Herr Prof. Petersen, Sie sind heute ein weltweit anerkannter Spezialist für die Gallengangatresie – eine seltene Erkrankung, die pro Jahr ca. 35-40 Kinder in Deutschland betrifft. Wie war Ihr persönlicher Werdegang?
Prof. Claus Petersen: Ursprünglich wollte ich etwas ganz Anderes machen: Ich bin nach dem Studium in die Dritte-Welt-Medizin gegangen und habe in Westafrika als Entwicklungshelfer gearbeitet. Da bin ich wirklich mit dem Motorrad durch den Busch gefahren und wir haben Medizin nach dem Prinzip „Primary health care“ oder „Where there is no doctor“ gemacht. Als meine Frau und ich dann unser erstes Kind bekommen haben, bin ich nach Deutschland zurückgekommen. Damals war es schwierig für Ärzte, einen Job zu finden. Mein Doktorvater hier in Hannover hat mir geraten, Kinderchirurg zu werden – und er hat sich dafür eingesetzt, dass ich eine Stelle bekommen habe. Ich bin dann für meine Facharztausbildung als Allgemeinchirurg nochmal nach Süddeutschland gezogen und danach nach Hannover zurückgekehrt – und jetzt bin ich seit 1991 an der MHH.
Wie sind Sie Spezialist für die Gallengangatresie geworden?
Prof. Claus Petersen: Ich hatte eigentlich nie vor, eine wissenschaftliche Karriere zu machen. Aber Anfang der 90er Jahre waren die Stellen knapp und ob ein Vertrag an der Uni verlängert wurde, war auch von den wissenschaftlichen Projekten abhängig. Also habe ich irgendwann mit dem Forschen angefangen, um meinen Job zu sichern. Ein erstes Projekt hat nicht funktioniert, das habe ich abgebrochen. Und dann habe ich ganz zufällig einen Kollegen aus der Kindermedizin getroffen, der in den USA an Mäusen geforscht hatte. Die neugeborenen Tiere hatten im Laufe der Versuche etwas Ähnliches wie die Gallengangatresie entwickelt. Die US-amerikanischen Forscher interessierte das aber nicht – die wollten eigentlich einen Impfstoff gegen das Rotavirus entwickeln. Also kam dieser Kollege mit dem Vorschlag auf uns Kinderchirurgen zu, diese Geschichte weiterzuverfolgen und über die Gallengangatresie zu forschen. Außer mir war niemand daran interessiert und ich dachte, ich versuche es noch ein einziges Mal, wissenschaftlich zu arbeiten – falls das nicht geklappt hätte, hätte ich die Hochschule verlassen. Um es kurz zu machen: Es hat geklappt. Ich habe dieses Tiermodell für die Gallengangatresie zwar nicht erfunden, aber ich habe es validiert und ich bin bis heute international dafür bekannt, dass ich dieses Modell etabliert habe – und ich arbeite auch heute noch damit. Aber dass es so gekommen ist, war reiner Zufall.
Wie haben Sie sich damit international einen Namen gemacht?
Prof. Claus Petersen: Erstmal kannte mich ja keiner. Ich war über 40 und hatte nur ein paar Maus-Versuche veröffentlicht. Ich habe dann weiter zum Thema publiziert. Meine Expertise hat sich dann kontinuierlich entwickelt. Heute gehöre ich zu den wenigen Menschen auf der Welt, die als Experten für diese Erkrankung gelten – das kann ich so ganz unbescheiden sagen (lacht). Das ist daran erkennbar, dass ich überall auf der Welt eingeladen werde und dort Vorträge halte – als einer von nur ganz wenigen Europäern. Insgesamt habe ich inzwischen drei internationale Kongresse zum Thema organisiert, bei denen die weltweit wichtigsten Leute aus diesem Bereich zusammengekommen sind. Bei unserem letzten Kongress in Berlin waren 170 Leute aus 40 Ländern dabei – das ist im Grunde dieser Expertenkreis. Wobei die meisten keine Chirurgen sind, sondern gastroenterologische Pädiater mit Schwerpunkt Hepatologie. Seit meinem ersten Kongress bin ich in diesem Kreis angekommen – in dieser Community kennt man sich einfach und kommuniziert eng miteinander.
Was genau ist eine Gallengangatresie?
Prof. Claus Petersen: Wir haben zwar einen Namen für diese Erkrankung, aber wir haben keine Ahnung, was es eigentlich ist. In Europa ist eines von 19.000 Neugeborenen betroffen – in Asien ist die Erkrankung deutlich häufiger. Die meisten dieser Kinder werden gesund geboren. Aber dann entsteht durch irgendeinen Mechanismus, den wir nicht kennen, eine Entzündung des gesamten Gallenwegsystems. Das betrifft alle Gallenwege in der Leber, aber auch die Wege, die die Galle von der Leber in den Zwölffingerdarm transportieren sollen. Wir sehen diesen Prozess erst dann, wenn er ein bestimmtes Stadium erreicht hat und die Galle nicht mehr fließen kann. Dann werden die Kinder gelb, der Stuhl ist entfärbt und der Prozess schreitet fort. Wir können das nicht aufhalten. Der Prozess ist zwar selbstlimitierend, aber vorher werden die Gallengänge zerstört, die in den Zwölffingerdarm führen. Wenn die Entzündung dann von allein verschwindet, kann die Galle schon nicht mehr in Richtung Verdauungstrakt fließen – es gibt keinen Weg mehr.
Mehr Informationen rund um die Gallengangatresie gibt es auf der Seite www.bard-online.com, die Prof. Claus Petersen selbst betreut, oder beim European Reference Network for rare or low prevalence complex diseases (www.rare-liver.eu).