Künftig sollen eine Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien auch ohne persönlichen Erstkontakt „im Einzelfall“ erlaubt sein, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“, so der Wortlaut der Neuregelung.
Schub für Telemedizin möglich
Damit könnte die Telemedizin in Deutschland einen Schub erhalten, weil rechtliche Grauzonen beseitigt werden und Ärzte mehr Handlungsspielräume erhalten. „Wir wollen und müssen diesen Prozess gestalten und dieses Feld mit unserer ärztlichen Kompetenz besetzen“, betonte Josef Mischo, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer (BÄK) und Vorsitzender der zuständigen Berufsordnungsgremien der BÄK. Er stellte zugleich klar, dass digitale Techniken nicht die notwendige persönliche Zuwendung von Ärztinnen und Ärzten ersetzen könnten. „Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt stellt weiterhin den Goldstandard` ärztlichen Handelns dar“, sagte er.
Glückwünsche aus der Politik kamen prompt: „Eine gute Entscheidung! Patienten werden unnötige Wege und Wartezeiten erspart. Und Ärzte können die digitale Welt aktiv gestalten anstatt dass es andere tun“, kommentierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das Ergebnis per Tweet an die BÄK unmittelbar nach der Abstimmung. Dies zeige das große öffentliche Interesse an dem Thema, erklärte Frank Ulrich Montgomery. Spahn hatte bereits mehrfach angekündigt, dass die einschränkenden Regelungen zur Fernbehandlung auf den Prüfstand gestellt und die Anwendung und Abrechenbarkeit telemedizinischer Leistungen ausgebaut werden sollen.
Intensive Diskussion geführt
Vorangegangen war dem Beschluss eine intensive, teilweise auch kontroverse Diskussion, in der auch Vorbehalte und Befürchtungen, etwa vor einer kommerziell betriebenen Callcenter-Medizin oder einer telemedizinischen Primärversorgung zur Sprache kamen. „Die Fernbehandlung sollte an die Niederlassung in einer Praxis gebunden werden“, forderte etwa Thomas C. Stiller, Delegierter aus Niedersachsen.
Ein entsprechender Entschließungsantrag mehrerer Abgeordneter aus der Ärztekammer Niedersachsen, die Fernbehandlung in bestehende Versorgungsstrukturen zu integrieren, wurde mit großer Mehrheit angenommen. Ebenso votierten die Delegierten dafür, dass Fernbehandlung im vertragsärztlichen Sektor nur durch Vertragsärzte im Rahmen des Sicherstellungsauftrages durchgeführt werden soll, damit kapitalorientierte Gesellschaften nicht in Konkurrenz zu Vertragsärzten treten „oder gar Betreibereigenschaften für medizinische Versorgungszentren erhalten“, heißt es in einer Entschließung des Ärzteparlaments.
Verordnung und Überweisung benötigen weitere Debatte
Nach wie vor sind viele Delegierte skeptisch, was die Ausstellung von ärztlichen Verordnungen für Medikamente und von Überweisungen ohne einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt angeht. So lehnte eine Mehrheit der Abgeordneten diese Option zunächst mehrheitlich ab (Entschließungsantrag IV-03). Verordnungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen liegen nicht in der Regelungskompetenz des Ärztetages, meinte etwa Thomas Schang, Schleswig-Holstein. Dies sei Sache des Gesetzgebers.
Fernbehandlung ohne die Möglichkeit der Therapie sei „eine Rolle rückwärts“, begründete hingegen Andreas Botzlar, Bayern, seinen Antrag auf eine erneute Lesung des betreffenden Antrags. In Baden-Württemberg werde in Modellprojekten „heftig“ daran gearbeitet, auch Verschreibungen bei einem telemedizinischen Erstkontakt online zu ermöglichen. Das Sozialministerium habe dafür bereits grünes Licht gegeben. Mit 117 zu 91 Stimmen wurde der entsprechende Entschließungsantrag in 2. Lesung schließlich an den Vorstand überwiesen. Die Ausstellung einer Krankschreibung per Telefon oder Videokonferenz bei unbekannten Personen lehnten die Delegierten hingegen mehrheitlich ab.
Landesärztekammern gefragt
Als nächsten Schritt müssen die Landesärztekammern diese Regelung der MBO-Ärzte jetzt in ihre rechtsverbindlichen Berufsordnungen übernehmen. Zudem hatte Mischo angekündigt, dass bei Novellierung der Berufsordnung zur Fernbehandlung eine Projektgruppe eingerichtet werden soll, die sich um die vielen offenen Fragen bezüglich Organisation, Umsetzung und rechtlicher Rahmenbedingungen kümmern soll.
Das betrifft beispielsweise Fragen zur Qualitätssicherung, zu Dokumentation und Aufklärung, zu Datenschutz und Datensicherheit sowie zur Abrechnung. Die Arbeiten der Projektgruppe sollen den Landesärztekammern und den einzelnen Ärzten eine Grundlage zur rechtssicheren Ausgestaltung liefern.