Experte im Gespräch: Dr. Berberich über Zwangsstörungen und die psychosomatische Medizin

Würden Sie sagen es gibt heute mehr Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden als früher?

Die Veränderungen der Prävalenzzahlen bei allen psychischen Störungen (denken Sie auch an „Burnout“) gaben zu lebhaften Diskussionen Anlass. In den letzten Jahren hat sich die Meinung durchgesetzt, dass die Häufigkeit psychischer Erkrankungen, wenn überhaupt, nur moderat zunimmt und sich die stark erhöhten Prävalenzraten wesentlich auf eine verbesserte Diagnostik und geringere Stigmatisierung dieser Diagnosen zurückführen lassen. Ich denke das gilt im Wesentlichen auch für die Zwangsstörung.

Was hat sich seit Ihrem Studium bezüglich der Behandlung verändert. Wird es das Modell der Klinik Windach – Mediziner und Psychologen tauschen sich aus – in Zukunft noch öfter geben? 

Meines Erachtens ist die Psychosomatische Medizin und Psychotherapie eines der auch wissenschaftlich spannendsten Fächer in den letzten Jahren, mit hoher Innovationskraft. Wir sehen gewaltige Fortschritte im Verständnis psychosomatischer Erkrankungen, deren neurobiologischer und epigenetischer Hintergründe, der psychoneuroimmunologischen Mechanismen usf. Auch im therapeutischen Bereich gab es wesentliche Neuerungen, störungsorientierte und diagnoseübergreifende Therapieprogramme wurden entwickelt und wir können inzwischen auf eine gute Evidenzbasierung der Psychosomatischen Medizin zurückgreifen. Die wissenschaftliche Absicherung erfordert zunehmend ein interdisziplinäres, multiprofessionelles Vorgehen. Daher denke ich, dass die Zusammenarbeit von Medizinern uns Psychologen auch in Zukunft große Vorteile bietet, in der Theorie wie in der Praxis.

Sie unterrichten an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Fachbereich Psychosomatische Medizin und sind Prüfer der Bayerischen Landesärztekammer. Gibt es etwas, was Sie an Studierende und Fachärzten in Ausbildung gerne weitergeben?

Die Psychosomatische Medizin ist sicher etwas Besonderes, besonders auch in dem Sinn, dass nicht jeder für dieses Fach geeignet ist. Wenn man aber von diesem „Virus“ erfasst ist, wenn man die Begeisterung für psychische Prozesse, eine im eigentlichen Sinn personalisierte Medizin, für eine bio-psycho-soziale Medizin verspürt, dann wird man kaum mehr davon loskommen und sich diesem Fach gerne verschreiben. Für viele Medizinstudenten, die in den ersten Semestern geradezu bombardiert werden mit kognitivem Wissen und technischen Details, ist das Fach Psychosomatik mit dem stark interpersonellen Zugang eine große Herausforderung, fast schon ein Schock. Wer aber den Mut, die Begabung und die Freude für einen solch umfassenden Zugang zum kranken Menschen mitbringt, wird in diesem Beruf sicher große Befriedigung erfahren. Dabei geht es zweifellos nicht um ein romantisches Verständnis eines netten Gesprächs mit dem Kranken, sondern vielmehr um eine komplexe und wissenschaftlich fundierte Tätigkeit.

Fachärzte der psychosomatischen Medizin haben eine sehr anspruchsvolle Ausbildungszeit. Welcher Teil der Ausbildung wird in der Regel als am schwierigsten wahrgenommen?

Der Einstieg in die Psychotherapie ist für viele Kollegen doch eine recht hohe Hürde. Die somatische Ausbildung an den Universitäten ist im Fach Medizin in den letzten Jahren deutlich verbessert worden, in der Psychotherapie fühlen sich die jungen Kollegen aber häufig noch recht verloren. Daher ist bei Vorstellungsgesprächen in der zukünftigen Weiterbildungsklinik oder -praxis darauf zu achten, ob ein strukturiertes und fundiertes Weiterbildungskonzept zur Verfügung gestellt wird. Eine weitere Schwierigkeit ist häufig die empfundene psychische Belastung junger Kolleginnen und Kollegen durch das Leid ihrer Patienten. In der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie ist man persönlich doch deutlich „näher dran“ am Patienten als in der somatischen Medizin. Man muss lernen, die Empathie mit einer guten persönlichen Abgrenzung zu verbinden, daher ist eine gründliche und kontinuierliche Supervision unbedingt nötig.

Zum Schluss würden wir uns noch über einen Schwank aus Ihrem Klinikalltag freuen: Was war Ihr größtes Erfolgserlebnis innerhalb der letzten fünf Jahre?

Es fällt wirklich schwer, ein einzelnes Erlebnis herauszugreifen. Ich habe schon von dem Humor in unserer Klinik berichtet. Wir lachen natürlich auch mit unseren Patienten zusammen sehr viel und es ist beglückend zu sehen, wie innerhalb einiger Wochen die meisten Patienten zu ihrem Lachen zurückfinden, wieder neue körperliche und psychische Bewegungsfreiheit finden und sozusagen aufblühen.

Dr. Berberich, vielen Dank für das Interview. 

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