„Wir haben eine riesige Bewährungsprobe in unseren drei Kernaufgaben – Forschung, Lehre und Versorgung – dreifach glänzend bestanden“, sagte Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultätentag (MFT), gestern zur Eröffnung des 81. oMFT, der sich explizit den Herausforderungen für die Universitätsmedizin in ihren drei Kernbereichen während der Pandemie widmete.
Bezüglich der Krankenversorgung habe die Universitätsmedizin während der Pandemie einen zentralen Beitrag geleistet, betonte Frosch. Und das nicht nur, weil die Patienten mit besonders schweren Krankheitsverläufen überwiegend in universitätsmedizinischen Einrichtungen behandelt worden wären, sondern auch, weil die Universitätsmedizin an den meisten Standorten zentrale Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben und die Beratung von Behörden und Politik übernommen und im Versorgungsalltag bislang bestehenden Sektorengrenzen überwunden hätte.
„Gemeinsam mit Krankenhäusern in der Region, der niedergelassenen Ärzteschaft und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst haben die universitätsmedizinischen Einrichtungen die regionale Verantwortung für das Management des Pandemiegeschehens übernommen und über die Sektorengrenzen von ambulanter und stationärer, universitärer und nicht-universitärer Medizin hinaus organisiert und die entsprechenden Maßnahmen umgesetzt“, betonte der MFT-Präsident. Nun gelte es, die Organisation der Gesundheitsversorgung grundsätzlich sektorenübergreifend zu denken. Darin sei sich der MFT mit dem Verband der Uniklinika Deutschlands (VUD) einig.
Gute Kommunikationskultur
Als besonders positiv während der Pandemie bewertete Christopher Baum, Vizepräsident Medizin der Universität zu Lübeck und Mitglied des MFT-Präsidiums, die derzeit vorherrschende Kommunikationskultur.
„Noch nie gab es so viel Austausch zwischen den Fakultäten“, berichtete er bei der Podiumsdiskussion. Auch an den Schnittstellen zwischen den Behörden und den Hochschulen hätte eine sehr gute Interaktion stattgefunden“, zog er Bilanz. „Die Grundhaltung war geprägt von Solidarität. Es gab keine Normen, aber gemeinsame Werte.“ Die Politik habe tatsächlich einiges entreguliert. „Dies basierte auf Vertrauen.“
Auch Minsterialdirigent Markus Algermissen, Leiter der Unterabteilung Medizin- und Berufsrecht im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), lobte die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Politik in den vergangenen Wochen. Obwohl in Politik und Wissenschaft andere Strukturen herrschten, hätten sich schnell übergreifende Krisenstäbe gebildet, die gut kooperiert hätten, sagte er.
Reform des Medizinstudiums auf der Agenda
„Das war auch nötig, weil viele Verordnungen schneller gehen mussten als üblich.“ Jetzt werde sich die Politik wieder anderen Themen widmen können, kündigte Algermissen an. So würden jetzt die Arbeiten an einer Reform des Medizinstudiums weitergehen. „Dabei werden wir auch die Erfahrungen aus der Zeit der Pandemie miteinbeziehen“, sagte er.
Während der Pandemie habe bundesweit ein großer Teamgeist geherrscht, explizit auch an der Schnittstelle zwischen Krankenversorgung und Forschung, bestätigte auch Britta Siegmund, Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Direktorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie an der Charite Berlin.
„Die ständigen Anpassungen an neue Situationen waren große Herausforderungen“, sagte sie. Nun komme es darauf an, wieder zum Normalbetrieb zurückzukehren, auch im Forschungsbetrieb. Es habe sich aber gezeigt, dass forschende Kliniker unentbehrlich sind. Clinician-Scientist-Programme müssten daher weiter verstärkt unterstützt werden.
Unimedizin vergessen
Obwohl heute beim 81. oMFT die Interaktion zwischen Politik und Wissenschaft grundsätzlich positiv bewertet wurde, zeigte sich Frosch enttäuscht darüber, dass die Universitätsmedizin im Coronakonjunkturpaket der Bundesregierung nicht bedacht wurde. „Es scheint wieder einmal eine Chance vertan zu sein, den hohen, aufgestauten Investitionsbedarf zu adressieren“, beklagte er.
So erfolgreich die Arbeit in den zurückliegenden Wochen gewesen sei: Die Universitätsmedizin habe auch ihre Grenzen deutlich zu spüren bekommen. „Nun müssen wir aufpassen, dass wir bei aller Improvisationskraft, die wir gezeigt haben, die Innovationskraft der Universitäten nicht aus den Augen verlieren“, warnte der MFT-Präsident.
Spätestens jetzt, wo die Universitätsmedizin in der Coronapandemie überdurchschnittliches geleistet habe, dürfe ihr der Zugang zum Strukturfonds nicht verwehrt werden“, forderte Frosch. Bisher ist für die Universitätsklinika eine Förderung durch den Strukturfonds nämlich nur sehr begrenzt möglich.
Pro und Contra Pubmed
Eine Öffnung der Fördermöglichkeiten des Strukturfonds wäre für all diejenigen in den Medizinischen Fakultäten und Universitätsklinika, die während der COVID-19-Pandemie Großartiges geleistet hätten, es jetzt das richtige Signal, meinen MFT und VUD.
Neben den vielen Veränderungen in der Krankenversorgung wies Frosch auch auf einige Umbrüche im „Kerngeschäft Forschung“ der Fakultäten hin, die es in den vergangenen Wochen gegeben hat. So habe sich die wissenschaftliche Publikationspraxis geändert: „In nur fünf Monaten sind in Pubmed zum Thema COVID-19 /SARS-CoV-2 20.000 Publikationen aufgeführt worden. Nie war es leichter, in den besten Journalen zu publizieren“, sagte er.
