Empathisch zu sein, wird für Ärzte immer schwieriger

Für Ärzte wird es im Praxisalltag immer schwieriger, Empathie und Humor zu bewahren. Das verdeutlichte Stefan Gesenhues, Hausarzt aus Ochtrup im Münster­land und Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin des Univer­sitätsklinikums Essen, kürzlich anlässlich einer Abendvorlesung der Universität Witten/Herdecke.

Empathisch bleiben bei jedem einzelnen Patienten: Wenn der Praxisalltag stressig ist, fällt das manchmal schwer. | bnenin - stock.adobe.com

Probleme entstehen dadurch für Patienten und Ärzte gleichermaßen. „Jeden Morgen, wenn ich mit dem Fahrrad zur Praxis fahre, und das ist schon um Viertel vor sechs, weil wir so früh anfangen müssen, um über den Tag zu kommen, geht mir nur ein Thema durch den Kopf: Wie bleibe ich über den Tag empathisch“, so der Hausarzt aus Ochtrup im Münsterland. „Und ich sage Ihnen: Es gelingt mir nicht“, so Gesenhues.

Auch fehle ihm die Zeit, vor dem Betreten des Sprechzimmers innezuhalten und sich zu überlegen, welchen Eindruck er wohl jetzt beim Patienten hinterlassen werde. „Wir haben im letzten Winter mehr als 40 Patienten am Tag durchgehend von morgens um sieben bis abends um sieben in der Praxis gehabt, die keinen Termin hatten“, berich­tete der Universitätsprofessor.

Er habe in der Praxis, die normalerweise als „Terminpraxis“ arbeite, inzwischen eine „Akuteinheit“ eingerichtet, die lediglich aus einem Stehpult für den Arzt sowie einem Stuhl und einer Liege für den Patienten bestehe, um diese Zahl an Patienten bewälti­gen zu können. „Alles, was ich meinen Studierenden in Essen zum Thema ‚Ärztliche Kommunikation‘ beibringe, dagegen verstoße ich den ganzen Tag.“ Studierenden, die in seiner Gemeinschaftspraxis, die er zusammen mit sechs Kollegen betreibt, ein Praktikum oder eine Famulatur absolvierten, empfehle er, „ganz schnell alles zu vergessen“, was er ihnen an der Uni beigebracht habe.

Politische Lösung gefordert

„Empathie bei Medizin im Minutentakt ist fast nicht mehr zu leisten. Da warte ich immer noch auf ein Rezept“, sagte Gesenhues. Ihm gelinge das nicht mehr, obwohl er inzwischen seit rund 40 Jahren in der Medizin tätig sei. Seiner Ansicht nach ist es heute die größte Herausforderung in der Medizin, empathisch zu bleiben.

Ein weiteres Problem dabei: „Uns geht die Authentizität verloren, weil wir die Patienten schon lange nicht mehr so behandeln, wie wir sie eigentlich behandeln wollen.“ Seine Patienten seien dadurch „maximal unterversorgt – auch die, die schwer krank sind“. Seit mehr als acht Monaten gebe es einen Aufnahmestopp für neue Patienten. „Für unsere Mitarbeiterinnen ist es das Schlimmste jeden Tag, Patienten am Telefon abzu­sagen.“ Kämen Patienten dennoch in die Praxis, würden sie zwar akut versorgt, da­nach aber weggeschickt.

Nach Ansicht Gesenhues‘ ist das Problem nur politisch zu lösen. „Wir brauchen ande­re Zugangswege zur Versorgung und deutlich mehr Selbstverantwortung der Patien­ten.“ Jetzt hätten sie keinerlei Verantwortung zu tragen und die elektronische Gesund­heitskarte als „Freifahrtschein, sich permanent zu bedienen“. „Und wir als Ärzte sind die, die das Ganze regeln sollen. Wir können das aber nicht mehr regeln.“ Zu den größten täglichen Herausforderungen gehöre es, den Patienten zu erklären, was sie alles nicht bekommen können. „Und dabei geht ganz viel Empathie verloren.“ Für ihn sei das „ein Riesenproblem“.

Schlecht für die Arztgesundheit

Als „ein großes Problem“ bezeichnete es Tobias Esch, Institut für Integrative Ge­sund­heitsversorgung und Gesund­heits­förder­ung, der Universität Witten/Herdecke, dass auf der Negativseite Dinge wie Sucht, Depression und Suizidalität zunehmen in gleichem Maße, wie Empathie und das Erleben, einge­bun­den zu sein, abnehmen. Das zeigten erste Auswertung des Forschungsprojekts „GAP – Glück in der Arzt­praxis“, mit dem sich die Universität Witten/Herdecke seit 2017 beschäftigt.

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„Das Erstaunliche ist – und das kennen wir aus unserer eigenen Universität, dass Ärzte, die lernen wieder empathiefähig zu werden und ihre eigenen Ressourcen anzu­gehen, nicht nur selbst zufriedener und gesünder sind, sondern auch ihren Patienten geht es dann besser“, berichtete Esch. Das zeige auch eine Studie aus dem Kranken­haus Köln-Merheim, das zugleich Klinikum der privaten Hochschule ist. Demnach ha­ben Chirurgen, die ein Empathietraining bekommen haben, deutlich bessere postope­ra­­tive Heilungserfolge als Chirurgen, die ein solche Training nicht bekommen haben.

Humor-Workshops für künftige Ärzte

Für Medizinstudierende bietet die Uni in Kooperation mit der Stiftung „Humor hilft hei­len“ seit zwei Jahren Humor-Workshops an. „Damit wollen wir dem hohen seelischen Druck, den Medizinstudierende haben, etwas entgegensetzen, nämlich Humor, See­len­hygiene und die Fähigkeit, Kontakt zu Mitmenschen aufzubauen“, erläuterte Eckart von Hirschhausen.

Er nannte es mit Blick auf den häufigen Verlust von Empathiefähigkeit während des Medizinstudiums „erschreckend“, dass diese Studierenden offenbar „irgendwie syste­matisch an vielen Universi­tä­ten abtrainiert“ werde. Darüber hinaus seien Ärzte traditio­nell extrem schlecht darin, sich selber Hilfe zu suchen, wenn sie welche brauchen. Er regte an, dass Ärzte bereits im Studium motiviert werden, sich im Erkrankungsfall professionelle Hilfe zu suchen.

Der Arzt und Komiker rief dazu auf, dass Ärzte sich vor dem Betreten eines Patienten­zimmers immer wieder bewusst machen sollten, welchen Eindruck der Arzt beim Patienten hinterlasse. „Man muss sich bewusst sein, dass der Patient ein Gespür für jegliche nonverbale Kommunikation hat“, so von Hirschhausen. Daher sei das Wich­tigste beim Betreten des Zimmers, „die Antennen auszufahren“ und dem Patienten sensibel zu begegnen.

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