DIABETES MELLITUS - Besorgniserregende Entwicklungen

Vorher kommen wir aber zur Entstehung der Zuckerkrankheit Typ II. Im Gegensatz zu Typ I funktionieren hier die Beta-Zellen ganz gut. Sie werden auch nicht durch das körpereigene Immunsystem angegriffen, sondern produzieren fleißig ihr Insulin, das dafür sorgt, dass Glukose aus dem Blut in die Zellen gelangt. So weit, so gut. Allerdings gibt es im menschlichen Körper bestimmte Kontrollmechanismen. Die sind dafür verantwortlich, durch Anpassungen verschiedener Regelgrößen andere Sollgrößen in definierten Bereichen zu halten. Das ist jetzt ein kleines bisschen kompliziert.

Sie können sich das wie bei einer Badewanne vorstellen. Sie haben einen sehr anspruchsvollen Partner, der ausschließlich bei einer Wassertemperatur von 38,5°C baden möchte. Da Sie ein liebevoller und besorgter Mensch sind, wollen Sie natürlich nur das Beste und lassen ihrem Schatz nach getaner Arbeit ein heißes Bad ein. Um dessen strengen Ansprüchen auch gerecht zu werden, halten Sie ein digitales Thermometer ins warme Wasser. Durch Veränderung der Einlasstemperatur können Sie die Wassertemperatur nun genauestens regeln. Ihr Partner wird es Ihnen danken!

Unser Körper funktioniert nicht anders. Allerdings muss er sich langfristigen Änderungen anpassen. Vielleicht entscheidet Ihr Liebling ja irgendwann, jetzt nicht mehr bei 38,5°C, sondern bei 38°C baden zu wollen. In solch einem Fall müssen Sie natürlich umgehend reagieren. Und das tun Sie, indem Sie den Sollwert (also die Wassertemperatur) anpassen. Wenn der Körper nun über Jahre und Jahrzehnte hinweg mit Zucker bombardiert wird, dann steigt auch die Menge an benötigtem Insulin, und der Körper passt sich an. Denn unsere Zellen brauchen nicht so viel Glukose, wie ihnen zur Verfügung steht. Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift. Also greifen die Zellen in die Trickkiste und machen sich selbst resistent gegen Insulin. Man kann das ganz gut mit Bakterien vergleichen, die irgendwann nicht mehr auf ein bestimmtes Antibiotikum reagieren. Der Körper baut also eine Resistenz  gegen einen von ihm eingesetzten Stoff auf. Demzufolge kommt dann zwar in den Zellen nicht mehr ganz so viel Zucker an – dafür steigt aber auch der Blutzuckerspiegel.

Prof. Dr. Andreas Fritsche ist Inhaber des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin und Prävention im Bereich Diabetologie des Universitätsklinikums Tübingen. Im Interview erzählt er, warum die Diabetologie eine der schwierigsten Disziplinen innerhalb der Inneren Medizin ist und wie Assistenzärzte trotzdem zu Erfolgserlebnissen kommen.

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In erster Linie ist diese Insulinresistenz also ein Schutzmechanismus. Irgendwann wird das aber zum Problem – spätestens dann, wenn die »Abneigung« gegen das Insulin so hoch ist, dass kaum mehr Zucker in die Zelle gelassen wird. Der fehlt dann nämlich wieder im Stoffwechsel. Logischerweise hungert die Zelle also. Es wird also immer mehr Insulin benötigt, um den Blutzuckerspiegel in normalen Bereichen zu halten. Die Bauchspeicheldrüse produziert aber trotzdem nicht mehr als möglich. 

