Herr Popp, was für eine Idee steckt hinter Ihrer Initiative „Care & Travel“?
Das Konzept von „Care & Travel“ ist abgeleitet von „Work & Travel“ – das kennt man ja. Die Idee ist, dass junge Menschen reisen können und dabei in Pflegeheimen leben. Dort bekommen sie Kost und Unterkunft gestellt. Dafür verbringen sie einen Teil des Tages mit den alten Menschen. Die Studenten spielen mit ihnen, sie musizieren gemeinsam oder bringen sich auf andere Weise ein. Sie sollen einfach das Leben der Menschen dort etwas bereichern – von den Bewohnern, aber auch von den Mitarbeitern in der Pflege.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diese Initiative zu gründen?
Der Ursprung war eigentlich das Pflegepraktikum, das ich für das Medizinstudium machen musste. Da habe ich festgestellt, dass viele alte Menschen physisch und psychisch in einem ziemlich schlechten Zustand sind. Das habe ich auch bei meinen eigenen Omas gemerkt. Ich habe mich gefragt, woran das liegt. Für mich ist einer der Gründe, dass die Senioren mit Beginn der Rente ihre Aufgabe in der Gesellschaft verlieren. Und weil sie weniger zu tun haben, bauen viele schnell ab. Außerdem fehlt ihnen der Kontakt mit jungen Menschen. Das ist ein ziemlich großes Problem, das gesellschaftlich stark verbreitet ist. Die Generationen brauchen einfach den Kontakt zueinander – die Älteren, um fit zu bleiben und die Jüngeren, um von den Erfahrungen der Senioren zu profitieren. Ich habe mir Gedanken gemacht, was man da tun kann. „Care & Travel“ war eine von mehreren Ideen – aber es war die, die ich persönlich gut umsetzen konnte. Deshalb habe ich die Website gestaltet – und inzwischen sind wir eine kleine Gruppe, die das organisiert.
Warum kümmern Sie sich nicht um Senioren vor Ort, sondern verbinden es mit dem Reisen?
Gerade unsere Generation war ja eigentlich schon überall in der Welt – viele von meinen Kommilitonen waren schon in Australien, den USA oder Neuseeland. Aber deutsche Städte kennen sie kaum. Dabei gibt es hier viele richtig schöne Orte, die man erkunden kann. Ich wollte etwas anbieten, das hilft, unser eigenes Land besser kennenzulernen. Das sollte für die jungen Leute auch ein Anreiz sein. Es gäbe ja sonst auch die Möglichkeit, sich in Pflegeheimen vor Ort zu engagieren, aber nur wenige machen das auch. Wenn man auf Reisen ist, hat man eine grundsätzlich andere Einstellung und ist offener für alles – dadurch lernt man auch andere Menschen viel leichter kennen. Das ist das Tolle an „Care & Travel“, dass man nicht nur eine neue Stadt kennenlernt, sondern auch in das Leben von anderen Menschen eintaucht. Das ist ziemlich schön, weil die alten Menschen auch viel zu erzählen haben.
Wie reagieren die Senioren auf Ihre Besuche?
Die Resonanz ist immer positiv. Wenn man ins Pflegeheim kommt, strahlen einen die Bewohner schon an, weil sie glücklich sind, junge Leute zu sehen. Ich war meistens nur ein paar Tage in einem Pflegeheim. In dieser Zeit hat man gemerkt, dass sich die Stimmung allgemein total verbessert hat – das haben auch die Pflegekräfte bestätigt. Die alten Menschen sind dann viel aktiver und wollen sich dem jungen Gast gegenüber auch gut präsentieren. Als Medizinstudenten sind wir auf der einen Seite einfach Besucher. Aber wer möchte, hilft auch bei der Therapie und der Pflege. „Care & Travel“ ist auch dazu da, um den jungen Menschen den Kontakt mit der Pflege zu ermöglichen. Die Pflegeproblematik ist zurzeit ja ein aktuelles Thema. Wir wollen auch helfen, da Einblicke zu gewinnen, wie die Situation tatsächlich ist. Wenn man mit anpackt, ist es noch einfacher, mit den Senioren ins Gespräch zu kommen und sie besser kennenzulernen.
Was erleben Sie denn unterwegs zum Beispiel? Was hat Sie da besonders berührt?
