Frau Prof. Dr. Nieber, als Pharmazeutin haben Sie sich lange Zeit mit der Wirkung von Kaffee beschäftigt. Wie viele Tassen am Tag empfehlen Sie?
Frau Nieber: Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat 2015 einen Richtwert publiziert. Danach sind Einzeldosen von Coffein bis zu 200 mg für Erwachsene (18 bis 65 Jahre) gesundheitlich unbedenklich. Das entspricht 3-4 Tassen Kaffee.
Erst vor kurzem haben Sie eine aktuelle Studie zum Thema Kaffeegenuss bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgewertet. Steigt unser Infarktrisiko, wenn wir häufig Kaffee trinken?
Frau Nieber: Diese Frage kann nach den neusten Studien klar mit „Nein“ beantwortet werden. Kaffee erhöht zwar kurzzeitig den Blutdruck. Ein Langzeiteffekt konnte nicht nachgewiesen werden. Auch die bislang größte Prospektivstudie liefert keinen Beweis, dass hoher Kaffeekonsum das Risiko für Herz-Rhythmus-Störungen erhöht. Im Gegenteil: Die Studie deutet darauf hin, dass Kaffee sich positiv auswirken kann.
Gibt es Menschen, denen Sie davon abraten würden Kaffee zu trinken? Dürfen Schwangere oder Kinder Kaffee trinken?
Frau Nieber: Etwas problematisch ist die Wirkung bei Hypertonikern. Es kommt zu einem kurzzeitigen Blutdruckanstieg. Ein Langzeiteffekt konnte nicht nachgewiesen werden. Aus Sicht der Autoren von zwei umfangreichen Reviewarbeiten besteht kein Anlass, Personen mit erhöhtem Blutdruck zu raten, auf Kaffee in vernünftigem Maß (bis zu vier Tassen pro Tag) zu verzichten. Das gleiche gilt für Personen mit Osteoporose, auch sie sollten das Kaffeetrinken nicht übertreiben. Bei Schwangeren ist eine Coffein-Aufnahme von bis zu 200 mg pro Tag für den Fötus unbedenklich.
Für Kinder (drei bis zehn Jahre) und Jugendliche (zehn bis 18 Jahre) wird eine tägliche Aufnahme von 3 mg/kg Körpergewicht als sicher angesehen. Hier ist besonders der Coffeingehalt in Erfrischungs- und Energiegetränken zu beachten.
Viele Studierende der Humanmedizin und viele Assistenzärzte stehen vor der Herausforderung einen enormen Lern-, oder Arbeitsalltag bewältigen zu müssen, welche anderen Energiegetränke empfehlen Sie?
Frau Nieber: Ich empfehle einen moderaten Kaffeegenuss und rate von Energiegetränken ab, da sie meist Stoffe wie Taurin, Inosit und Glucuronolacton, oft in hohen Konzentrationen enthalten. In der Vergangenheit traten Fälle mit Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen, Nierenversagen, auf. Diese Symptome wurden in einem möglichen Zusammenhang mit dem Konsum von Energiegetränken gesehen, wenn diese mit Alkohol oder bei ausgiebiger sportlicher Betätigung aufgenommen wurden.
Vor einigen Jahren erschien ein Artikel in der Zeit, in dem der Autor sich einen Selbsttest unterzieht und Ritalin nimmt, um seine Lernleistung zu steigern. Dort heißt es, dass in den USA schon ein Viertel der Studierenden und ein Fünftel der Professoren Ritalin zu sich nehmen. Halten Sie diese Zahlen für realistisch? Wie schätzen Sie den Ritalin-Konsum in Deutschland ein?
Frau Nieber: Der Gebrauch von Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, ist nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland stark gestiegen. In Deutschland werden jährlich mehr als 1.800 Kilogramm Methylphenidat verbraucht, das entspricht bei normaler Dosierung rund 60 Millionen Tagesdosen. Am häufigsten werden die Mittel Ritalin und Vigil (Modafinil) mit Hirndoping in Verbindung gebracht. Was aber erhoffen sich Studierende von den Medikamenten? Vigil soll ihnen helfen, länger wach zu bleiben, um pauken zu können. Ritalin soll helfen, sich besser aufs Lernen zu konzentrieren. Ob die Mittel das allerdings auch tun, ist nicht eindeutig geklärt. In Deutschland fällt Ritalin unter die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, die Beschaffung ohne Verordnung ist illegal. Wie viele Studierende sich in Deutschland tatsächlich mit leistungssteigernden Mitteln dopen, ist nicht bekannt. Lediglich eine Studie darüber, wie Studenten und Schüler dem „Hirndoping“ gegenüber eingestellt sind, gibt es. Das Ergebnis ist erschreckend. Rund 4 % der Studienteilnehmer hatten bereits mindestens einmal versucht, ihre Konzentration durch die Einnahme legaler oder illegaler Substanzen zu steigern.