Ich versuche, Ihnen das mal an einem konkreten Beispiel zu erläutern: Bei gesunden Menschen reagiert die Bauchspeicheldrüse auf ein Molekül  Zucker, das durch die Nahrung aufgenommen wird, mit dem Ausschütten von einem Molekül Insulin. Beide treffen sich bei der Zelle, das Insulin öffnet die Tür für den Zucker, alles ist gut. Beim Typ-I-Diabetiker reagiert die Bauchspeicheldrüse mit der Ausschüttung eines halben Moleküls Insulin, es fehlt also ein halbes. Je schlimmer die Zerstörung der Beta-Zellen voranschreitet, desto weniger Insulin steht zur Verfügung. Der Zucker sammelt sich vor der Zelle, wie wartendes Publikum vor einem überfüllten Nachtclub. Beim Typ-II-Diabetiker reagiert die Bauchspeicheldrüse wie beim normalen Menschen. Sie schüttet ein Molekül Insulin für jedes Molekül Zucker aus. Weil die Zellen aber gar nicht so viel Zucker reinlassen können (der Nachtclub ist voll), müssen sie auf einen Trick zurückgreifen. Sie entscheiden, dass ab jetzt nicht nur ein Molekül Insulin pro Molekül Zucker benötigt wird, um Einlass zu bekommen, sondern zwei oder drei oder vier – und so weiter und so fort. Das nennt man Downregulation.

Hinzu kommt, dass auch beim Diabetes Typ II die Beta-Zellen irgendwann abbauen. Das hat aber keine autoimmunbedingten Gründe, sondern geschieht als Folge der kontinuierlichen Überlastung. Im späten Stadium liegt also eine Mischung aus Insulinresistenz (immer mehr Insulinmoleküle werden benötigt) und Insulinmangel (es wird weniger Insulin produziert) vor. 

Effekte eines erhöhten Blutzuckerspiegels

Wenn wir uns jetzt aber mal anschauen, was der erhöhte Blutzuckerspiegel mit unserem Körper anrichtet, dann wird es wieder etwas einfacher. Denn die Effekte der beiden Diabetestypen ähneln sich sehr, schließlich ist das Resultat im Grundsatz das gleiche: ein hoher Blutzuckerspiegel . Und der hat so einige negative Konsequenzen. Wir hatten vorhin schon einmal erwähnt, dass süße Flüssigkeiten kleben. Das ist aber nicht die einzige negative Eigenschaft. Süßes Wasser hat auch eine viel höhere osmotische Konzentration. Was ist das denn jetzt schon wieder?

Stellen Sie sich eine hauchdünne Membran ähnlich einer Folie vor. Diese Membran hat eine ganz wichtige Eigenschaft, nämlich die, dass sie außer Wasser keinen anderen Stoff passieren lässt. Wasser hingegen kann sich frei von einer auf die andere Seite bewegen. Wir nennen diese Art der Membran semipermeabel, also halbdurchlässig. Das klingt jetzt wieder mal alles ziemlich stark nach Chemieunterricht 8. Klasse, ist aber wichtig, um die Symptome des Diabetes zu verstehen. Stellen wir uns nun vor, wir trennen mit der Membran ein Glas Wasser in der Mitte. Es entstehen zwei Hälften, die aber den gleichen Inhalt haben – nämlich Wasser.

In eine dieser Hälften geben wir jetzt einen Esslöffel Zucker hinzu. Nun passiert Folgendes: Das Wasser der Seite ohne Zucker wird von dem der Seite mit Zucker angezogen. Weil nur Wasser und nicht Zucker durch die Membran treten kann, beginnt das Wasser also, von der Seite der niedrigen zur Seite der hohen Zuckerkonzentration zu strömen, um einen Ausgleich zu schaffen.

Anstelle des Wassers können Sie jetzt das Blutplasma setzen, das zu großen Teilen aus Wasser besteht. Und diese Art von Membranen befindet sich – Sie werden es vielleicht vermutet haben – in den Nieren. Nun sind die dort befindlichen Häutchen zwar etwas komplizierter aufgebaut, grundsätzlich folgen sie aber den gleichen Regeln. Ist das Blut nämlich zu süß, also befindet sich zu viel Glukose darin, so entzieht diese dem Körper viel zu viel Wasser. Das funktioniert im Großen und Ganzen exakt nach dem Prinzip des osmotischen Konzentrationsgradienten und hat zur Folge, dass die Patienten nach und nach immer größere Mengen Wasser lassen müssen. Konsequenterweise haben sie auch größeren Durst, sodass eine erhöhte Harnmenge, gepaart mit größerem Durst, ein erstes Anzeichen von Diabetes sein kann.

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