Dies habe aber auch eine andere Seite: Bei dieser Dynamik und dem hohen öffentlichen Erwartungsdruck könnten auch wissenschaftliche Qualitätsstandards auf der Strecke bleiben, warnte Frosch. Diese Entwicklung ist für den MFT-Präsidenten nicht überraschend, er hält sie aber für gefährlich. Eine Gefahr gehe auch von vorab veröffentlichten, aber noch nicht abschließend analysierten Studienergebnisse aus.
„Die Erwartungen der Öffentlichkeit, schnellstens Lösungen für die Beherrschung der Pandemie mit Medikamenten, Impfstoffen, epidemiologischen Bewertungen zu präsentieren, stehen im Widerspruch zu der erforderlichen Sorgfalt bei der Datenerhebung und der Einhaltung wissenschaftlicher Qualitätsstandards“, sagte Frosch mit einem Seitenhieb auf einige Darstellungen in der Presse.
Die medizinischen Fakultäten seien im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit und des breit vorhandenen Vertrauens der Gesellschaft in die medizinische Forschung verpflichtet, geltende Qualitätsstandards sicherzustellen. Zudem müssten sie aber auch ihre Wissenschaftler vor der „Geltungssucht von Pseudoexperten“ schützen.
Bemerkenswert findet es Frosch, wie schnell Drittmittelgeber dreistellige Millionenbeträge in die Förderung von Forschungsprojekten und Forschungsinfrastruktur und -organisation gesteckt haben. Dabei hätten noch zu Beginn der Pandemie verschiedene Politiker gefordert, dass die Universitätsmedizin sich ganz der Versorgung widmen und den Forschungsbetrieb komplett einstellen soll.
Insbesondere begrüßten die Vertreter der Fakultäten die Implementierung des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu COVID-19, die alle universitätsmedizinischen Standorte zusammenführt und vom Bundesforschungsministerium (BMBF) mit 150 Millionen Euro gefördert wird.
Diese Strukturen müssen langfristig verstetigt werden“, betonte Siegmund als Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Bei der Podiumsdiskussion wies sie zudem auf Projekte hin, die die DFG derzeit mit zusätzlichen Mitteln unterstützt.
So könnten nun in zahlreichen Förderverfahren zusätzliche Personal- und Sachmittel beantragt werden, um Forschungsarbeiten, die wegen der Coronapandemie nicht wie geplant durchgeführt werden konnten, fortzusetzen und abzuschließen.
Frosch begrüßte, dass Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) mit der Vorlage ihres Aktivierungsprogramms vor einigen Tagen angekündigt habe, aus „leistungsfähigen Systemen Hochleistungssysteme zu machen“ und hierfür sämtliche Prozesse in der Hochschulmedizin digitalisieren wolle.
„Dies ist auch dringend notwendig“, sagte der MFT-Präsident. „Universitätsklinika gelten als kritische Infrastruktur mit besonderen Anforderungen an die Datensicherheit – ohne jedoch dafür eine adäquate finanzielle Ausstattung zu haben.“ Mit der Medizininformatikinitiative des BMBF fördere der Bund derzeit zwar die Vernetzung von Forschung und Versorgung in der Universitätsmedizin.
Investitionen in IT-Infrastuktur
„Die Initiative deckt allerdings nicht den dringenden Bedarf im Bereich der IT-Infrastruktur ab“, so Frosch. In einem ersten Schritt wurden jetzt jedoch an den beteiligten 33 Universitätskliniken und Partnereinrichtungen bereits Datenintegrationszentren aufgebaut und vernetzt. Somit werden die Voraussetzungen geschaffen, um Forschungs- und Versorgungsdaten standortübergreifend verknüpfen zu können.
Diese Infrastrukturen braucht man auch für die dritte Säule der Hochschulmedizin: die Lehre. „Wir haben in der Krise sehr kurzfristig improvisieren müssen und mit großer Energie alternative digitale Formate in der Lehre entwickelt und zum Einsatz gebracht“ erklärte Frosch. Es fehle jedoch an Hardware, Personal, um digitale Lehrkonzepte zu entwickeln und an Ressourcen, um das Lehrpersonal im Bereich der digitalen Lehre zu qualifizieren.
Kritik an Flickenteppich beim M2
Im Rahmen der Podiumsdiskussion des 81. oMFT kamen auch Medizinstudierende der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zu Wort: Tobias Henke und Meret Quante. Sie zeigten sich grundsätzlich zufrieden mit der Fortsetzung des Lehrbetriebs während der Pandemie.
„Die digitale Lehre hat überraschend gut funktioniert“, sagte Henke. Dennoch könne sie auf Dauer nicht die Lehre am Krankenbett ersetzen. „Sehr eng und gut war auch der Austausch der Fachschaft mit dem Dekanat und dem Klinikum“, lobte auch Quante.
Nicht zufrieden sind die Medizinstudierenden hingegen mit den bundesweit uneinheitlichen Regelungen zum zweiten Staatsexamen (M2) während der Coronakrise.
Hintergrund ist eine die „Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, nach der die Länder selbst bestimmen konnten, ob sie das große schriftliche Examen, das M2, um ein Jahr auf April 2021 verschieben und ein „Hammerexamen“ (M2 und M3 gemeinsam) durchführen oder das M2 trotz der COVID-19-Pandemie regulär im April 2020 stattfinden lassen.
Bayern und Baden-Württemberg hatten sich entschieden, das M2 auf kommendes Jahr zu verschieben. „Damit haben wir einen Flickenteppich und während des Praktischen Jahres (PJ) nur noch eine eingeschränkte Mobilität“, beklagte Henke und forderte kulante Ausnahmeregelungen zwischen den Ländern bezüglich des Starts des PJ.