Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, ist neurowissenschaftlich betrachtet keine Einzelfähigkeit, sondern setzt sich aus vielen Faktoren zusammen, die sich je nach Situation unterscheiden.
Das berichten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gemeinsam mit Forschern der Universität Oxford im Fachmagazin Psychological Bulletin.
Die Wissenschaftler unterscheiden zunächst zwischen „Empathie“ und der Fähigkeit zur Perspektivübernahme. „Das Gehirn besitzt zwei allgemeine Fähigkeiten für das Manövrieren in der sozialen Welt. Die Empathie ist gefühlsbasiert und hilft uns, an den Emotionen des anderen teilzunehmen.
Die zweite, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, ist ein komplexer Denkprozess, der dazu dient, sich die Umstände des anderen vorzustellen und darüber nachzudenken, was diese Person denken könnte“, erklärt Philipp Kanske, früher Forschungsgruppenleiter vom MPI und der Technischen Universität Dresden. Diese beiden abstrakten Fähigkeiten zum Eindenken und Einfühlen in Andere setzten sich wiederum aus verschiedenen Bausteinen zusammen, so der Neurowissenschaftler.
Die Forscher haben die Zusammenhänge dieser Faktoren durch eine großangelegte Metaanalyse untersucht. Darin identifizierten sie zum einen, welche Gemeinsamkeiten sich bei 188 untersuchten Einzelstudien in der Magnetresonanztomografie (MRT) zeigten, wenn sich die Teilnehmer ihrer Empathie oder Perspektivübernahme bedienten – um so für jede der beiden sozialen Kompetenzen die Kernregionen im Gehirn zu lokalisieren.
Sie erfassten zudem, worin sich die MRT-Muster je nach konkreter Aufgabe unterschieden und welche demzufolge jeweils zusätzlich herangezogene Hirnregionen sind. „Beide Gesamtkompetenzen werden jeweils von einem auf Empathie oder Perspektivwechsel spezialisierten ‚Hauptnetzwerk‘ im Gehirn verarbeitet, die in jeder sozialen Situation aktiviert werden, ziehen aber je nach Situation zusätzliche Netzwerke hinzu“, so Kanske.
Lesen wir die Gedanken und Gefühle anderer Menschen beispielsweise von deren Augen ab, seien andere Zusatzregionen beteiligt, als wenn wir sie aus deren Handlungen oder aus einer Erzählung erschließen müssen. „Das Gehirn kann so sehr flexibel auf die einzelnen Anforderungen reagieren“, berichten die Forscher.
Sozialen Probleme erfordern laut den Forschern oft eine Kombination aus Empathie und Perspektivwechsel. Personen, die besonders sozial kompetent sind, scheinen demnach andere Menschen auf beide Arten zu betrachten, also auf der Grundlage von Gefühlen und auf der von Gedanken.
„Unsere Analyse zeigt aber auch, dass Mangel an einer der beiden Sozialkompetenzen auch bedeuten kann, dass nicht die Kompetenz als Ganzes begrenzt ist. Womöglich ist nur ein bestimmter Teilfaktor betroffen, etwa das Verständnis von Mimik oder Sprachmelodie“, so Kanske. Ein einzelner Test reiche daher nicht aus, um einer Person mangelnde soziale Fähigkeiten zu bescheinigen.