Da gibt es einiges. Ich habe zum Beispiel immer sehr gern Musik gemacht – mittlerweile habe ich auch ein paar alte Volkslieder gelernt. Einmal habe ich mit den Bewohnern zusammen gesungen. Da wurde eine ältere Dame, die sehr dement war, in ihrem Rollstuhl an den Tisch geschoben. Normalerweise hat sie nur in die Luft geschaut. Und auf einmal hat sie angefangen zu singen und konnte die Texte besser als alle anderen. Das war ein echter Gänsehautmoment. Aber auch in den Gesprächen mit den Bewohnern ergibt sich viel Ergreifendes. Vor meiner ersten Reise hatte ich zum Beispiel immer den Eindruck, dass Demenz die schlimmste Krankheit ist, die man haben kann und hatte Angst davor – weil man sich selbst praktisch dadurch verliert. Aber in dem Pflegeheim waren viele dement. Unter anderem habe ich einen ehemaligen Professor kennengelernt. Der hat mir zwar immer wieder die gleichen Fragen gestellt und die Antworten sofort vergessen. Aber trotzdem hatte er noch eine unheimlich intelligente Ausstrahlung. Wir haben über viele Dinge reden können. Wenn man mit den Leuten zu tun hat, merkt man, dass viele glücklich sind und ein erfülltes Leben haben – trotz der Demenz. Sie behalten trotzdem ihren eigenen Charakter.
Die Initiative „Care & Travel“ gibt es seit Frühjahr 2017. Das Ziel ist es, junge und alte Menschen zusammenzubringen und gleichzeitig Studierenden eine kostengünstige Möglichkeit zu geben, neue Orte und Regionen kennenzulernen. Wer mitmachen möchte: Mehr Infos gibt es auf www.care-and-travel.org. Interessierte können sich auch über info@care-and-travel.org bei den Organisatoren melden.
Wie profitieren die jungen Teilnehmer von dieser Initiative?
Zum einen ist es eine unheimlich kostengünstige Möglichkeit zu reisen – das ist der offensichtliche Aspekt. Aber auch sonst ist es unheimlich schön, Menschen zu helfen – vor allem als Medizinstudent will man sich ja nicht immer nur um sich selbst kümmern, sondern eben auch um andere. Das habe ich vor allem bei meiner ersten Reise festgestellt. Damals hatte ich großen Stress im Studium und es ging mir nicht so gut. Aber im Pflegeheim interessiert es die Leute nicht, wie erfolgreich man im Studium ist und ob man gute Noten hat. Es geht darum, Mensch zu sein. Das ist eine ziemlich schöne Erfahrung, weil es einen erdet. Die alten Menschen haben viel Lebenserfahrung, die sie weitergeben können. Aber auch für die medizinische Arbeit kann man im Pflegeheim viel lernen. Ich habe bei meinen Aufenthalten immer eine sehr gute Arbeitsatmosphäre erlebt. Vor allem bei meinem ersten Aufenthalt im Pflegeheim der Fürstin Wilhelmine Stiftung in Wallerstein bei Nördlingen (Bayern) war die Stimmung durch und durch liebevoll. Das hat mich begeistert – diese Erfahrung habe ich auch in meinem Reisebericht auf unserer Webseite geschildert.
Wie kommen die Kooperationen mit den Seniorenheimen zustande?
Am Anfang haben wir selbst angefragt und unser Projekt vorgestellt. Aber inzwischen melden sich die Seniorenheime auch bei uns, weil sie von unserer Initiative erfahren haben. So hat sich eine Seniorenresidenz in Uelzen (Niedersachsen) bei uns vorgestellt und wollte mitmachen – und ich war Ende September auch für einen Besuch dort. Unser Projekt wird langsam immer bekannter. Ich denke, in Zukunft werden wir von beiden Seiten gegenseitig den Kontakt suchen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Initiative?
Im Moment sind wir ja nur eine kleine Gruppe. Aber ich hoffe, dass sich das in den nächsten Semestern ändern wird. Geplant ist, künftig an mehr Unis Ortsgruppen zu gründen, die für die Pflegeheime Ansprechpartner sind. Die Ortsgruppen sollen aber auch eine Anlaufstelle für die Reisenden sein – sie sollen Tipps geben, wenn man nach der Zeit mit den Senioren auch seinen Urlaub in der fremden Stadt genießen will. Langfristig wollen wir auch im Ausland mehr Pflegeheime für eine Kooperation gewinnen. Toll wäre ein Pflegeheim zum Beispiel in Barcelona – aber auch überall sonst in Europa. Der Austausch mit Senioren aus anderen Ländern ist ja auch interessant. Fast alle in unserer Generation kennen die Geschichten, wie unsere Großeltern den Krieg erlebt haben. Aber wie das für Menschen in Frankreich oder England war, diese andere Sichtweise kennen wir nicht. Vielleicht können wir als Reisende aus Deutschland da zur Versöhnung beitragen und den Senioren helfen, mit ihrer Geschichte Frieden zu schließen.