Sie sind nun seit über einem Jahr in Vollzeit beim DFB angestellt. Wie sieht Ihre Arbeitswoche aus?
Dr. Jochen Drees: Meine Hauptarbeitszeit ist von Freitag bis Montag und findet im Video-Assist-Center (VAC) in Köln statt. Aber auch unter der Woche habe ich genug zu tun, sichte Videomaterial, stelle Konzepte für die Weiter- und Ausbildung der Video-Assistenten auf und stehe im intensiven Austausch mit verschiedenen Beteiligten aus dem Schiedsrichterwesen, um die Prozesse weiter zu verbessern. Es gibt also auch vor und nach den Spielen sehr viele Termine zu bedienen.
Der Video-Beweis ist nicht bei allen Fans beliebt. Hier gibt es vielleicht eine Parallele zu den Telesprechstunden, der viele Menschen auch skeptisch gegenüberstehen. Wenn man an die Medizin auf dem Land denkt, wäre die Telesprechstunde ein großer Gewinn, weil man als Hausarzt nicht mobile Patienten über eine Telesprechstunde beraten könnte und nicht mehr zuhause besuchen müsste. Dennoch geht die Einführung schleppend voran. Glauben Sie, dass sich die Telemedizin durchsetzen wird?
Dr. Jochen Drees: Als Patient möchten Sie einen Arzt zum Anfassen haben. Sie möchten sehen, wie reagiert er auf das, was ich sage. Wenn Sie den Arzt nur noch am Monitor sehen, ist das für viele Patienten eine große Umstellung. Gerade für ältere Menschen ist das völlig fremd, sie können das wahrscheinlich nicht akzeptieren. Fans, die den Fußball seit fünfzig Jahren erleben, müssen sich nun mit dem Video-Assistenten und einem veränderten Fußballerlebnis auseinandersetzen. Wenn im eignen Leben etwas verändert wird und man Gewohnheiten ablegen muss, löst das zunächst einmal ein Gefühl des Unbehagens aus. Dieses Gefühl legt sich dann aber meist im Verlauf der Zeit.
Ist die Telemedizin dann in zehn Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil der Medizin, ebenso wie der Video-Assistent ein Bestandteil des Fußballs sein wird?
Dr. Jochen Drees: Selbst in meiner Situation war es damals schwierig, Kollegen für meine Praxis zu finden, weil sie sich zu weit auf dem Land befand. Die Praxis ist eine halbe Stunde von Mainz entfernt und benachbart liegt eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern. Also für mich ist das alles andere als abgelegen. Aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass in Bayern oder im Osten Deutschlands kilometerlang keine hausärztlichen Ansprechpartner mehr da sind und es auch immer schwieriger wird, dort Nachfolger zu finden, dann wird man auf die Dauer gar nicht umhinkommen, sich mit solchen Mitteln zu helfen.
Laut der letzten Destatis-Erhebung erwirtschaften niedergelassene Allgemeinmediziner durchschnittlich im Reinertrag 172.000 Euro pro Jahr. Lohnt sich der Job als Video-Assistent finanziell mehr als das Führen einer Praxis für Allgemeinmedizin? Weniger als 10.000 Euro/brutto pro Monat wäre ein Gehalts-Downgrade für Sie, oder?
Dr. Jochen Drees: Es ist in der Tat so, dass ich jetzt nicht das verdiene, was ich als niedergelassener Allgemeinmediziner habe verdienen können. Ich war mir bewusst, dass es weniger sein wird als vorher, aber das ist auch eine grundsätzliche Frage einer beruflichen Veränderung, die man sich stellen muss. Ich fühle mich jetzt besser, mir geht es besser. Ich habe jetzt zwar auch viel zu tun, aber auch viel Zeit, in der ich mich von dem beruflichen Stress erholen kann. Dies war früher nicht der Fall, als ich von Montag bis Freitag eine durchgängig hohe Arbeitsbelastung hatte.
Zum Abschluss noch eine Frage an Sie als Arzt: Wenn ein Feldspieler sich verletzt, kommt der Sanitäter auf den Rasen gelaufen. Bei welchen Beschwerden müssen Sie als Allgemeinmediziner im Video-Assist-Center (VAC) helfen?
Dr. Jochen Drees: Die Video-Assistenten sind fit. Das sind alles Leistungssportler. Und wenn doch etwas ist, haben die ihre eigenen medizinischen Netzwerke. Falls einer auf mich zukommt, würde ich mir eine Behandlung aber noch zutrauen.
Operation Karriere: Herr Dr. Jochen Drees, vielen Dank für das Interview!