Die Medizin wird zunehmend weiblich: Vor 100 Jahren wurden die ersten Frauen zum Medizinstudium zugelassen. 1970 waren 20 Prozent der Mediziner weiblich, heute sind es knapp 50 Prozent – Tendenz steigend, denn schon jetzt sind bei den jüngeren Ärzten unter 45 Jahren die Frauen in der Überzahl.
Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich für mehr Gleichberechtigung und eine bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf einzusetzen. Ein anderes Thema sei die gendergerechte Gesundheitsversorgung. Dabei gehe es nicht zwangsläufig immer nur um die Perspektive der Frauen – es mache Sinn, beide Seiten zu betrachten, erklärte Groß dem Publikum in Berlin.
Karriereknick kommt mit der Mutterschaft – immer noch
Vor allem bei Frauen führt häufig ein stärkerer Fokus auf die Familie zu einem Karriereknick: Neben einer Schwangerschaft, Elternzeit und Kindererziehungszeiten kann das beispielsweise auch die Pflege von älteren Angehörigen sein. Da vor allem Forschungsarbeit meistens in der Freizeit geleistet werde, können Frauen meist nicht auf hohem Niveau weiterforschen, wenn sie Kinder haben.
Für schwangere Frauen sei schon viel erreicht worden. Zusätzlich fordere der DÄB, die Elternzeit der Väter auszuweiten und paritätische Elternzeit einzuführen, um die Familienaufgaben gleichmäßiger zu verteilen, erklärte Groß. Außerdem sollten Arbeitgeber Teilzeitoptionen für beide Elternteile anbieten und alternative Arbeitszeitmodelle anbieten. Hier gehe es auch gesamtgesellschaftlich darum, die alten Rollenklischees zu verändern.
Work-Life-Balance: Anspruch und Wirklichkeit
Ziel des DÄB sei es nicht allein, sich einseitig für Frauen einzusetzen – Work-Life-Balance sei ein Thema für alle Mediziner, betonte Groß mehrmals: So sagen in einer Umfrage des Marburger Bundes 60 Prozent der befragten Ärzte, dass ihnen neben der Arbeit nicht genug Zeit für das Privat- bzw. Familienleben bleibt. Und das, obwohl dieses Thema für mehr als 70 Prozent sehr wichtig oder sogar am wichtigsten ist.
Betrachte man die Arbeitszeiten, zeige die Umfrage, dass sich eine überwiegende Mehrheit von 90 Prozent nicht mehr als 48 Wochenarbeitsstunden für ideal halte – inklusive aller Überstunden und Dienste. Tatsächlich betrage die Wochenarbeitszeit aber bei mehr als 60 Prozent der Befragten 49 Stunden oder mehr – mehr als 20 Prozent arbeiten sogar mindestens 60 Stunden pro Woche.
Um eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen, seien strukturelle Veränderungen nötig, erklärte Groß. So müsse die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Wert und Norm in der Gesellschaft verankert werden. Aus- und Weiterbildungen sollten flexibel auch in Teilzeit ermöglicht werden – auch im ambulanten Sektor. Wer aus der Elternzeit in den Job zurückkehre, solle durch spezielle Wiedereinstiegs-Programme gefördert werden.
Eine Lösung sei die Besetzung von Positionen in Teilzeit – und zwar bis ganz nach oben: 86 Prozent halten ein Jobsharing beispielsweise auch bei Spitzenpositionen für machbar - mit einer Doppelspitze in der Klinikleitung. Ganz konkret kennen viele der Befragten habilitierten Internistinnen einen Mann oder eine Frau, mit der sie sich eine gemeinsame Doppelspitze vorstellen könnten.
Jede/r kann selbst aktiv werden
Doch nicht nur die Arbeitgeber und die Politik sind gefragt: Groß wies darauf hin, was jeder selbst tun könne: Zentral sei es, sich rechtzeitig über eine Klinik bzw. eine bestimmte Abteilung zu informieren, bevor man einen Job annehme, der nicht mit der eigenen Lebensplanung vereinbar sei. Außerdem sei ein gutes Zeitmanagement wichtig. Auch die Rollenverteilung innerhalb der Familie müsse eventuell überdacht werden – hier sei auch der Partner / die Partnerin gefragt. Unterstützung können auch Mentorenprogramme bieten, wie es sie beispielsweise an allen Unikliniken gebe. Wer aktiv an den Veränderungen der Rahmenbedingungen teilnehmen wolle, müsse sich in der Berufspolitik, also in Kammern und Verbänden, engagieren.
Operation Karriere Berlin, 03.11.2018. "Karriere und Kinder – Kraftakt und Hindernislauf für Ärztinnen und Ärzte", Dr. med. Christiane Groß, M.A., Präsidentin, Deutscher Ärztinnenbund (DÄB), Berlin.