Was empfehlen Sie angehenden und jungen Medizinerinnen, die wie Sie eine Karriere in Forschung und Lehre anstreben, für ihren Karriereweg?
Ich empfehle jungen Medizinerinnen, darüber nachzudenken, dass die Medizin ein Fach ist, welches nach einer guten und fundierten Ausbildung an einer Klinik eine breite Palette von Möglichkeiten für die spätere Berufsausübung bietet; das beinhaltet auch einen Karriereweg. Ich sehe häufig junge Ärztinnen bereits nach kurzer Zeit vor der Arbeitsbelastung in Kliniken kapitulieren, trotz immer weiter verbesserter Arbeitsbedingungen. Das behindert natürlich jeden Karriereweg per se. Es ist daher notwendig, schon ab Beginn der Ausbildung an junge Frauen mit Karrierewunsch heranzutreten und sie zu begleiten, um das weibliche Potenzial in der Medizin nicht in den „oberen Positionen" zu verlieren. Dieses Prinzip des frühen „Head Huntings“ wird ja auch in Naturwissenschaftlichen Fächern verwendet. Vielleicht müsste hier bereits ab Ende des Studiums ein begleitendes Mentoring erfolgen. Nur werden Frauen in Führungspositionen ja wenig in solche Konzepte einbezogen, oder es gibt sie nicht. Prinzipiell gilt für alle Ebenen des Mediziner-Berufs: Die Mischung zwischen Mann und Frau im Team ist das Beste.
Heute muss aber nicht so sehr am Karrierewunsch und der Erreichbarkeit gearbeitet werden, sondern an der Frage der Sinnhaftigkeit einer Karriere. Das ist neu. Das Prinzip von vielen jungen Medizinerinnen, Dinge gar nicht erst anzupacken, weil die Sinnhaftigkeit nicht gesehen wird – ist sicherlich nicht richtig und natürlich nicht förderlich für die Karriere. Barrieren – wie es sie früher gab – werden erstaunlicherweise gar nicht so stark gesehen.
Hier sehe ich aber auch eine tatsächliche Gleichstellung zwischen Männern und Frauen. Sowohl weibliche als auch männliche junge Ärzte fragen nach der Sinnhaftigkeit, wenn sie einen Karriereweg anstreben. Sie möchten gewisse Garantien und sie möchten eine gewisse Unterstützung, um Ihre Ziele zu erreichen. Hier hat sich somit grundlegend sowohl bei Männern als auch bei Frauen etwas geändert. Sinngebung, Zielorientierung und Mentoren-Programme sind Instrumente, die in Zukunft den jungen Mediziner/innen an die Hand gegeben werden sollten, wenn erkannt wird, dass ein Interesse für einen Karriereweg vorliegt.
Wenn sich in Zukunft nichts an der Bewertung der „Schnelligkeit“ eines Karrierewegs und an Wiedereinstiegsmöglichkeiten für Frauen ändern wird, werden sie weiterhin als Professorinnen oder Chefinnen ausfallen und es wird die Karrierebrüche geben. Natürlich ist es folglich dann auch so, dass für die Führungspositionen in der Regel junge Männer oder Männer „übrig“ bleiben, da sie aufgrund weniger Fehlzeiten und formal entsprechenden Voraussetzungen eher die Voraussetzung für eine Karriere bieten können als Frauen.
Die Barrieren werden jetzt eher durch die eigenen gewünschten Lebensumstände und durch die gleich gewichtete Zielorientiertheit im privaten und im beruflichen Werdegang beeinflusst. Während man also bisher ständig darüber nachgedacht hat, inwieweit man Frauen durch Frauenförderung, Gleichstellung und so weiter helfen kann, hat man möglicherweise vergessen, dass Frauen den Weg so wie er durch viele Vorkämpferinnen aber auch durch Vorkämpfer geebnet wurde, gar nicht wollen. Sie möchten keine extra Rolle als Frau einnehmen und schon gar nicht mit Frauenförderung assoziiert werden.
Das impliziert aber, dass man neue Aspekte setzt, um Frauen zu fördern. Diese sind aber in einer ganz anderen Ebene zu suchen als bisher.
