Psychisch kranke Avatare: Patientengespräche per VR-Brille üben

Wie können Medizinstudenten lernen, psychisch schwerkranke Patienten richtig zu diagnostizieren? An der Uniklinik Bochum sollen typische Krankheitsbilder und Behandlungssituationen künftig per Virtual Reality (VR) simuliert werden.

PD Dr. Paraskevi Mavrogiorgou (links) und Prof. Dr. Georg Juckel arbeiten daran, die Biographien und möglichen Antworten der Avatare aufzubauen. | Roberto Schirdewahn

 Bei der Diagnose psychischer Erkrankungen ist nicht nur wichtig, was ein Patient sagt – auch non-verbale Informationen spielen eine große Rolle: Wie ist die Körperhaltung? Sitzt der Patient ruhig da oder läuft er umher? Wie klingt die Stimme? Was drückt die Mimik aus? Erfahrene Ärzte können während des Gesprächs all diese Details beobachten und bewerten.

Studierende müssen das allerdings erst lernen – und das ist manchmal nicht so ohne weiteres machbar, erklärt Privatdozentin Dr. Paraskevi Mavrogiorgou von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin der Ruhr Universität Bochum (RUB): "Im Universitätsklinikum sehen wir vor allem schwerkranke Patienten. Sie zu motivieren, am Unterricht mit Studierenden teilzunehmen, ist schwierig. Und es sind nicht die Patienten, die die angehenden Ärzte in ihrer Berufspraxis wahrscheinlich häufig sehen werden."

Avatare mit verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen

Ein neues digitales Lernprojekt soll es den Studierenden jetzt ermöglichen, mit Patienten aller psychiatrischen Krankheitsbilder und Schweregrade zu üben: Dabei sollen die Nachwuchsmediziner mit einer VR-Brille ausgestattet werden und verschiedene Avatare im virtuellen Raum treffen können. Die Studierenden können dann künftig im dreidimensionalen VR-Raum Avatare mit den Symptomen verschiedener psychischer Erkrankungen und typische Behandlungssituationen erleben.

Nach der aktuellen Planung sollen die Avatare im Sommersemester 2020 für die ersten Übungsgespräche mit Studierenden zur Verfügung stehen. „Wir hoffen, dass das Angebot bei den Studierenden auch angesichts dessen, was sich derzeit alles im Freizeitbereich entwickelt hat, gut ankommt“, so Paraskevi Mavrogiorgou. Die Neugier auf die Begegnung mit den virtuellen Patientinnen und Patienten ist jedenfalls groß.

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Schon seit mehr als zwei Jahren laufen die Vorbereitungsarbeiten. Derzeit werden die Avatare erstellt: Aktuell arbeiten Mavrogiorgou und ihr Team daran, die virtuellen Patienten inhaltlich auszugestalten: „Sie brauchen eine Biografie, eine Vorgeschichte“, erklärt Mavrogiorgou, „und sie müssen in der Lage sein, gemäß ihrer psychischen Erkrankung auf bestimmte Schlüsselfragen zu antworten.“ Wenn ein Behandler also einen an Schizophrenie erkrankten Avatar danach fragt, ob er Stimmen hört, muss er das bestätigen. Bei irrelevanten Fragen darf der virtuelle Patient aber nicht einfach schweigen, sondern muss ebenfalls eine passende Antwort geben können.

"Für uns ist das im Moment die größte Herausforderung: dass ein flüssiger Dialog entsteht", sagt Prof. Dr. Georg Juckel, Ärztlicher Direktor der Klinik. Inzwischen gebe es hunderte Seiten mit Anweisungen und möglichen Dialogen, ergänzt Mavrogiorgou. Damit das auch funktioniert, ist ein Computer mit einer sehr guten Spracherkennung wichtig.

"Wie in einem Computerspiel"

Damit auch die Körpersprache der Avatare realistisch und überzeugend ist, wollen die Mediziner mit einer kommerziellen Firma zusammenarbeiten, die auf Visualisierungen im Medizinbereich spezialisiert ist. Die Avatare können im Gespräch sitzen, stehen, liegen oder umherlaufen. Auch ihre Mimik muss von den Programmierern einzeln gestaltet werden – denn auch sie kann wichtige Informationen für die Diagnose liefern. „Es ist wie früher bei den Trickfilmen von Walt Disney und jetzt bei den Computerspielen", vergleicht Juckel den Aufwand für die Programmierung.

Damit den Studierenden nicht langweilig wird, werden die Avatare segmentweise aufgebaut. Das System besteht aus verschiedenen Modulen – deshalb lassen sich mehrere Schwierigkeitsgrade einstellen. Jeder Avatar stellt eine bestimmte Diagnose oder Behandlungssituation dar. Das eigentliche Diagnosegespräch ist aber davon abhängig, wie die Studierenden das Gespräch führen und welche Fragen sie stellen. Das lernen sie unter Anleitung und Supervision.

Die Klinik hat für das VR-Diagnose-Projekt bereits Räume zur Verfügung gestellt und baulich vorbereitet. Hier sollen kleine Kabinen eingerichtet werden, in denen sich die Studierenden für die Sitzungen mit ihren virtuellen Patienten zurückziehen können. International ist das Projekt bisher einzigartig: "Das hat unseres Wissens noch niemand gemacht, damit sind wir die ersten“, verrät Juckel.

Quelle: Ruhr Universität Bochum (11.9.2019)

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