Für „längst überfällig“ hält der ärztliche Nachwuchs eine künftige Gestaltung des Arztberufs, die insbesondere die Bedürfnisse von Ärztinnen berücksichtigt. „Bei der Arbeitsplatzwahl rücken für Absolvierende des Studiengangs Medizin gute Arbeitsbedingungen zunehmend in den Fokus“, berichtet Carolin Siech, Sprecherin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), dem Deutschen Ärzteblatt Medizin Studieren. Für essenziell halten sie und ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen deshalb einerseits strukturelle Veränderungen an den Kliniken. „Andererseits muss es einen Mentalitäts- und Kulturwechsel im Krankenhaus geben“, fordert sie. „Zwischen Männern und Frauen dürfen keine Unterschiede gemacht werden.“
Wer meint, Unterschiede zwischen Ärztinnen und Ärzten würden zwar dann gemacht, wenn es um Führungspositionen gehe, aber nicht im „normalen“ klinischen Alltag, der irrt. „Ärztinnen erfahren häufig eine Abwertung ihrer Leistung und Leistungsfähigkeit“, erläutert Prof. Dr. phil. Dorothee Alfermann vom Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Leipzig. Unabhängig von einer Schwangerschaft würden sie häufig als „Bewerberinnen zweiter Klasse“ behandelt. „Allein durch die Zuordnung zur weiblichen Geschlechtskategorie und somit durch die Antizipation von Mutterschaft erschwert sich der Start in ihr Berufsleben“, sagt Alfermann, die seit Jahren Karriereverläufe von Ärztinnen untersucht.
Familiengründung und medizinische Karriere noch immer schlecht vereinbar
Mit welchen Hürden und Herausforderungen sich Ärztinnen konfrontiert sehen, wenn sie in den Beruf eintreten, beleuchtete Alfermann unter anderem innerhalb des Verbundprojekts Kar-Med (Karriereverläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen während der fachärztlichen Weiterbildung). „Dazu führten wir im Teilprojekt Leipzig über einen Erhebungszeitraum von 2008 bis 2014 deutschlandweit Interviews mit Ärztinnen und deren Partner/-innen sowie Gruppendiskussionen“, berichtet sie. „Im Fokus standen Arbeitsstrukturen, Arbeitskultur und Arbeitsorganisation sowie soziale Interaktionsprozesse im Krankenhaus – kurz Themen, die für die Krankenhäuser nicht nur bedeutsam sind, um medizinischen Nachwuchs zu gewinnen, sondern auch, um ihn langfristig an der Klinik zu halten.“
Die multizentrische prospektive Beobachtungsstudie berücksichtigte zudem das Zusammenspiel von subjektiven und objektiven Faktoren sowie das Verhältnis von Beruf und Privatleben. „Es zeigte sich, dass mit steigender Karrierestufe erfolgreiche Ärztinnen, die eine eigene Familie haben, zur Ausnahme werden. Frühzeitig erfahren Medizinstudierende demnach, dass es nicht selbstverständlich ist, eine medizinische Karriere und Familie gut vereinbaren zu können“, erläutert die Geschlechterforscherin mit Blick auf das KarMed-Teilprojekt Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. med. Hendrik van den Bussche (Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf). Dieses verfolgte den Berufsverlauf von Ärztinnen im Vergleich zu Ärzten bei mehr als 1 000 Teilnehmenden aus sieben medizinischen Fakultäten. „Insgesamt verdeutlichte KarMed, dass der ärztliche Beruf zwar attraktiv ist, dass aber die Persistenz traditioneller Geschlechtsrollenerwartungen insbesondere die Karrieren von Frauen gefährdet“,erklärt Alfermann.
TransferGenderMed soll Kliniken gendergerecht machen
Im Unterschied zu anderen Branchen sei in der Medizin das Thema „Frauen und gendergerechter Arbeitsplatz“ noch nicht angekommen, warnt sie. „Das Bewusstsein dafür fehlt vor allem oft an den Universitätskliniken, wo viele Ärztinnen ihre Weiterbildung absolvieren. „Die Arbeitsideologie dort ist nicht auf Balance ausgelegt.“
Dies gilt insbesondere für das immer noch stark männerdominierte Fach Chirurgie: Das FamSurg-Projekt in Lübeck unter Leitung von Prof. Dr. med. Tobias Keck (Klinik für Chirurgie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck) erarbeitete deshalb Maßnahmen speziell zur Karriereentwicklung von Chirurginnen und zur Förderung von familienfreundlichen Strukturen in der Chirurgie.
Um die Ergebnisse von KarMed und FamSurg in den klinischen Alltag zu übertragen, startete 2014 das Verbundvorhaben TransferGenderMed (Transfermaßnahmen zur gendergerechten Karriereförderung von Frauen in der Medizin). „Hierzu entwickelten wir Prozessbegleitungen für Kliniken, Personalentwicklungsmaßnahmen sowie moderierten Arbeitsgruppen und Gender-Trainings für Führungskräfte“, berichtet Dr. phil. Swantje Reimann vom Leipziger Teilprojekt. „Es dauert, bis sich ein Thema etabliert – aber es passiert mittlerweile etwas“, ist die Psychologin überzeugt. Ein Abschlussbericht zu TransferGenderMed soll noch in diesem Frühjahr erscheinen.