SCHLAGANFALL - Luftnot im Hirn

Wie erklärt man dem Patienten sein Krankheitsbild, so dass er es versteht? In unserer Reihe „Komplizierte Krankheit - anschaulich dargestellt“, werden exklusiv Auszüge aus dem neuen Buch von Spiegel-Bestseller-Autor Falk Stirkat veröffentlicht. Dieses Mal im Fokus: Der Schlaganfall.

Falk Stirkat ist Gastautor bei Operation Karriere

Was ist ein Schlaganfall, und woher kommt das Wort? Tatsächlich liegt dessen Ursprung nicht etwa, wie man vielleicht meinen könnte, in der Suggestion, man würde einen Schlag ins Gesicht oder auf den Kopf bekommen. Das Wort ist dadurch entstanden, dass die Erkrankung in aller Regel schlagartig und plötzlich auftritt. Im Gehirn des Betroffenen geschieht also ganz unerwartet irgendetwas sehr Schlechtes. Dabei kann es sich um zwei Dinge handeln, die ohne Computertomographie, also die Schichtbildaufnahme des Schädels mitsamt Inhalt, überhaupt nicht auseinanderzuhalten sind.

Zum einen kann es im Oberstübchen zu einer Blutung kommen , zum anderen zum Verschluss einer Arterie. Obwohl es sich hier offenkundig um zwei völlig verschiedene Mechanismen handelt, haben beide denselben Effekt auf unser Gehirn – es kommt zur Unterversorgung des Organs mit Sauerstoff. Das ist im Gehirn noch kritischer als in anderen Organen. Das Herz kann kaum 90 Minuten ohne Sauerstoff auskommen, bis es beginnt, nachhaltig zugrunde zu gehen. Der Darm schafft ungefähr drei bis vier Stunden, und die Extremitäten können schon einmal sechs Stunden von der Blutversorgung abgeschnitten sein, ohne abzusterben. Das Gehirn allerdings überlebt ohne das lebenswichtige Gas lediglich ein paar Minuten. Bleibt der Sauerstoffmangel länger bestehen, sterben wichtige Teile des Organs irreversibel  ab. Zu was das führt, werden wir später noch sehen. Der den beiden Schlaganfallarten zugrunde liegende Mechanismus unterscheidet sich allerdings erheblich.

So kommt es bei einer Blutung zum Austritt von Blut aus den Blutgefäßen. Die freie Flüssigkeit übt nun Druck auf das umliegende Gewebe aus und komprimiert so seinerseits die winzigen Kapillaren, die das Gehirn bis zur letzten Nervenzelle durchziehen. Weil in diesen Bereichen dann nicht mehr genügend Sauerstoff ankommt, sterben sie ab. Auch beim akuten Gefäßverschluss sterben Nervenzellen ab. Hier funktioniert das Ganze aber ähnlich wie beim Herz- oder Darminfarkt. Durch den Verschluss können die nachfolgenden Gebiete schlicht nicht mehr mit Blut und folglich auch nicht mit Nährstoffen versorgt werden.

Weil das Gehirn so unglaublich wichtig ist und dessen Ausfälle so irre gefährlich sind, hat die Natur einige Sicherheitsmechanismen eingebaut. So kann der Verlust einer einzelnen Arterie manchmal verkraftet werden, ohne dass es zu augenscheinlichen Störungen kommt. Um das nachvollziehen zu können, müssen wir uns die Blutversorgung des Gehirns etwas genauer anschauen.

Blutversorgung des Gehirns über vier verschiedene Wege

Unser Denkzentrum wird prinzipiell über vier verschiedene Wege mit Blut versorgt. Zum einen wären da die beiden Halsschlagadern, deren Puls Sie gut spüren können, wenn Sie an der Halsvorderseite direkt neben dem Kehlkopf Hand anlegen. Außerdem gibt es die sogenannten Vertebralarterien. Das sind zwei dicke Gefäße, die das Gehirn vom hinteren Teil des Halses aus versorgen und sehr nahe an den Wirbelkörpern der Halswirbelsäule verlaufen. Und jetzt kommt das Geniale: An der Schädelbasis treffen sich alle vier Gefäße und bilden eine Art Kreisverkehr des Blutes, den sogenannten Circulus Willisii. Das ist der Grund, weshalb die Blutversorgung des Hirns teils sogar aufrechterhalten werden kann, wenn eine der Arterien verstopft ist, weil ja die anderen immer noch genug Blut liefern.

Der Circulus wird also über vier Gefäße gespeist und versorgt seinerseits dann das Gehirn. Er kann somit als eine Art Speicher verstanden werden. In Anbetracht der kurzen Zeit, die das Hirn ohne Sauerstoff auskommt, ist dieser Back-up-Mechanismus nicht nur ein Wunderwerk der Natur, sondern auch dringend notwendig.

Aber trotzdem kann es durch einen Gefäßverschluss an der falschen Stelle zu einer plötzlichen Unterversorgung kommen. 

Obwohl es nun diese zwei verschiedenen Arten des Schlaganfalls – also den durch eine Blutung und den durch einen Gefäßverschluss ausgelösten – gibt, werden wir uns im Folgenden lediglich um die zweite Art des Schlaganfalls kümmern, weil der in der täglichen Praxis doch häufiger vorkommt als die Hirnblutung, die ihrerseits ganz anders behandelt wird.