Heute ist es eher so, dass die Entscheidung, einen Karriere-Weg einzuschlagen, sehr früh getroffen wird oder auch nicht. Hier muss man gleichermaßen an Männer und Frauen herantreten um partnerschaftlich zu entscheiden, inwieweit innerhalb von Beziehungen oder Familien nicht Karrierewege ebenfalls eine annehmbare Option – gerade für Frauen – für die Zukunft sind. Die langfristige Planung ist anscheinend für viele junge Frauen weniger ein Thema. Sie leben im Jetzt und Heute, und ob sie später mit der gewählten Situation noch zufrieden sind – soweit es mir zumindest erkenntlich ist – wird nicht unbedingt hinterfragt. Verpasste Ziele, verpasste Karrieren, verpasste Chancen sind also heute nicht das Thema. Ich hoffe jedoch, dass nicht später ein Bedauern einsetzt. Ich denke, für die Förderung der Medizinerinnen hin zu leitenden Positionen, muss daher in vielen Bereichen parallel etwas getan werden.
Dieses sind meiner Meinung nach keine weltbewegenden Schritte, aber sie müssen in diesen Bereichen auch gemeinsam getan werden. Dies betrifft die Bereiche Personalentwicklung, Arbeitszeitmodelle, Anerkennung in Teams, Anerkennung von Ausfallzeiten, andere Beurteilungen der wissenschaftlichen Publikationsaktivität usw.
Andererseits müssen junge Medizinerinnen aber auch wissen, dass sie zielorientierter arbeiten müssen, was Männern offensichtlich von Natur aus eher vorgegeben ist. Hierin versuche ich persönlich, Frauen zu coachen. Dieses hat dann wieder etwas in gewisser Weise mit Gleichstellung zu tun. Man kann nicht die Ziele für Frauen vollständig von denen der Männer abkoppeln und eine ständige Ausnahmesituation schaffen. Eher muss es so sein, dass man versucht, die Ziele für die Frauen durch bessere Teamarbeit und durch bessere Absprachen auch erreichbar zu machen.
Frau Professor Engelmann, vielen Dank für das Interview.
Vita Prof. Dr. med. Katrin Engelmann:
1985: Approbation
1986: Promotion (Dr. med.)
1986 – 1988: DFG-Ausbildungs- und Post-doc-Stipendium, Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF), Braunschweig, Abt. Cytogenetik
1988 – 1989: Post-doc Stelle an der GBF, Braunschweig
1989 – 1998: Wiss. Mitarbeiterin, Augen- und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
1990 – 2006: Leiterin der Hornhautbank, Augen- und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und des Universitätsklinikums Dresden
1993: Anerkennung als Fachärztin für Augenheilkunde
1995: Erhalt der Venia Legendi als Privatdozentin für das Fach Augenheilkunde (Habilitationsschrift über Humanes adultes korneales Endothel in der Zellkultur: Methoden zur Isolierung, Charakterisierung und Züchtung der Zellen von Spenderhornhäuten Erwachsener und anschließende Erprobung der Endothelzell-transplantation in einem in vitro Modell)
1998: Universitätsprofessur auf Zeit (C3), Augen- und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
seit 2001: Leitende Oberärztin und Stellvertretende Geschäftsführende Direktorin der Augen- und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
seit 2003: Leitende Oberärztin für Glaskörper- und Netzhautchirurgie, Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden
seit 2005: Chefärztin der Augenklinik des Klinikum Chemnitz gGmbH
seit 2007: Apl. Professur und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU Dresden
Schwerpunkte wissenschaftlicher Tätigkeit:
- Zellbiologie des kornealen Endothels und des retinalen Pigmentepithels
- Hornhautbanking
- klinische und experimentelle Studien zu retinalen Erkrankungen
Funktionen in wissenschaftlichen Gesellschaften und Institutionen:
seit 2005: Principle Investigator (PI) des Zentrums für Regenerative Therapien Dresden (CRTD)
seit 2012: Wissenschaftliche Leitung der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG)
Auszeichnungen:
1989: Gewinnerin der nationalen Ausscheidung des „Chibret International Award 1990“, Berlin
1990: 1. Preis des „Chibret International Award 1990“, Singapur
1998: Dr. Martini Preis, Hamburg
1998: Sautter Preis, Göttingen
2014: Focus Liste TOP 25 (Bereich Netzhauterkrankungen)
[Stand: 29.07.2014/ Quelle: Bundesärztekammer]
Quellen: Technische Universität München; Stiftung für Hochschulzulassung; Deutsches Ärzteblatt; Statistisches Bundesamt