Wie ist die Idee entstanden, die Flüchtlinge als Medizinstudenten zu unterstützen?
Lea Laskowski: Wir sind im Sommer 2015 darauf aufmerksam geworden, dass viele Geflüchtete in die Notaufnahme geschickt wurden. Die Geflüchteten wussten nicht, wohin sie gehen sollen und wer für sie zuständig ist. Und auch die Sozialarbeiter in den Flüchtlingsunterkünften wussten das nicht so genau – und deshalb haben sie entweder direkt einen RTW gerufen oder die Leute in die Notaufnahmen geschickt, obwohl es gar keine Notfälle waren. Für die Notaufnahme war das ein großes Problem. Wir hatten damals schon eine Flüchtlingsunterkunft bei uns in der Sporthalle auf dem Uni-Gelände. Wir haben den Kontakt zu den Flüchtlingen gesucht und sie oft besucht. Zusammen mit den Sozialarbeitern haben wir dann überlegt, wie wir als Medizinstudenten helfen können.
Auf welche Schwierigkeiten stoßen Geflüchtete, wenn sie krank werden?
Lea Laskowski: Das größte Problem ist, dass sie unser Gesundheitssystem nicht kennen und nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Es ist vielen fremd, dass es in Deutschland einen Hausarzt gibt, der die erste Anlaufstelle ist und dann an andere Stellen überweist, wenn es nötig ist. Viele Flüchtlinge gehen direkt ins Krankenhaus. Wir wollen den Kontakt zwischen den Hausärzten und den geflüchteten Patienten erleichtern. Das fängt schon damit an, dass wir bei der Terminvermittlung helfen.
Wie helfen Sie denn genau?
Lea Laskowski: Als Studenten dürfen wir ja keine Diagnosen stellen. Aber wir können vermitteln und den Flüchtlingen das Gesundheitssystem erklären. Also haben wir damit angefangen, die Flüchtlinge darüber aufzuklären, wie das alles funktioniert. Irgendwann hatten wir die Idee, dass wir ein Tandem bilden, um die Sprachbarriere zu überwinden. Wir begleiten die Geflüchteten also mit einem Medizinstudenten und einem Dolmetscher zum Hausarzt. Das heißt, der Dolmetscher übersetzt das, was der Flüchtling sagt, ins Deutsche und der Medizinstudent übersetzt dann für den Arzt ins „Medizinische“ – und natürlich umgekehrt. So können wir den Ärzten schnell erklären, welche Vorgeschichte und Vorerkrankungen der Patient hat – weil wir schon vor dem Termin die Anamnese erheben können. Das führt dazu, dass die Hausärzte auch nicht mehr so abgeneigt sind, die Flüchtlinge zu behandeln, weil es nicht mehr so viel Zeit kostet.
Warum die Tandem-Lösung – würde nicht ein Dolmetscher reichen?
Lea Laskowski: Wir arbeiten mit Laien-Dolmetschern, die wie wir einfach bei uns an der Uni irgendetwas studieren und eine zweite Sprache sprechen. Dadurch kennen sie natürlich einige medizinische Begriffe nicht – deshalb ist die Zusammenarbeit mit den Medizinstudenten so sinnvoll. Wir können ja Begriffe ins Deutsche übersetzen, die für uns ganz einfach sind, die aber fachfremde Dolmetscher vielleicht nicht kennen. Bei akuten Fällen finden sich die Teams immer neu, aber bei chronisch Kranken achten wir darauf, dass ein festes Team den Patienten ins Krankenhaus begleitet. Es ist für den Geflüchteten natürlich schöner, wenn er sich nicht an viele neue Gesichter gewöhnen muss. So kann eine gute Vertrauensbasis entstehen.
Wie haben Sie die so genannte „Flüchtlingswelle“ 2015 erlebt?
