Sylvia, Du bist Projektleiterin des bvmd-Projekts „Mensch und Umwelt“. Wie genau beeinflusst die Umwelt denn die menschliche Gesundheit?
Sylvia Hartmann: Die Umwelt beeinflusst die Gesundheit auf viele verschiedene Arten. Ein Beispiel, das für viele Menschen sehr greifbar ist, sind Krankheiten wie Asthma oder Allergien, z.B. Heuschnupfen. Das betrifft viele hier in Deutschland – gerade jetzt im Frühling. In den letzten Jahren merken wir, dass die Pollensaison immer früher startet und intensiver wird. Ein anderes Beispiel sind Hitzewellen. Gerade durch den heißen Sommer im letzten Jahr ist das bei den Menschen auch präsenter als früher. Unser Körper hat ein Temperaturoptimum von 37 Grad – der Toleranzspielraum ist da nur gering. Sobald die Außentemperatur über diesem Wert liegt, wird es für den Körper anstrengender, Wärme abzugeben. Gerade Kinder und ältere Menschen leiden darunter. Ein anderes Thema ist unsere gebaute Umwelt – also, wie unsere Städte gestaltet sind: Auch das hat Einwirkungen auf unsere Gesundheit. Wenn Straßen stark befahren sind, trauen sich die Menschen seltener, mit dem Fahrrad zu fahren, weil sie sich vor Unfällen fürchten. Und das hat auch wieder Einfluss auf die Gesundheit, weil sich die Menschen dann weniger bewegen.
Projektleiterin Sylvia Hartmann | © privat
Die frühere Pollensaison und die Hitzewellen haben ja mit dem Klimawandel zu tun. Wie beeinflusst dieses globale Thema die Gesundheit der Menschen noch?
Sylvia Hartmann: Die Einflüsse des Klimawandels sind natürlich sehr unterschiedlich – abhängig davon, wo auf der Welt man lebt. Der Klimawandel ist so komplex, dass er in jeder Region unterschiedliche Auswirkungen hat. Grundsätzlich kann man sagen: Es gibt direkte Effekte, zum Beispiel die vermehrt auftretenden extremen Wetterereignisse. Neben den schon erwähnten Hitzewellen sind das auch Stürme oder Fluten, bei denen Menschen auch ganz konkret physisch verletzt werden. Es gibt aber auch indirekte Effekte: Wenn zum Beispiel die Temperaturen steigen, vergrößern sich die Gebiete, in denen Mückenarten leben, die Malaria oder Dengue-Fieber übertragen können. Dadurch treten diese Krankheiten häufiger auf – auch an Orten, an denen das bisher nicht der Fall war. Ein anderes Beispiel sind klimabedingte Ernteausfälle, die zu Mangelernährung und Hungersnöten in bestimmten Regionen führen können. Das wiederum kann politische Unruhen auslösen und Migration fördern. Der Einfluss des Klimawandels auf die Menschen und ihre Gesundheit ist wirklich sehr komplex.
Auch auf lokaler Ebene hat die Umwelt Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Was gibt es dazu für Beispiele?
Sylvia Hartmann: Ein wichtiges Thema ist Feinstaub. Reden wir über Luftverschmutzungen, so sorgt Feinstaub in Deutschland für die meisten vorzeitigen Todesfälle. Im März kam dazu eine spannende Studie heraus: Danach führen Luftschadstoffe sogar zu mehr Todesfällen als bisher erwartet. Weltweit waren das 8,8 Millionen. Im Vergleich dazu sterben 7,2 Millionen an den Folgen des Tabakrauchens. Und während ich mir selber aussuchen kann, ob ich rauche oder nicht, habe ich keine Wahl, welche Luft ich atme. Außerdem ist Feinstaub mit Schlaganfällen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert. Aber es gibt auch andere Beispiele. Wie Städte gestaltet sind, wirkt sich auch auf die psychische Gesundheit aus. Zum Beispiel ist Einsamkeit auch von städtebaulichen Faktoren abhängig. Und statistisch ist es gefährlicher für das Leben, keine Freunde zu haben, als zu rauchen.
Wie genau hängt Einsamkeit mit der Umwelt zusammen?
Sylvia Hartmann: Man kann Umwelten so gestalten, dass die Menschen eher miteinander interagieren und in Kontakt kommen. Gerade, wenn Sie beispielsweise an eine italienische Piazza denken: Das ist ein Ort, an dem Menschen verweilen können und unter Leuten sind – gleichzeitig wird man aber nicht gezwungen, mit anderen in Kontakt zu kommen. Das ist in der U-Bahn anders – diesen beengten Kontakt empfinden ja viele als unangenehm. Bei diesen Umweltbedingungen bewegen wir uns dann schon aus dem medizinischen Bereich hinaus. Aber das macht unser Projekt auch so spannend, weil es so interdisziplinär ist und sich eben auch mit Themen wie Architektur beschäftigt.
Im bvmd-Projekt „Mensch und Umwelt wollt Ihr auf diese Zusammenhänge zwischen Umwelteinflüssen und Gesundheit aufmerksam machen und das Bewusstsein dafür stärken. Wie macht Ihr das genau?
