Dr. Cornelia Strunz über Genitalverstümmelung: „Oft bin ich die Erste, mit der die Betroffenen sprechen“

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) wird immer noch in vielen Regionen Afrikas praktiziert – mit erheblichen körperlichen und seelischen Folgen. Im Desert Flower Center Waldfriede in Berlin bekommen die betroffenen Frauen Hilfe. Im Interview beschreibt die Oberärztin Dr. Cornelia Strunz, was sie und ihr Team tun können.

Dr. Cornelia Strunz (vordere Reihe Mitte im roten T-Shirt) hat im Desert Flower Center auch eine Selbsthilfegruppe eingerichtet, in der Frauen über ihre Beschneidung und die Operation sprechen können. | Desert Flower Foundation

Im Desert Flower Center Waldfriede helfen Sie genitalverstümmelten Frauen. Was genau ist Ihre Aufgabe dort?

Dr. Cornelia Strunz: Das Desert Flower Center Waldfriede ist das erste Zentrum weltweit, in dem genitalverstümmelten Frauen eine ganzheitliche Hilfe angeboten wird – sowohl chirurgisch als auch psychologisch. Ich bin Fachärztin für Chirurgie – 2013 habe ich die Leitung des Zentrums übernommen. Eine wichtige Aufgabe ist die Sprechstunde: Einem Mann würden sich die betroffenen Frauen auf keinen Fall öffnen. Mittlerweile kümmere ich mich komplett um die Frauen und all ihre Fragen und Sorgen. Ich habe das Telefon immer dabei. So können die Betroffenen Kontakt zu uns aufnehmen und eine erste Beratung am Telefon erhalten. Dann machen wir meistens schnell einen persönlichen Termin. Zu meinen Aufgaben gehört auch die Gesundheits- und Sexualaufklärung. Das heißt: Ich erkläre, was eigentlich bei der Beschneidung entfernt wurde und wie wir hier helfen können. Ich begleite die Frauen bei der Operation und der Nachbetreuung. Die Operation selbst führt aber der plastische Chirurg Dr. Uwe von Fritschen durch. Seit Januar 2015 betreue ich außerdem einmal im Monat eine Selbsthilfegruppe.

Sie sind keine Gynäkologin, sondern Chirurgin. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich auf dieses Thema spezialisiert haben?

Dr. Cornelia Strunz: Eigentlich wollte ich mich auf die Proktologie spezialisieren. Als ich im Sommer 2013 im Krankenhaus Waldfriede angefangen habe, hatte ich noch gar keinen Bezug zu afrikanischen Frauen. Aber als mich mein Chef Dr. Roland Scherer gefragt hat, ob ich die Leitung des Desert Flower Center übernehmen möchte, habe ich schnell ja gesagt: Mich hat das Thema sehr interessiert – außerdem habe ich als Chirurgin immer schon eine Nische gesucht. Deshalb hatte ich bei diesem Angebot das Gefühl, dass es genau das Richtige für mich ist. Mich hat es sehr gereizt, den afrikanischen Frauen mit meinem medizinischen Wissen helfen zu können.

Was genau wurde den betroffenen Frauen angetan?

Dr. Cornelia Strunz: Der Fachbegriff ist „female genital mutilation“‘ – kurz FGM. Die betroffenen Frauen sind als Mädchen zwischen vier und 14 Jahren beschnitten worden. Viele können sich auch sehr genau daran erinnern: Daran, dass sie festgehalten und dass ihre Beine zusammengebunden wurden. Manche sind auch mehrmals beschnitten worden. Später sind viele dann zwangsverheiratet worden. Viele sind geflüchtet. Die Beschneidung ist letztendlich eine Tradition, die Mädchen freuen sich sogar darauf. Sie werden darauf vorbereitet, ihnen wird eine warme Mahlzeit oder ein neues Kleidungsstück versprochen. Es gehört zu ihrer Gesellschaft dazu und wenn die Mädchen dazugehören wollen, dann muss das durchgeführt werden. Dass die Beschneidung höllisch weh tut, darauf werden die Mädchen nicht vorbereitet.

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Welche Langzeitfolgen hat die Beschneidung für die betroffenen Frauen?

Dr. Cornelia Strunz: Meistens hat die Beschneidung zur Folge, dass die Mädchen ein Leben lang Schmerzen haben, nicht vernünftig zur Toilette gehen können, Probleme bei der Menstruation haben oder gar nicht schwanger werden können, weil sie komplett zugenäht sind. Wenn die Frauen dann verheiratet werden, muss der Mann sie so lange penetrieren, bis sie wieder aufreißen oder er muss eine professionelle Beschneiderin holen, die die Frauen wieder aufschneidet. Außerdem sterben auch viele an den Folgen der Beschneidung – zum Beispiel an einer Infektion. Die WHO geht davon aus, dass zehn Prozent an den akuten und 25 Prozent an den langfristigen Folgen versterben. Außerdem können sich diverse rektovaginale Fisteln entwickeln. Deswegen ist das Desert Flower Center übrigens auch in die Abteilung für Darm- und Beckenbodenchirurgie eingebettet – und nicht in die Gynäkologie.

Wie viele Frauen sind davon betroffen – weltweit und in Deutschland?

Dr. Cornelia Strunz: Weltweit sind 250 Millionen Frauen betroffen. Deutschlandweit sind es 70.000. Alle, die bisher zu uns kamen, kommen ursprünglich aus den afrikanischen Ländern. Insgesamt wird FGM in 29 afrikanischen Staaten praktiziert – vor allem in Nordost-, Ost- und Westafrika. In manchen Ländern wie Ägypten oder Somalia sind mehr als 90% der Frauen und Mädchen davon betroffen.

Wie können Sie im Desert Flower Center diesen Frauen konkret helfen?

Dr. Cornelia Strunz: Ich kann alleine schon damit helfen, dass ich am Telefon mit den Frauen rede. So merken sie, dass es da eine Frau am anderen Ende gibt, an die sie sich wenden können. Oft bin ich die erste Frau, mit der die Betroffenen darüber sprechen. Das ist sehr ergreifend. Ich bin „Dr. Conny“, ich bin für sie da, nehme sie auch mal in den Arm. Ich höre ihnen zu. Sie merken auch schnell, dass ich schon mit anderen betroffenen Frauen gesprochen habe. Wenn sie zum Beispiel vor mir sitzen und kein Wort herausbekommen, dann kann ich mit gezielten Fragen nachhaken. Da merken sie schnell, dass sie gut aufgehoben sind.

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