Lea Laskowski: Man hat es natürlich überall in den Medien gesehen und gehört. Wir haben es direkt auf dem Campus mitbekommen, weil die Menschen eben in der Turnhalle einquartiert wurden. Aber wie gesagt, wir haben es vor allem in den Notaufnahmen und Kliniken mitbekommen. Viele wurden ja auch stationär aufgenommen und auch da war die Verständigung ein Problem. Es gab nirgendwo genug Dolmetscher. Wir haben dann einfach auf dem Campus Menschen angesprochen, bei denen wir dachten, die könnten noch eine andere Sprache sprechen und vielleicht Lust haben, uns zu helfen. Auf diese Weise haben wir viele verschiedene Sprachen akquirieren können – das war ein großer Gewinn für uns. Inzwischen können wir Dolmetscher für 16 verschiedene Sprachen zur Verfügung stellen.
Wie hat sich die Initiative seitdem entwickelt?
Lea Laskowski: Ich finde es beeindruckend, wie groß wir mittlerweile geworden sind. Wir haben inzwischen zwei Wahlfächer generiert. Im ersten Kurs bringen wir Medizinstudenten interkulturelle Kompetenzen bei – das gibt es schon im vierten Semester und wir haben schon 80 Studierende damit erreicht. Da geht es um Fragen wie: Wie gehe ich mit einer Patientin um, die mit einem Kopftuch reinkommt? Welche Krankheiten können uns jetzt begegnen, die wir vorher gar nicht kannten? Das ist zum Beispiel die Krätze, aber auch Tuberkulose – diese Krankheiten sind für uns Raritäten, die wir im Studium theoretisch lernen, mit denen wir aber bisher keinen Kontakt hatten. Im Rahmen des Wahlfachs begleiten die Medizinstudenten die Geflüchteten dann zum Arzt. Außerdem machen da auch Dolmetscher mit, die so auch etwas medizinisches Wissen bekommen. Die Idee für das zweite Wahlfach war, ein paar Grundlagen für medizinische Gespräche in arabischer Sprache zu vermitteln. Dieses Wahlfach läuft jetzt im zweiten Semester und 36 Studenten haben bisher daran teilgenommen. Wir bringen den Teilnehmern ein paar arabische Wörter bei, damit sie die Patienten wenigstens in ihrer eigenen Sprache begrüßen und ein paar kleine Sätze sagen können. Das kann den Dolmetscher nicht ersetzen, aber schafft schon sehr viel Vertrauen.
Wie viele Studierende engagieren sich denn bei Medidus?
Lea Laskowski: Im festen Orga-Kreis sind etwa zehn Studenten. Außerdem haben wir zusätzlich 145 Medizinstudenten, die die Begleitung machen, und 160 Dolmetscher. Das sind natürlich alles Studenten, die viele andere Verpflichtungen haben und nicht jeden Tag Zeit haben. Insgesamt haben wir bisher schon 630 Fälle betreut.
Welches Feedback bekommen Sie von den Geflüchteten?
Lea Laskowski: Das Feedback ist durchweg positiv. Gerade am Anfang wurden wir sehr oft als Dankeschön zum Essen eingeladen – es sind auch einige Freundschaften entstanden, vor allem bei den chronisch Kranken, die immer von einem festen Team betreut werden. Vorher hatten die Flüchtlinge beim Arzt große Probleme, sich zu verständigen. Sie bekamen irgendetwas verschrieben, wussten aber nicht, was sie damit machen sollen. Jetzt konnten wir ihnen zum Beispiel erklären, wie sie die Medikamente einnehmen oder wann sie sich wieder vorstellen sollen. Oder, was sie überhaupt für Symptome haben: Dass ihr Husten zum Beispiel nichts Schlimmes ist, sondern ein kleiner Infekt – und dass sie sich deswegen keine Sorgen machen müssen. Auch die Ärzte sind sehr glücklich, weil sie die Flüchtlinge jetzt viel unkomplizierter und schneller behandeln können. Und die Unterkünfte freuen sich, dass sie sich um dieses Thema nicht mehr kümmern müssen.
