Einige Stunden nach den Ereignissen am Betonwerk, die ich in meinem letzten Beitrag beschrieben habe, sitze ich wieder an altbekannter Stelle, dem gemütlichen Sofa der Rettungswache mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Verschiedene „harmlose“ Einsätze und diverse Auftragsfahrten haben mich das Erlebte fast schon wieder vollständig verdrängen lassen, und im Kopf bin ich schon längst wieder im Alltag meines Freiwilligendiensts angekommen. Doch das hat nichts etwa mit Respektlosigkeit oder mangelnder Demut vor den Patientinnen und Patienten zu tun, sondern eher mit Mechanismen der Verarbeitung.
Schnelle Rückkehr in den Alltag
Mich macht es fast schon etwas nachdenklich, dass schwerwiegenderen Einsätzen nur kurze Zeit Beachtung geschenkt wird. Oft habe ich über diesen Umstand nachgedacht und mich nach einiger Zeit mit dem Gedanken abgefunden, dass es vielmehr um ein schnelles Zurückkehren zum Alltag, als um ein Verharmlosen oder Relativieren solcher Erlebnisse handelt. „Notfälle, wie die beschriebene Reanimation aus dem letzten Artikel, gehören eben zum Job dazu und gehören mit der Zeit zur Routine“, denke ich. Insbesondere altgediente Notärztinnen und -ärzte oder Notfallsanitäterinnen und -sanitäter lassen sich von derartigen Erlebnissen nur noch schwer beeindrucken. Die unglaubliche Summe verschiedenster Eindrücke, Geschichten und skurriler Situationen können nur noch schwer durch neue aufregende Geschehnisse des Rettungsdienst-Alltags übertroffen werden.
Oft sitzen wir im Team nachmittags bei Kaffee und Kuchen gemeinsam am Tisch und erzählen uns gegenseitig von den verschiedensten Geschichten aus der jeweiligen Rettungsdienst-Karriere. Doch bevor ich mit den Kolleginnen und Kollegen allzu ausgelassen über alte Zeiten sprechen kann, holt mich ein ungeschriebenes Rettungsdienst-Gesetz ein: Mein Notfallmelder piepst just in dem Moment, als ich ein frisches Stück Kuchen auf meinen Teller lege. Es geht zu einem Notarzt-Einsatz in ein ca. zehn Kilometer entferntes Dorf, das Einsatzstichwort lautet dieses Mal „Herz-Rhythmus-Störungen“.
Mein hauptamtlicher Kollege, mit dem ich schon seit meiner Kindheit privat gut befreundet bin, steigt auf den Beifahrersitz, ehe wir uns mit Sonder- und Wegerechten auf den Weg zum Einsatzort begeben. Zu Beginn meines Bundesfreiwilligendienstes konnte ich meine Aufregung bei den Einsatzfahrten kaum unterdrücken, doch mittlerweile gehören auch die Fahrten mit Blaulicht und Einsatzhorn zum Alltag dazu, sodass wir uns auf der Einsatzfahrt ausgelassen unterhalten. Ich erzähle, dass ich erst vorgestern meine erste Reanimation erlebt habe und berichte beeindruckt vom Einsatz im Schnee. Am Einsatzort angekommen holt mich das eben Gesprochene direkt ein, als wir das Schlafzimmer eines Einfamilienhauses betreten.
Wie verrückt es doch manchmal zugeht
Wir finden unseren Patienten vor: Es ist ein älterer Herr, den ich auf Mitte 80 schätzen würde, und der reglos im Ehebett liegt. Die aufgebrachte Familie steht wie üblich im Halbkreis um uns herum. In meinem Kopf denke ich noch immer an das Einsatzstichwort und bereite mich auf eine Therapie möglicher Herzrhythmusstörungen vor. Doch es kommt anders. Ziemlich schnell wird mir klar, dass dieser Einsatz erneut auf eine Reanimation hinauslaufen wird. Wir erkennen die Situation schnell und beginnen sofort mit der Wiederbelebung – „wie verrückt es doch manchmal zugeht“, denke ich mir.
Einige Zeit später entscheidet der Notarzt, ein altgedienter Kollege, die Reanimation erfolglos zu beenden. Plötzlich wird mir einiges klar und ich ertappe mich dabei, wie schnell auch für mich der Ablauf einer Reanimation zur Routine geworden ist. Wir gehen zurück zum Auto, füllen unsere Materialien auf und melden uns wieder einsatzbereit. Erst vor zwei Tagen durchlebte ich genau denselben Einsatz an anderer Stelle, erzählte auf der Wache davon und malte das entsprechende Feld in der Kuchenliste aus. „Innerhalb von 72 Stunden zweimal der gleiche Einsatz… das ist doch verrückt“, denke ich, doch das ist eben der Job, und irgendwann wird eben jeder Job zur Routine.