eher subtilen Vorurteilen gerechnet, weil wir alle unsere kulturelle Brille aufhaben. Dass die aber in einer so großen Zahl ganz offen zum Ausdruck kommen – inklusive Beleidigungen bis hin zum Nachahmen von Akzenten – hätte ich nicht erwartet. Die Antidiskriminierungsarbeit steckt in den deutschen Krankenhäusern noch in den Kinderschuhen. Dabei sind interkulturelle Teams die Zukunft. Hier besteht ein enormer Handlungsbedarf, um dieses erhebliche Synergiepotenzial voll ausschöpfen zu können“, appelliert Wolf. Zumal manche der ausländischen Kollegen wohl überlegen zurückzukehren, auch weil sie – laut der Aussagen einige Interviewpartner – in punkto Karriere ebenfalls nicht gleichberechtigt sind.
Eine repräsentative Studie ist eine Masterarbeit nicht, sie kann keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Es sind nur Schlaglichter. Allerdings existieren bislang kaum größere wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema. Konsens herrscht in der Literatur lediglich dahingehend, dass Vielfalt kein Selbstläufer für den unternehmerischen Erfolg ist. Von allein geht es nicht – nicht in der Wirtschaft und auch nicht im Ärzteteam.
Info:
Zum Stichtag 31.12.2019 waren 58.335 Ärztinnen und Ärzte ohne deutsche Staatsangehörigkeit Mitglieder bei Landesärztekammern. Rund 72 Prozent war im stationären Sektor tätig.
Mehr Informationen? Die Autorin Alyssa Wolf schickt Interessierten die Masterarbeit „Kulturelle Diversität in Ärzteteams – Qualitative Studie zu Chancen und Herausforderungen für die Zusammenarbeit und Handlungsempfehlungen für Krankenhäuser“ gern zu. Anfragen bitte an alyssareiher@gmail.com.