Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Universitätsklinikums Freiburg präsentiert in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Society“ (PNAS) eine mathematische Analyse-Methode, um den Erregungszustand des Gehirns ohne äußeren Einfluss zu bestimmen. „Es ist uns erstmals gelungen, die Erregbarkeit des Gehirns ohne vorherige Stimulation zu messen“, sagt der Co-Autor der Studie Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrums an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg und Mitglied des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools der Universität Freiburg. „Damit ist eine wichtige Grundlage geschaffen, um auch längerfristige Messungen, etwa zur Sicherung einer guten Anfallskontrolle, zu ermöglichen“, so Schulze-Bonhage.
Mathematik soll riskante Hirn-Stimulation überflüssig machen
Als eine der Hauptursachen von Epilepsie gilt eine übermäßig starke Grunderregung des Gehirns. Deren Messung war bisher nur möglich, indem man das Gehirn des Patienten elektrisch oder magnetisch stimulierte. Dies ist jedoch aufwändig und kann einen epileptischen Anfall auslösen. Das nun vorgestellte Verfahren soll die Messung sicherer machen, Langzeit-Untersuchungen ermöglichen und somit eine objektive Therapiekontrolle in Aussicht stellen.
Bedeutung für Therapiekontrolle und Anfallsprävention
Die Forscher zeigten außerdem, dass die Erregbarkeit des Gehirns unter anti-epileptischen Medikamenten zurückging. In Zukunft ließe sich damit, so die Einschätzung der Forscher, der Erfolg von Therapien in Echtzeit kontrollieren. Auch für die Anfallsvorhersage könnte die Methode von Bedeutung werden. „Wir haben die Hoffnung, anhand des Erregungsmusters Phasen besonders hoher Anfallswahrscheinlichkeit identifizieren zu können“, sagt Schulze-Bonhage. Die Patienten könnten sich in diesen Phasen besonders vorsichtig verhalten und etwa Autofahrten unterlassen. Zudem würde dies zeitlich gezielte Behandlungen ermöglichen.
Bei Schlafentzug wird das Gehirn besonders leicht erregbar
Auch der Schlaf-Wach-Rhythmus hat nach Erkenntnissen der Forscher Einfluss auf den Erregungszustand des Gehirns. Als Maß für die Grunderregung untersuchten die Forscher, wie stark verschiedene Bereiche des Gehirns im Gleichtakt arbeiten. Diese synchrone Aktivität ist bekanntermaßen bei Epilepsie erhöht. Bisher wurde dafür mit Hilfe der Elektroenzephalografie (EEG) gemessen, wie sich die Hirnströme nach einer direkten Stimulation des Gehirns verändern. Nun gelang es den Forschern, diese Grunderregung in den EEG-Daten auch ohne Stimulation zu zeigen. Im direkten Vergleich mit der bisherigen Methode wiesen sie nach, dass die neue Methode bereits sehr zuverlässig funktioniert.
Die Messungen zeigten starke Schwankungen im Tagesverlauf. Zudem wurde bei acht gesunden Probanden während eines 40-stündigen Schlafentzugs die Erregbarkeit gemessen. Je länger die Probanden wach waren, desto höher war auch der gemessene Erregungszustand des Gehirns. „Das passt zu der Beobachtung, dass epileptische Anfälle gehäuft bei Schlafmangel auftreten“, sagt Schulze-Bonhage. „Außerdem gibt es einen wichtigen Hinweis auf eine ganz grundlegende Funktion des Schlafes: nämlich eine Normalisierung der Hirnerregbarkeit.“
Messung der Hirnaktivität
Für seine Studie wertete das Wissenschaftler-Konsortium aus Deutschland, USA und Australien Daten von zwölf Epilepsie-Patienten aus. Alle Patienten waren medikamentös nur mangelhaft behandelbar. In Vorbereitung auf eine deshalb notwendige operative Epilepsie-Therapie wurde die Hirnaktivität mit EEG-Elektroden gemessen. Die Elektroden wurden dafür neurochirurgisch auf oder in die Gehirnoberfläche implantiert. Bei den gesunden Probanden wurden die EEG-Elektroden auf der Kopfhaut platziert.
Weitere Untersuchungen müssen nun prüfen, ob unterschiedliche Formen der Epilepsie im Erregungsmuster voneinander abweichen und wie gut die Vorhersagekraft bei einzelnen Patienten ist. Diese Informationen sind eine Grundvoraussetzung für mögliche Verfahren zur Anfallsvorhersage.