Mediziner auf Abwegen – Teil 4: Der Video-Schiedsrichter Dr. Jochen Drees

Während seiner Tätigkeit als Hausarzt arbeitete Jochen Drees als Bundesliga-Schiedsrichter, später dann als Video-Schiedsrichter. Seit August 2018 ist er nun Chef des Video-Assist-Centers. Warum hat er seine gut funktionierende Landarztpraxis in der Nähe von Mainz aufgegeben?

Dr. Jochen Drees vor einem Analyseplatz. | Lukas Hoffmann

Treffen in Köln, in dem riesigen Gebäudekomplex der RTL-Group. Dr. Jochen Drees trägt Sportschuhe und Jeans, sein Alter von 49 Jahren sieht man ihm nicht an. „Hier kann man sich schon ´mal verlaufen“, sagt er, als er mit schnellen Schritten an Konferenzräumen, Besprechungszimmern und Aufnahmestudios vorbei läuft. Es geht in den Keller, in dem der Video-Assist-Center (VAC) untergebracht ist. Handschlag mit einigen Kollegen, die schon vor den Monitoren sitzen, um das Abendspiel vorzubereiten. Dann bleibt etwas Zeit für das Interview, bevor der nächste Termin ansteht. 

Operation Karriere: Im Klinikum organisiert der Chefarzt die Arbeitsabläufe und muss unter Druck schnelle Entscheidungen treffen. Auch in Ihrem Team arbeiten viele Personen mit Hochdruck daran, bestimmte Spielszenen innerhalb von wenigen Sekunden zu analysieren. Wer entscheidet am Ende über das Ergebnis, das ins Stadion gesendet wird? Sind Sie das? Ist Ihre Tätigkeit mit derjenigen eines Chefarztes vergleichbar?
 
Dr. Jochen Drees: Letztendlich bin ich derjenige, der die Qualität der getroffenen Entscheidung bewertet. Ich selbst kann und darf aber keinen Einfluss auf den Prozess und das Ergebnis nehmen. Ich bin sozusagen nur Beobachter. Verantwortlich für den Prozess ist der Video-Assistent mit seinem Team. Ich bin als „Chefarzt“ in Anführungsstrichen zwar verantwortlich, ich kann aber nicht jede Operation selbst durchführen. Ich muss den Video-Assistenten so viel Vertrauen schenken, dass ich sicher sein kann, die Schiedsrichter auf dem Platz werden in meinem Sinne beziehungsweise im Sinne des Fußballs bestmöglich unterstützt.
 
Wenn Fehler passieren, wer haftet dann?


Dr. Jochen Drees: Als Projektleiter für den Bereich Video-Assistent bin ich beim DFB letztendlich derjenige, der nach außen und in der öffentlichen Wahrnehmung dafür Verantwortung übernehmen muss. So wie im Krankenhaus der Chefarzt natürlich auch. Die Video-Assistenten sind, ähnlich wie die Kollegen im Krankenhaus, auch in einer gewissen Verantwortung und man würde sie zukünftig nicht mehr mit dieser Art von Operation betrauen, wenn man feststellt, dass dafür die entsprechende Fähigkeit fehlt.

Dr. Sven Jungmann

Als ausgebildeter Mediziner ist man eine attraktive Arbeitskraft auf dem Markt und hat viele Möglichkeiten. In dieser Reihe stellen wir berufliche Alternativen zum Klinikum vor. Teil 1: Sven Jungmann, der in einem Entwicklungslabor für E-Health des Helios-Konzerns arbeitet.

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Sie sind gelernter Allgemeinmediziner und haben früher eine Praxis geführt. Gerade als Hausarzt ist man der „Gute“. Man baut ein Vertrauensverhältnis zu den Patienten auf, man kennt sich Jahre, manchmal Jahrzehnte. Früher haben Sie auch selbst Bundesliga-Spiele gepfiffen. Auf dem Fußballplatz ist man oft der Buhmann und Video-Assistenten sind auch nicht unbedingt beliebt. Was hat Sie an der Tätigkeit als Schiedsrichter gereizt?
 
