Rückblickend betrachtet: Hat sich die Situation für Frauen in der Medizin in den vergangenen zwei Jahrzehnten verbessert?
Die Situation für Frauen in der Medizin hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten wesentlich verbessert. Ich persönlich kann aus meiner Erfahrung heraus nur sagen, dass mir zu Beginn meiner Ausbildung Dinge nahegelegt wurden, wie zum Beispiel, auf keinen Fall Chirurgin zu werden, da es zu anstrengend sei. Dieses wird heute sicherlich kaum mehr einer jungen Frau in solcher Deutlichkeit gesagt. Sehr viel selbstverständlicher wählen mehr Frauen auch chirurgische Berufe als dieses früher der Fall war. Nur streben sie innerhalb dieser Berufe eine Leitungsposition immer noch nicht so ausschließlich an, wie Männer. Dieses mag erst in Zukunft geschehen, wenn die Frauen hierfür auch ein besseres Selbstverständnis entwickeln und wenn ihnen die Möglichkeit gegeben wird, neben Familie und Kindern dieses Ziel auch in einer absehbaren Zeit erreichen zu können - Stichwort: Tracking oder Karriereplanung ab 40.
Sehen Sie für Frauen in der Medizin noch Barrieren, die es zu beseitigen gilt?
Die Barriere der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sicherlich noch stark vorhanden. Auch wenn sich hier viel verbessert hat, so ist es nicht allein die Schaffung von Kindergärten, die Frauen dazu motiviert, eine Leitungsposition anzustreben.
Hier gehört sehr viel mehr an emotionalen Befindlichkeiten hinzu, die berücksichtigt werden müssen. Eine Frau, die ihre Arbeit auch einmal ruhen lassen muss, um sich um die Familie und Kinder zu kümmern, wird immer mit einem schlechten Gewissen ihren Arbeitsplatz verlassen. Sie entscheidet sich ab einen gewissen Punkt dann gegen die Karriere. Nach meinen Erfahrungen können hier Männer mit sehr viel weniger Emotionen ans Werk gehen. Nicht zu vergessen ist, dass aber auch geschlechterunabhängig ein Generationsdenken Einfluss nimmt und die Karriere nicht in den Vordergrund stellt.
Es bestehen auch Barrieren, die durch die Geschlechter-Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern selbstverständlich vorhanden sind. Unterschiedliche geschlechtsspezifische Rollen sowie die unterschiedlichen Mentalitäten und Charaktere, die rein „biologisch“ zwischen Männern und Frauen besteht, sind nicht zu beseitigen und sollten auch nicht beseitigt werden. Eine Frau agiert häufig anders als ein Mann. Wichtig ist, dass diese „Geschlechterunterschiede“ nicht zu Nachteilen führen. Sie zu ändern oder „gleich zu machen“, ist der falsche Ansatz. Ich persönlich sehe in gemischten Teams auch die besten Chancen für Karrierewege. Barrieren werden heute eher im direkten Umfeld der Arbeit, im Bereich des Teams, beim Chef und in der Arbeitsbelastung selber gesehen. Frauen wissen, dass sie ihr Ziel – bei Kinderwunsch - erst wesentlich später erreichen können als Männer. Sie können zum Beispiel die notwendige Anzahl von Publikationen für eine Habilitation nicht im selben Umfang vorlegen wie Männer. Hier kann aber vielleicht ein gemeinsames Verständnis und gegebenenfalls Hilfe im Arbeits-Team helfen. Habilitationsordnungen könnten einen etwas spezielleren Blick auf Leistungen entwickeln. Sehr häufig wird gerade in der Forschung der sehr junge Mensch gesucht, der einen schnellen Karriereweg anstrebt. Dieser muss nicht ein mehr an Exzellenz aufweisen als ein langsamerer Karriereweg.
Hier müssen sicherlich Universitäts-Leitungen und Personalabteilungen an Kliniken, insbesondere an den Universitätskliniken, Arbeitsbedingungen schaffen, die es Frauen erleichtert, die Habilitation oder Karriere durchzuführen. Aber dieses bedeutet nicht nur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch die Auseinandersetzung der Sinnhaftigkeit eines angestrebten Ziels innerhalb eines Betriebes und die mögliche zukünftige Perspektive des Ziels. Dieses gilt für Frau und Mann aber sicherlich heute in gleicher Weise.
Für leitende Positionen in der Wirtschaft galt lange die Regel „Eine Frau muss doppelt so gut sein wie ein Mann, um annähernd so weit zu kommen“. Ist/ war dies auch auf die Medizin zu übertragen?
Ja, dieser Spruch war sicherlich auch zu übertragen auf die Medizin. Andererseits gibt es klare Richtlinien nach denen eine Karriere auch von außen betrachtet wird. Dieses misst sich zum Beispiel an wissenschaftlichen Publikationen, am Werdegang und auch an der Nachvollziehbarkeit einer gewissen Zielstrebigkeit.
Eine Frau muss nicht doppelt so gut sein in der Medizin, aber sie muss die gleichen Parameter erreichen wie der Mann. Dies ist auf Grund der Familienplanung häufig nicht möglich. Auch wenn der Einsatz von Vätern heute deutlich mehr in Richtung familiärer Unterstützung geht, ist das Selbstverständnis für eine weibliche Karriere immer noch nicht genügend gefestigt. Um diese Ziele bei jungen Frauen zu festigen, wäre es sicherlich hilfreich, Maßnahmen innerhalb einer Universität oder auch an einem nicht-universitären Klinikum zu etablieren, die es Frauen ermöglichen, die Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren, sondern Wege zu finden, sie auch zu erreichen. Eine Bevorzugung gegenüber Männern wird von Frauen aber eher abgelehnt.
Was Prof. Engelmann angehenden und jungen Medizinerinnen für ihre Karriere empfiehlt, gibt es auf Seite 4 =>