Ab einem gewissen Punkt stellen sich die meisten Menschen die Frage, wie sie eine Balance in ihr Leben bringen können. In der modernen Arbeits- und nun auch Uni-Welt – scheint der Hype um die perfekte „Work-Life“ - oder „Uni-Life“-Balance, bei manch einem von uns leider „Work-Uni-Life-Balance“, nicht abreißen zu wollen. Gerade in der Medizin herrscht oft ein hoher Leistungsdruck, der von Zeit zu Zeit eine Sortierung der eigenen Gedanken erfordert. Ganze Bücher werden darüber verfasst, wie man die perfekte Balance, die stoische Ruhe, ja den Mittelpunkt seines „Ichs“, finden kann.
Yoga und Meditation
Die Lösung liegt für viele auf der Hand – Yoga und Meditation. Und gesunde Ernährung. Aha. Da saß ich nun also mit dem Meditationsguide in den Händen und versuchte mein Glück. Es waren frustrierende 20 Minuten der Stille und des Gedankenchaos. Mit der Meditation wollte es nicht so recht klappen und gesunde Ernährung brachte auch nicht wirklich den Schlüssel zur Zufriedenheit. Artikel und Bücher im Stil a la: „Wie wird man glücklich“, „55 Gründe Arzt zu werden“ oder „Wie man das perfekte Leben führt“ erwiesen sich als unglaublich demotivierend. Denn seien wir mal ehrlich: Wer steht schon morgens auf und singt erst einmal ein Loblied auf seinen Beruf oder sein Studium? Und wer schafft es schon sich nach einem 10-stündigen Bib-Tag tatsächlich noch für 2 Stunden zum Zumba zu quälen? Alle diese Selbstoptimierungstipps suggerieren den Menschen, dass Perfektion der Maßstab aller Dinge sei.
Das Thema Perfektion scheint viele Mediziner ohnehin, sowohl im Studium als auch im Berufsalltag, zu verfolgen. Folgende Sätze aus einem Gespräch mit einem guten Freund haben sich besonders bei mir eingeprägt: „Ein Arzt muss perfekt sein. Aber der Mensch, der sich dahinter verbirgt, ist alles…nur nicht perfekt“. Genau diesen Konflikt hatte ich unbewusst über mehrere Semester hinweg mit mir herumgetragen. Und auch, wenn viele meiner Kommilitonen und Freunde nicht darüber sprachen, so war das Thema häufig unterschwellig auch bei ihnen präsent. Die Angst davor, als PJ-ler oder Assistenzärztin Fehler zu machen, kann einem niemand nehmen.



Der eigene Anspruch an sich selbst und die Erwartung der Gesellschaft, als Arzt „perfekt“ sein zu müssen, mag zwar nach einem gewissen Ideal streben, ist aber nicht nur realitätsfern, sondern auch ungesund. Mein ursprüngliches „Work-Uni-Life-Balance-Dilemma“ hatte sich zu einem ausgewachsenen Konflikt entwickelt. Dabei mochte ich eigentlich den Klinikalltag. Frühbesprechungen in der Klinik sind bei näherer Betrachtung viel mehr als nur ein sturer Informationsaustausch zwischen Ärzten unterschiedlicher Abteilungen. Es sind Treffpunkte zwischen Generationen, zwischen erfahrenen Chefs, strebsamen Oberärzten, jungen Assistenten und noch jüngeren Famulanten. Zwischen strengen Gesprächen über das Procedere bei schwerkranken Patienten, finden sich auch Geschichten über kuriose Begegnungen in der Klinik, Begrüßungen neuer Kollegen, Geburtstagsständchen und verkaterte Gesichter, die zuverlässig verraten, wer am Abend zuvor zusammen gefeiert hat. Bei all dem Ernst der Klinik und all dem Streben nach Perfektion, sind die Kollegen, so professionell und akribisch sie auch arbeiten, letztlich auch nur Menschen und damit fehlbar.
Kunst als Therapie
Schon seit langer Zeit war Kunst für mich eine Art Ausgleich zum Alltag. Ich bin zwar nicht künstlerisch begabt, dafür aber umso mehr interessiert. Daher begann ich irgendwann in der Vorklinik alle interessanten Ausstellungen abzuklappern, die Frankfurt zu bieten hatte. Glücklicherweise gibt die Stadt in dieser Hinsicht sehr viel her und so häuften sich die Alltagsausbrüche in diverse Kunsthallen, Streetart-Events oder Museen. Oft ging ich alleine in Ausstellungen und saß stundenlang vor einem Bild. Dabei ging es mir nicht darum, den Kern des Bildes zu erfassen oder jedes stilistische Element zu erkunden. Ich fing vor allem Momente ein, die sich zwischen den anderen Besuchern einer Ausstellung ereigneten. Hitzige Diskussionen, stilles Schweigen oder entnervte Blicke waren keine Seltenheit. Die Kunst, wie sie dort hing, war so unperfekt, dass sie ständig hinterfragt, analysiert, mal gelobt und mal gehasst wurde. Und trotzdem war sie gut. Sie war immer einzigartig und brachte Menschen zusammen, ganz gleich ob sie diese verstanden oder mochten. Für mich eröffneten sich während den verschiedensten Ausstellungen Erkenntnisse, die sowohl meine Einstellung zum Studium als auch zu dem späteren Beruf enorm verbesserten. Man muss nicht perfekt sein, um gut zu sein. So einfach das auch klingen mag, war diese Erkenntnis für mich der Schlüssel zu meiner Work-Uni-Life-Balance.