Sylvia Hartmann: Wir bieten eigene Veranstaltungen wie Workshops und Vorträge an, auf denen wir über diese Themen informieren. Damit richten wir uns konkret an Studierende. Außerdem erstellen wir Infomaterialien für Mediziner her. Aktuell beschäftigen wir uns sehr mit dem Thema Klimawandel. Wir sind auch Teil der „Allianz für Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG) – einem Netzwerk aus Vertretern verschiedener Gesundheitsberufe, die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken wollen. Da sind viele Ärzte dabei, aber auch Menschen anderer Professionen aus dem Gesundheitssektor. Klimawandel hat eben nicht nur etwas damit zu tun, dass in der Arktis die Eisbären ihren Lebensraum verlieren. Der Klimawandel betrifft die Gesundheit jedes einzelnen. Wir haben deshalb auch gemeinsam mit der KLUG im vergangenen Jahr eine Mahnwache mit dem Titel „Patientin Erde auf der Intensivstation“ organisiert. Dafür haben wir fünf Tage lang Tag und Nacht ein Sanitätszelt am Platz vor der Charité in Berlin betrieben. Da waren auch Ärzte dabei, die symbolisch die Erde intensivmedizinisch versorgt haben. Damit wollten wir die Dringlichkeit der aktuellen Lage verdeutlichen.
Das Thema Klimawandel wird ja aktuell auch stark von der „Fridays for Future“-Bewegung in die Öffentlichkeit gerückt. Wie steht Ihr zu dieser Bewegung?
Sylvia Hartmann: Die bvmd hat ein Statement veröffentlicht, dass wir die „Fridays for Future“-Bewegung unterstützen. Wir fordern ein größeres Engagement, damit die Klimaziele erreicht werden können. Wir gehen als bvmd nicht gemeinsam auf die Demonstrationen – aber wir finden es gut, wenn Studierende sich daran beteiligen. Das Besondere an dieser Bewegung ist, dass Leute auf die Straße gehen, die das sonst nicht tun. Wir fördern es, dass besonders Mediziner sich in diesem Bereich engagieren. Damit wollen wir ein Zeichen setzen: Umweltschutz ist Gesundheitsschutz! Wenn die Leute das verstehen, fällt es ihnen leichter, sich für das Klima zu engagieren. Man hört ja immer nur, wie man sich für das Klima einschränken und auf etwas verzichten soll: Vegetarisch leben, seltener Auto fahren oder fliegen. Wir wollen den Fokus mehr darauf richten, was Menschen durch Umweltschutz gewinnen können: Das ist zum Beispiel eine bessere Gesundheit und dadurch bedingt auch eine höhere Lebensqualität.
Das klingt so, als würdest Du Mediziner auch in einer besonderen Verantwortung für den Umweltschutz sehen. Warum ist das so?
Sylvia Hartmann: Wir als Menschen interagieren ja ständig mit der Umwelt. Beispiele dafür, wie Umwelteinflüsse krankmachen können, haben wir ja schon reichlich angesprochen. Das bedeutet: Viele Maßnahmen, die unsere Gesundheit stärken, sind auch gut für die Umwelt. Wir verstehen das auch als eine präventive Maßnahme – und damit sind wir als Mediziner dafür auch verantwortlich. Unsere Aufgabe ist es ja nicht nur, die Menschen zu heilen, sondern auch, sie vor Krankheiten zu schützen. Da geht Gesundheitsschutz mit Umweltschutz einfach Hand in Hand. Wir beziehen uns mit unserer Initiative auf das „Health in all policies“-Konzept, nach dem die Konsequenzen auf die Gesundheit der Bevölkerung in allen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden soll. Dieses Konzept ist 2006 in der EU entstanden und wird unter anderem auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt. Die Politik schaut immer darauf, wie sich Entscheidungen auf das Bruttoinlandsprodukt und die Wirtschaft auswirken – dabei ist es für die Lebensqualität der Menschen viel entscheidender, ob sie gesund sind oder nicht.
Das bvmd-Projekt „Mensch und Umwelt“ beschäftigt sich mit den Einflüssen unserer Umwelt auf die menschliche Gesundheit. Ziel des Projektes ist es, interessierten Studierenden im Rahmen von Workshops, Projektwochenenden und anderen Formaten wissenschaftliches und politisches Wissen in diesem Bereich, inklusive dem Konzept „Health in all policies“.
Mehr Infos und Kontakt:
www.bvmd.de/unsere-arbeit/projekte/mensch-und-umwelt/
Ein Ehrenamt gibt den Helfern ja auch immer etwas zurück. Warum engagierst Du sich in diesem Bereich?
Sylvia Hartmann: Ich genieße den Kontakt und Austausch mit anderen Studierenden, die sich ebenfalls für Themen interessieren, die nicht unmittelbar mit dem Studium zu tun hat. Das finde ich sehr bereichernd, weil es mir neue Blickwinkel und Perspektiven gibt. Außerdem finde ich es interessant, mich selbst aktiv an der Gesellschaft zu beteiligen. Es ist einfach, sich über Dinge zu beklagen – aber es ist wichtiger, sich dafür einzusetzen, dass sich etwas verändert. Und gerade merken wir ja, dass sich etwas tut und dass es nicht nur vergeudete Energie ist.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Sylvia Hartmann: Ich wünsche mir, dass sich die Politik auch mehr in die Zukunft orientiert und die Konsequenzen von Entscheidungen nicht nur für die nächsten drei Jahre, sondern für die nächsten 20, 30 oder noch mehr Jahre in Betracht gezogen werden. Der Klimawandel und die anderen Umweltprobleme, die auf uns zukommen, müssen einfach konsequent angegangen werden.