Studieren im Ausland: Nepal – Medizin in den Bergen

Am Fuß der Hauptkette des Himalaja-Gebirges liegt das Amppipal Hospital, in dem Patienten jeden Alters ambulant und stationär behandelt werden. Die Medizinstudentin Johanna Fürst war vergangenes Jahr dort.

Nepal

Johanna Fürst famulierte im Krankenhaus von Amppipal in Nepal – 1.000 Metern über dem Meeresspiegel. | CC0 Creative Commons

Einer anderen Art von Medizin begegnete ich während meiner zweimonatigen Famulatur im Sommer 2016 in Nepal im Krankenhaus von Amppipal. Ich hoffte, basale ärztliche Fertigkeiten zu vertiefen. Dies war in der Tat so: Auch wenn vielles ganz anders als in Deutschland war, fand ich mich schnell in den täglichen Ablauf im Krankenhaus von Amppipal ein. Dieses liegt auf einer Höhe von 1.000 Metern über dem Meeresspiegel im Distrikt Gorkha und bietet einen herrlichen Blick auf die verschneiten Berge der Annapurna-Bergkette und des Manaslu. Für die umliegenden Orte ist die Klinik derzeit der einzige Ort mit regulärer, chirurgischer Behandlungsmöglichkeit.

Die Patienten nehmen oft einen weiten und beschwerlichen Marsch durch die Berge auf sich, um die Klinik zu erreichen. Insgesamt verfügt das Krankenhaus über 46 Betten; diese sind, abhängig von der Jahres- und vor allem der Festivalzeit, unterschiedlich belegt. Wenn große hinduistische Feste wie Darsai oder Diwali bevorstehen, möchte niemand im Krankenhaus sein. Auf den Körper wird weniger Rücksicht genommen.

Jeden Morgen – außer Samstag – wurden wir als ausländische Studenten und Ärzte pünktlich um acht Uhr im Schwesternzimmer erwartet, um bei den Visiten mitzulaufen. Denn die nepalesische Woche kennt sechs Arbeitstage, die in Amppipal gut strukturiert sind. Da die meisten Patienten kein Englisch sprechen, wurde in der Regel auf Nepali kommuniziert. Übersetzungen gab es meist in Form kurzer Zusammenfassungen. Auf diese Weise konnten wir jedoch unseren klinischen Blick schulen: Wir achteten vermehrt auf vermeintliche Kleinigkeiten, beispielsweise auf Körperhaltung und Gesichtsausdruck der Patienten oder Utensilien um die Krankenbetten herum. In Anschluss an die Morgenvisite mussten zwei große Patientengruppen versorgt werden. Zum einen all die Patienten, die über zum Teil abenteuerliche Wege zur Sprechstunde gekommen waren und dafür keine Mühe gescheut hatten. Zum anderen aber auch all die stationären Patienten, bei denen Wundversorgungen, Verbandswechsel und chirurgische Eingriffe durchgeführt werden mussten. Viele Aufgaben für meist nur einen vollausgebildeten nepalesischen Arzt, von dem zu allen möglichen Symptomen Rat und Antwort 24 Stunden am Tag erwartet wurde.

Die Mittagspause um 12.45 Uhr wurde mit unglaublicher Präzision eingehalten. Für ausländische Gäste kochte die Haushälterin „Didi“ der Unterkunft jeden Tag den immer leckeren und nahrhaften Daal Bhaat (Reis mit Linsen und Gemüse). Nach einer Tasse des süßen Masala-Tees ging es wieder hinunter ins Krankenhaus und es wurde so lange gearbeitet, bis alle Patienten versorgt waren. Abgeschlossen wurden die Tage mit einer Abendvisite, die je nach Uhrzeit und „Erschöpfungszustand“ des Arztes unterschiedlich intensiv ausfiel. In den Nächten bestand immer Rufbereitschaft, um eventuelle Notfälle aus jeglichen Fachrichtungen zu versorgen und bei Geburten Hilfestellung zu leisten.

Der verantwortliche nepalesische Arzt legte viel Wert darauf, dass wir die pathophysiologischen Zusammenhänge von Krankheiten verstehen

Studierende konnten frei aus dem vielfältigen Programm der Klinik wählen und sich persönliche Lernziele setzen. Kleine chirurgische Eingriffe, wie die Spaltung von Abszessen oder die Entfernung kleiner Fremdkörper, konnte ich beispielsweise unter Anleitung durchführen und bei aufwendigeren Operationen assistieren. Zudem habe ich mich bei den Sprechstunden dazugesetzt, um einen Eindruck von der Bandbreite der Krankheiten zu erhalten, mit denen ein Arzt in Amppipal täglich konfrontiert wird. Von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Pneumonien und Impetigo über komplizierte Frakturen, Schwangerschaftsuntersuchungen und psychische Störungen bis hin zu lebensbedrohlichen Tumorerkrankungen konnte alles dabei sein. Da die diagnostischen und therapeutischen Methoden begrenzt waren, wurde viel Einfallsreichtum und Kreativität vom medizinischen Personal verlangt.

Der verantwortliche nepalesische Arzt legte viel Wert darauf, dass wir Studierende die pathophysiologischen Zusammenhänge von Krankheiten verstehen und uns aus diesen Überlegungen heraus auch Therapiemöglichkeiten ableiten können. Vor dem Hintergrund der eingeschränkten Behandlungsmethoden ist dies in abgelegenen nepalesischen Bergdörfern essenziell.

Bei kleinen Kindern standen virale Atemwegsinfektionen, akute Bronchitiden und Pneumonien im Vordergrund, die meist großzügig mit Antibiotika behandelt wurden. Aber auch infektiöse Hautkrankheiten, wie Impetigo, Tinea und Abszesse waren häufige Diagnosen. Verbrennungen kamen auch immer wieder vor. Im Jugendalter spielten Frakturen eine große Rolle. Die COPD (chronisch obstruktive Lungenkrankheit), Depressionen und Alkoholabhängigkeit waren bei erwachsenen Patienten entweder Haupt- oder Nebendiagnose. Atemwegsprobleme waren angesichts des Lebensstils (Kochen in engen, fensterlosen Räumen, Rauchen) ja zu erwarten, doch über das Ausmaß der psychischen Störungen und des Substanzmissbrauchs war ich regelrecht schockiert. Regelmäßig wurden Alkoholsüchtige und Drogenabhängige ins Krankenhaus gebracht, meist bewusstlos und mit Sturzverletzungen. Depressionen sind keine Wohlstandskrankheit und in Amppipal wurde mir die zerstörerische Kraft dieser Erkrankung bewusst. Professionelle Hilfe in Form von Psychologen war dort jedoch nicht verfügbar und die Betroffenen erhielten meist eine medikamentöse Therapie mit Antidepressiva.

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