Dr. Jochen Drees: Wir als Schiedsrichter tragen dazu bei, dass die Spiele korrekt und fair ablaufen. Das ist eine tolle Herausforderung. Man lernt, sich auf verschiedene Charaktere einzustellen, medialen Druck auszuhalten, aber auch Entscheidungsdruck während des Spiels auszuhalten. Das sind Eigenschaften, die Schiedsrichter mitbringen müssen.  Aufgrund der doch teils sehr heftigen Kritik von außen, haben wir einen guten Zusammenhalt innerhalb der Schiedsrichtergruppe, das ist ein schönes Gemeinschaftsgefühl. Und es ist auch so, dass wir den Respekt und die Anerkennung von den Vereinen und den Spielern zurückgespielt bekommen. Vielleicht nicht immer im Spiel, aber spätestens nach dem Abpfiff oder wenn man sich beim nächsten Spiel wieder begegnet.
 
Wie reagiert man, wenn ein Vereinsboss oder ein anderer wichtiger Akteur die eigene Arbeit auf dem Platz harsch kritisiert? Der mediale Druck kann ja dann sehr groß werden.

 
Dr. Jochen Drees: Wenn Sie im Alltag mit Kritik konfrontiert werden und diese inhaltlich als berechtigt ansehen, dann setzen Sie sich automatisch damit auseinander. Es wäre ja fatal, wenn Sie dies nicht tun würden. Genauso ist es ja bei der Tätigkeit als Arzt. Wenn Sie von Patienten kritisiert werden, weil irgendetwas nicht funktioniert, und sie realisieren, dass die Kritik berechtigt ist, dann ist die Aufarbeitung der Kritik die Voraussetzung dafür, dass sie diese bei zukünftigen Patienten nicht mehr hören müssen. Deshalb sehe ich es auch immer als Chance, faire und inhaltliche Kritik zu erhalten.
 
Sie haben sich nach Ihrem Medizinstudium für eine Weiterbildung in der Allgemeinmedizin entschieden und haben sich dann relativ schnell, im Alter von 33 Jahren, niedergelassen. Wie kam es dazu?

 
Dr. Jochen Drees: Mein Großvater hat eine Praxis für Allgemeinmedizin in unserer kleinen Gemeinde Münster-Sarmsheim aufgebaut, mein Vater hat diese dann irgendwann übernommen. Später bin ich in diese Praxis eingestiegen, aber nicht aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus, sondern weil es die Arbeit war, die mir Spaß gemacht hat. Das hausärztliche Arbeiten war sehr schön. Es wird nach außen hin zwar oft nicht angemessen honoriert, aber der enge Kontakt zu den Menschen hat mir persönlich immer sehr viel gegeben. 
 
Dennoch sind Sie aus der Praxis ausgestiegen und haben beim DFB angefangen. Warum wollten Sie die Praxis nicht weiterführen?
 
Dr. Jochen Drees: Ursprünglich war es eine Gemeinschaftspraxis mit drei Kollegen. Es war ein großer Patientenstamm, den wir betreut haben. Ein Kollege ist dann in Ruhestand gegangen und der andere Kollege hat sich beruflich verändern wollen, sodass ich alleine übriggeblieben bin und vor der Entscheidung stand: Was machst du nun? Ich habe mich dann für den Weiterbetrieb der Praxis entschieden, aufgrund meines  Verantwortungsbewusstseins gegenüber den Patienten und Praxisangestellten. Ich habe das nach allen Kräften versucht, dann aber doch gemerkt, dass es zu viel wird. Mein Bestreben, jemanden in die Praxis hereinzuholen, war leider nicht erfolgreich. Ich habe über ein halbes Jahr gesucht, habe aber niemanden gefunden. Deshalb habe ich mich schlussendlich dazu entschieden, die Praxis aufzugeben.

Jetzt gibt es die Praxis nicht mehr?

Dr. Jochen Drees: Der Praxissitz ist von einem MVZ übernommen worden, das eine Zweitpraxis im Ort aufgebaut hat und an mehreren Tagen in der Woche da ist, sodass eine Grundbetreuung der Menschen vor Ort gewährleistet wird.

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