Welche Situationen berühren Sie als Helfer besonders?
Lea Laskowski: Wenn es um Krebserkrankungen geht, sind das immer sehr aufwühlende Momente. Wenn der Arzt dem Geflüchteten mitteilt, dass er Krebs hat, müssen das unsere Begleiter irgendwie übersetzen. Das sind immer Gespräche, die sehr schwer fallen. Meistens folgen danach noch mehrere Gespräche mit der Familie. Es kommen ja im Nachhinein immer noch Fragen auf, an die man während des Gesprächs mit dem Arzt nicht sofort denkt, weil man die Information erst verarbeiten muss. Da sind die Dolmetscher auch entsprechend angespannt – denen war am Anfang gar nicht klar, dass so etwas passieren kann. Wir bieten den Begleitern auch an, zum Orga-Treffen zu kommen und über solche Situationen zu sprechen. Und die Psychosomatik am LVR-Klinikum übernimmt Seminare in unseren Wahlfächern zum Thema „Posttraumatische Belastungsstörung“ – die bieten unseren Begleitern auch an, zu ihnen zu kommen, wenn sie Redebedarf haben. Es gibt aber auch sehr positiv berührende Erlebnisse: Das sind vor allem die Einladungen, wenn in der kleinsten Küche einer Flüchtlingsunterkunft riesige Menüs gezaubert werden und dann ganze Familien mit dazu kommen und ihre Dankbarkeit ausdrücken. Das lässt einen auch ganz gerührt zurück.
Sie bekommen ja auch gesellschaftlich viel Anerkennung für Ihr Engagement…
Lea Laskowski: Wir haben letztes Jahr den Gesundheitspreis NRW gewonnen, das hat uns sehr überrascht. Wir haben uns auf die Anregung eines Dozenten beworben, aber nicht damit gerechnet, tatsächlich zu gewinnen. Da war uns zum ersten Mal klar, dass wir etwas Größeres geworden sind. Wir haben uns jetzt noch für den Deutschen Engagementpreis beworben und für den Deutschen Ehrenamtspreis vom Flüchtlingsrat – da sind wir unter die ersten Acht gekommen. Dadurch haben wir einen Imagefilm gewonnen, den man sich oben ansehen kann.
Was ist für die Zukunft noch geplant?
Lea Laskowski: Wir wollen in Zukunft noch eine Ambulanz eröffnen, bei der dann auch ein Arzt anwesend ist – das würde die Vermittlung noch einfacher machen. Außerdem wollen wir künftig noch mehr Wert auf die Prävention und gesundheitliche Aufklärung legen. Dazu wollen wir mit den Geflüchteten in Kleingruppen – wenn möglich Männer und Frauen getrennt – über Gesundheitsthemen sprechen, die sie bewegen. Bisher gibt es das aber noch nicht, weil es für die Flüchtlinge eine große Hürde gibt, mit anderen Menschen über diese Themen zu sprechen und ihre Schwächen zu zeigen. Aber daran wollen wir im kommenden Jahr weiterarbeiten.
Ein Ehrenamt gibt ja auch den Helfenden immer etwas zurück. Was nehmen Sie für sich persönlich mit?
Lea Laskowski: Den Austausch und die interkulturelle Kompetenz. Man verliert die Hemmungen. Ich war Anfang des Jahres für vier Monate in Sri Lanka und habe selber gemerkt, wie es ist, in einem Land fremd zu sein. Das war eine wertvolle Erfahrung – einfach mal die Perspektive zu wechseln. Wie gehen wir hier in Deutschland mit den Menschen um? Wir versuchen in den Wahlfächern den Studenten interkulturelle Kompetenz und ein bisschen Fingerspitzengefühl beizubringen. Schön finde ich es einfach, dass man mit einer kleinen Idee doch einiges bewirken kann.