Ungefähr jeder zehnte Mensch in Südindien leidet an Diabetes, davon hat etwa jeder dritte schon eine diabetische Retinopathie entwickelt. Um die Folgen der diabetischen Retinopathie vorzubeugen, die unbehandelt zu Sehbehinderung und Blindheit führt, benötigt es eine frühzeitige Erkennung. In den medizinisch unterversorgten Gegenden außerhalb der Städte oder in Slums ist dies aber nicht ohne Weiteres möglich. Um auch diesen Menschen helfen zu können, untersuchten das Universitätsklinikum Bonn und das Sankara Eye Center in Bangalore, Indien ein Screening-Verfahren, das leicht zugänglich und kostengünstig war: Mithilfe eines Aufsatzes konnte die Kamera eines Smartphones in ein Ophthalmoskop umgewandelt werden. Geschultes Personal kann so Fotos von Patientenaugen machen und zur Auswertung an einen Augenarzt weitersenden. Dr. Maximilian Wintergerst, der dieses Screening-Verfahren untersucht, berichtet für uns im Ophthalmo-Campus über dieses spannende Projekt.
Woher kam die Idee für das kostengünstige Augen-Screening von Menschen mit Diabetes in Indien?
Smartphones sind in der heutigen Welt allgegenwärtig, sogar in Entwicklungs- und Schwellenländern. Viele verfügen über eine vergleichsweise gute Kamera, wären also prinzipiell für medizinische Bildgebung geeignet, allerdings ist der Strahlengang der Handykamera nicht dafür ausgelegt durch eine sehr kleine Öffnung wie die menschliche Pupille hindurch Bilder zu machen. Hier kommen verschiedene Adapter ins Spiel, die seit kurzer Zeit von unterschiedlichen Anbietern entwickelt und angeboten werden. Durch sie wird der Strahlengang des Smartphones so modifiziert, dass die Handykamera zur Funduskopie verwendet werden kann. Ziel unserer Studie war der Vergleich verschiedener technischer Ansätze zur Smartphone-Funduskopie hinsichtlich Bildqualität und Eignung zum Screening für die diabetische Retinopathie.
Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Sankara Eye Center in Bangalore, Indien zustande?
Die Kollegen des Sankara Eye Hospitals in Bangalore hatten sich selbst bereits mit der Möglichkeit der Smartphone-Funduskopie beschäftigt und einen sehr einfachen und kostengünstigen Ansatz zur Smartphone-Funduskopie entwickelt. Während kommerzielle Adapter einige hundert Euro kosten belaufen sich die Kosten für die selbstentwickelte Lösung auf etwa 50 indische Rupien, also weniger als einen Euro. Diese Vorarbeit des Sankara Eye Hospitals Bangalore war eine sehr gute Grundlage für die Kooperation, in deren Rahmen wir auch die vor Ort entwickelte sehr einfache technische Lösung mit den anderen Adaptern verglichen.
Wie wird so ein Projekt praktisch umgesetzt? Was muss man bedenken?
Die Organisation solch eines Projektes beginnt bei der Einwerbung von Fördermitteln – so wird unser Projekt durch die Forschungsförderung Tropenophthalmologie der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft unterstützt –, geht über Formalien wie die Bewerbung um ein Visum und beinhaltet natürlich auch Aspekte wie die Planung der Reise und Unterkunft vor Ort. Ganz entscheidend war bereits frühzeitig schon aus Deutschland den Ablauf der Studie in Bangalore zu organisieren. Gerade die organisatorischen Aspekte vor Ort sind nicht zu unterschätzen, auch weil in einem Land wie Indien einiges länger benötigt oder komplizierter ist als in Mitteleuropa.
Wie funktioniert die Smartphone-Funduskopie?
Wir testeten drei Smartphone-Adapter zur direkten und einen zur indirekten Funduskopie. Am Beispiel einer der direkten Smartphone-Funduskopie Lösungen erklärt: Der auf das Smartphone montierte Adapter schwächt das Blitzlicht ab und lenkt es durch Spiegel auf die optische Achse der Kamera um. Mit diesem Smartphone nähert sich der Untersucher langsam an das Auge des Patienten an bis er ein scharfes Bild der Papille mit der umgebenden Retina erhält. Durch Kipp- und leichte Schwenkbewegungen der Kamera lassen sich verschiedene Bereiche des Fundus darstellen und auf die Veränderungen der diabetischen Retinopathie wie Hämorrhagien, Exsudate und Neovaskularisationen hin untersuchen.
Was war die größte Herausforderung während das Projekt lief?
Da wir für die Ausbildung der uns unterstützenden Optometristen in der Smartphone-Funduskopie und die 13 Screening Camps, in denen wir 400 Augen untersuchen mussten, nur vier Wochen in Indien zur Verfügung hatten, galt es die Zeit vor Ort möglichst effizient zu managen. Eine weitere Herausforderung war mit den speziell präparierten Smartphones mit Adaptern wieder aus Indien ausreisen zu können. Am Flughafen Bangalore fürchtete ich für kurze Zeit, das komplette Geräte-Set würde beschlagnahmt werden, denn die Sicherheitsbeamten waren äußerst skeptisch, was ich mit den vielen Smartphones mit seltsamen Aufsätzen vorhätte. Nachdem ich kurzerhand an einem der Sicherheitsbeamten unter den kritischen Augen seiner Kollegen vorführte, wofür die Smartphone-Adapter gut sind, konnte ich sie dann doch überzeugen.
Welchen Moment werden Sie besonders in Erinnerung behalten?
Hier ist sicherlich unser Screening Camp in Bagepalli, einer kleinen Stadt etwa drei Autostunden von Bangalore entfernt zu nennen. Wir bauten unser Screening in einer lokalen Grundschule auf, wussten zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht, dass die Schule von einer Horde wilder Affen okkupiert wurde. Es waren gerade Ferien, entsprechend hatten die Affen freie Hand. Bei der Inspektion des Gebäudes wurden wir auf dem Dach dann von den Makaken überrascht, die uns mit wildem Geschrei und gefletschten Zähne empfingen.
Dr. Wintergerst, vielen Dank für das Interview!
Kontaktadresse: Dr. Maximilian W. M. Wintergerst, Universitäts-Augenklinik Bonn, Ernst-Abbe-Straße 2, 53127 Bonn, Deutschland, maximilian.wintergerst@ukbonn.de.
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"OphthalmoCampus"
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