Während des Praktischen Jahres (PJ) sollen die Studierenden lernen, ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen zunehmend selbstständig durchzuführen. Im Mittelpunkt des Praktischen Jahres steht gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 ÄApprO „die Ausbildung am Patienten“, damit die Studierenden die während des vorhergehenden Studiums erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vertiefen und erweitern“ und auf diese Weise „lernen, sie auf den einzelnen Krankheitsfall anzuwenden.“ Damit unter einer derartigen Vertiefung und Erweiterung nicht nur das reine Zusehen und Zuhören zu verstehen ist, stellt § 3 Abs. 4 Satz 4 ÄApprO unmissverständlich klar, dass die Medizinstudierenden zu diesem Zweck „entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbilden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen“ sollen. Für beide Seiten, PJ-Studierende wie PJ-Ausbildende, ist also ein Spagat zu meistern: Auf der einen Seite soll der Studierende eigenverantwortliches Handeln lernen, auf der anderen Seite ist die Ausbildungssituation zu berücksichtigen. Die PJ-Studierenden dürfen zwar keine Maßnahmen anordnen, aber solche unter Anleitung und Aufsicht eines Facharztes durchführen.
Ungeachtet dessen haben zwei aktuelle Entscheidungen zu einer erheblichen rechtlichen Verunsicherung geführt. Worum geht es?
Die Bielefelder Entscheidung
Im vielbesprochenen Bielefelder Fall applizierte ein Medizinstudent im Praktischen Jahr eine zur oralen Verabreichung bestimmte und im Zimmer des Patienten abgelegte Spritze intravenös, worauf der zehn Monate alte Patient infolge eines anaphylaktischen Schocks verstarb. Wie kann es sein, dass ein mit einer Blutentnahme beauftragter PJ-Studierender meint, ein Antibiotikum intravenös zu applizieren? Im Kern manifestiert sich in diesem Fall eine klassische Fehlerkette, beginnend mit dem zu späten Eintreffen des PJ-Studierenden in der Übergabebesprechung und der daraus resultierenden fehlenden Kenntnis der Diskussionen über eine mögliche Vergabe eines zusätzlichen intravenösen Antibiotikums. Die an die Mutter des Patienten gerichtete Aussage der Krankenschwester zur Gabe des oralen Antibiotikums wurde von ihm als Aufforderung zur intravenösen Applikation missverstanden. Hinzu trat der fatale Umstand, dass für die orale Vergabe von Medikamenten auf der Station normale Spritzen verwandt wurden. Diese konnten auf liegende Portkatheter aufgesetzt werden, da der Kronusdurchmesser identisch war. Das Landgericht verurteilte den PJ-Studierenden wegen fahrlässiger Tötung. Der PJ-Student habe grob fahrlässig gehandelt, da er bei Beachtung der erforderlichen und ihm auch möglichen Sorgfalt hätte erkennen müssen, dass die von der Krankenschwester abgelegte Spritze nicht intravenös hätte appliziert werden dürfen. Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob dieses Urteil zu hart ausgefallen ist. Nicht plausibel nachvollziehbar ist allerdings der Umstand, warum hier ausschließlich der PJ-Student angeklagt wurde. Denn zweifelsohne trifft auch den Krankenhausbetreiber ein Organisationsverschulden für den Umstand, dass die für die orale Vergabe vorgesehenen Spritzen überhaupt auf liegende Portkatheter aufgesetzt werden konnten. Gerade diese isolierte Betrachtung möglichen Fehlverhaltens beim PJ-Studenten führte zu einer mitunter massiven Kritik am Urteil.
Die Mainzer Entscheidung
Inhaltliche und zeitliche Parallelen weist ein Urteil des Landgerichts Mainz aus dem März 2014 auf. Die als einzige Nachtwache eingeteilte Medizinstudentin im zehnten Semester hing einer postoperativen Patientin, nach mehrfachem Erbrechen zur Flüssigkeitszufuhr einen im OP zurückgelassenen Tropf an. Hierbei handelte es sich um eine halbgefüllte milchige Infusionsflasche mit der Aufschrift „NaCl“, welche außer Kochsalzlösung auch Propofol enthielt. Aus dem Eintrag in der Medikamentenliste „Infusionsrest aus Op iv“ schloss die Studentin, dass sie den noch im OP hängenden Tropf bei Beschwerden der Patientin anschließen solle. Die Patientin erlitt alsbald einen Atem- und Kreislaufstillstand und befindet sich seitdem im Wachkoma. Das grobe Fehlverhalten der Studentin durch Anschluss einer halbvollen und noch dazu milchigen Infusionsflasche ohne Rücksprache dürfte auf der Hand liegen. Der Unterschied zum Bielefelder Fall liegt aber darin begründet, dass neben der Studentin sowohl der behandelnde Chirurg als auch der Krankenhausträger gesamtschuldnerisch zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt wurden. Denn insbesondere der Krankenhausträger hat seine Pflichten aus dem Behandlungsvertrag dadurch verletzt, dass er mit der Medizinstudentin völlig ungeeignetes Personal als alleinige postoperative Nachtwache beschäftigt hat.