Gründe für den Gefäßverschluss im Gehirn

Wie kommt es also zum plötzlichen Gefäßverschluss im Gehirn? Die Prinzipien sind eigentlich denen anderer Infarkte wie im Darm oder im Herzen sehr ähnlich. Dementsprechend existieren also zwei grundlegende Mechanismen. Zum einen kann ein Gefäßverschluss durch eine Verkalkung bedingt sein. Wie beim Herzen auch kommt es nach und nach zu einer Verengung der Gefäße. Irgendwann ist die Engstelle (wir sprechen von einer Stenose) so ausgeprägt, dass nur noch sehr wenig Blut im Oberstübchen ankommt. Durch kleine Verletzungen in den Kalkablagerungen, wie sie beispielsweise durch einen überdurchschnittlich hohen Blutdruck oder Blutdruckspitzen hervorgerufen werden können, kann es zum Einriss in die verkalkte Gefäßinnenhaut und in direkter Folge zum kompletten Gefäßverschluss kommen. Das liegt daran, dass das Gerinnungssystem versucht, den Einriss durch einen Grind zu verschließen. Der wiederum hat das Potenzial, das gesamte Gefäß zu verschließen. Je nachdem, wo genau das passiert, hat dieser Verschluss entweder sehr ausgeprägte, möglicherweise aber auch überhaupt keine Konsequenzen für den Patienten, weil die Blutversorgung ja über den Circulus Willisii (Was für ein Name, oder?) gesichert wird. Liegt die Blockade aber an einer ungünstigen Stelle oder sind auch andere Gefäße betroffen, kann daraus ein Schlaganfall resultieren.

Die andere Möglichkeit, wie man sich einen Apoplex, wie der Schlaganfall von Medizinern genannt wird, einfangen kann, ist über die Einschwemmung von Blutklümpchen ins Gehirn. Wir haben das bereits zweimal kennengelernt – zum einen beim Vorhofflimmern und zum anderen beim Darminfarkt. Schlägt das Herz unregelmäßig, so kann es zur Verklumpung vom Blut im engen Herzohr kommen. Diese Klümpchen können sich lösen und zu Embolien werden, die vom Herzen durch den gesamten Körper gespült werden. Irgendwann kommen sie an einem Gefäß an, das zu eng ist, um sie durchzulassen. In welchem Organ das nun ist, hängt einfach vom Zufall ab. Im Falle des Schlaganfalls muss logischerweise das Gehirn daran glauben. Oft sind die Klümpchen nicht besonders groß, und es kann durchaus vorkommen, dass sie durch den Circulus Willisii durchgespült werden und dann irgendein kleineres Gefäß verstopfen. In so einem Fall gibt es keinen Back-up-Mechanismus mehr, und es kommt sofort zum Apoplex.

Aber nicht nur das Vorhofflimmern kann zu emboliebedingten Schlaganfällen führen. Die Verklumpungen können sich durchaus auch an anderen Stellen bilden und trotzdem ins Herz gelangen. Ein interessantes Beispiel für solch einen alternativen Weg ist das sogenannte Foramen ovale. Dabei handelt es sich um ein winziges Löchlein zwischen den beiden Herzhälften. Manche Menschen haben das einfach, und es macht ihnen nie Probleme. Weil das Loch so klein ist, kann das Herz seine normale Tätigkeit trotzdem ungehindert ausführen. Allerdings bilden sich in den Venen, in denen das Blut viel langsamer fließt als in den Arterien, natürlich viel häufiger kleine Blutgerinnsel als in den Arterien. Die werden dann unter normalen Bedingungen in die Lunge gespült, wo sie sich entweder auflösen oder eine kleine Lungenembolie  auslösen. Im Falle des kleinen Löchleins im Herzen ist es aber durchaus möglich, dass kleinere Blutklümpchen von der rechten in die linke Herzhälfte wandern, um dann von dort aus ins Gehirn gespült zu werden. Zwar ist dieser Mechanismus der Schlaganfallentstehung eher selten, trotzdem kommt es ab und an vor, dass bei Apoplex-Patienten ein entsprechendes Löchlein gefunden wird.

Beschwerden bei Schlaganfällen sind sehr heterogen

Wie macht sich ein Schlaganfall aber jetzt bemerkbar? Welche Beschwerden äußert der Patient? Wir haben ja schon kurz besprochen, dass das Wort »Schlaganfall« von »schlagartig« kommt. Die Symptome treten also ganz plötzlich auf. Weil das Gehirn aber ein so unglaublich komplexes Organ ist, sind die Beschwerden auch extrem heterogen. Denkt man beim Herzinfarkt als Allererstes an Brustschmerzen, so gibt es beim Schlaganfall keine ganz so typische Präsentation. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Erkrankung durch den plötzlichen Ausfall bestimmter Hirnfunktionen charakterisiert ist. Welche das sind, hängt natürlich vom Areal ab, das durch den plötzlichen Sauerstoffmangel geschädigt wurde. So reichen die Symptome von der plötzlichen einseitigen Blindheit, bedingt durch den Wegfall der Blutversorgung der Netzhaut, bis hin zu Schwindel oder dem Kontrollverlust einer Körperhälfte. Aber auch Sprachstörungen oder Bewusstseinsveränderungen können Ausdruck eines Apoplex sein. In der Regel treten die Beschwerden nur auf einer Körperseite auf. Das liegt daran, dass die Nervenbahnen irgendwann in ihrem Verlauf vom Hirn in den Körper oder andersherum von einer Seite zur anderen wechseln. So ist die rechte Hirnhälfte für die Bewegungen der linken Körperhälfte zuständig. Das Gesicht ist hier ausgenommen – das unterliegt eigenen Spielregeln. Kann ein Patient beispielsweise die rechte Körperhälfte nicht mehr bewegen, so ist anzunehmen, dass er einen Schlaganfall in einem linken Hirnareal hat. Neurologen sind in der Lage, nur anhand des Beschwerdebildes ziemlich genau festzustellen, wo der Apoplex stattgefunden hat. Manchmal können sie sogar das Gefäß benennen, ohne weitere diagnostische Maßnahmen durchführen zu müssen.

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