Wer kennt sie nicht: Zach Braff alias Dr. John Dorian, Patrick Dempsey alias Dr. Derek Shepherd, Anthony Edwards als Dr. Mark Greene oder John C. McGinley alias Dr. Perry Cox? In den meisten amerikanischen Fernsehserien, wie „Emergency Room“, „Grey’s Anatomy“ oder „Scrubs“ werden Ärzte durch gut aussehende Schauspieler dargestellt. Doch welchen Einfluss hat das auf die Zuschauer? Und beeinflussen die Serienstars vielleicht sogar die Arztwahl in Deutschland?
Dieser Frage gingen Moritz Köhler, Claudia Grabsch und Maximilian Zellner, Medizinstudierende der Universität Ulm, gemeinsam mit ihrem Mentor Dr. med. Michael Noll-Hussong von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Ulm nach. „Dazu befragten wir im Sommer 2013 zwei verschiedene Personengruppen“, berichtet Köhler: 100 Studierende der Universität Ulm (58 % der Befragten zwischen 18 und 20 Jahren, 39 % zwischen 21–29 Jahren und 3 % zwischen 30–39 Jahren) füllten onlinegestützt einen Fragebogen aus. Zudem interviewten die drei Studierenden 28 zufällig ausgewählte Passanten in der Ulmer Innenstadt, die älter als 40 Jahre waren.
Smart: Dr. Derek Shepherd aus „Grey’s Anatomy“, gespielt von Patrick Dempsey
„Die Studierenden haben wir gebeten, vier stereotype Arztcharaktere hinsichtlich der Kriterien Sympathie, fachliche Kompetenz und eigene Behandlungspräferenz zu bewerten. Den Passanten haben wir lediglich Fotos der Serien-Stars gezeigt und sie gefragt, welchen Arzt sie warum wählen würden“, erklärt Köhler die Methodik der Studie. Auch die Studierenden sollten den Arzt wählen, von dem sie sich am ehesten behandeln lassen würden. Zur Wahl standen als Typ 1 der junge, idealistische Assistenzarzt, wie Dr. Dorian in „Scrubs“, als Typ 2 der erfahrene, aber zynische Oberarzt wie Dr. Cox ebenfalls in „Scrubs“; als Typ 3 der gut aussehende, allwissende Spezialist, wie ihn Dr. Shepherd in „Grey‘s Anatomy“ darstellt, und als Typ 4 der ruhige, authentische Arztmentor, wie Dr. Greene in „Emergency Room“. Auf einer fünfstufigen Skala („Überhaupt nicht“, „Eher nicht“, „Neutral“, „Eher ja“, „Auf jeden Fall“) bewerteten die Teilnehmer den Arzttyp hinsichtlich persönlicher Sympathie, vermeintlicher fachlicher Kompetenz und eigener Behandlungspräferenz.
Sehr kompetent: Dr. Perry Cox in „Scrubs“, gespielt von John C. McGinley
Die Ergebnisse waren ziemlich eindeutig. „Der attraktive Spezialist Dr. Shepherd von ‚Grey’s Anatomy‘ erhielt die höchsten Werte auf der Sympathieskala“, stellt Claudia Grabsch fest. Aber auch der als jung, verträumt und unerfahren dargestellte Assistenzarzt Dr. Dorian von „Scrubs“ habe bei den Studierenden bezüglich Sympathie gepunktet. „Im Gegensatz dazu wird sein Mentor Dr. Cox (‚Scrubs‘) als eher unsympathisch wahrgenommen. Der visuell unscheinbare, aber als sehr kompetent dargestellte Dr. Greene von ‚Emergency Room‘ erhielt in Sachen Sympathie die niedrigste Bewertung.“
Erfolgreich und sympathisch: Zach Braff als Dr. John Dorian in „Scrubs"
Bezüglich der fachlichen Kompetenz würden von den befragten Studierenden die älteren Serien-Ärzte wie Dr. Cox und Dr. Shepherd gegenüber dem jüngeren Dr. Dorian bevorzugt, erläutert Maximilian Zellner. „Fragt man, von wem sie sich insgesamt am liebsten behandeln lassen würden, so erhält Dr. Shepherd eindeutig den höchsten Zuspruch. Dr. Dorian und Dr. Greene sind bei der Gruppe der Studierenden weniger gefragt.“



Auf andere Ergebnisse weist Köhler bei den etwas älteren Passanten in der Ulmer Innenstadt hin. „Dr. Greene liegt bei dieser Gruppe aufgrund seiner so wahrgenommenen fachlichen Kompetenz klar vorn. Gute Sympathiewerte erhielten aber auch Dr. Dorian und Dr. Shepherd. Dr. Cox wurde hingegen kaum genannt.“
Letzter Platz: Anthony Edwards als Dr. Mark Greene in„Emergency Room“
„Die Vorstellungen von der idealen Arzt-Patientenbeziehung sind durchaus gut erforscht, wobei spezifische Rollenerwartungen mit im Vordergrund stehen“, analysiert Noll-Hussong die Ergebnisse. „Einerseits möchte man die Zeit und empathische Zuwendung des Arztes, andererseits die beste fachliche Kompetenz erhalten. In unserer Pilotstudie fanden wir weitere Hinweise, dass den Patienten zunächst die fachliche Kompetenz am wichtigsten ist.“ Wirke ein Schauspieler jedoch unsympathisch in seiner Arztrolle, zeige sich eine deutliche Ablehnung bei den Befragten, wie beispielsweise bei Dr. Cox. Dabei zähle weniger ein makelloses optisches Äußeres, sondern eher die subjektiv wahrgenommene Ausstrahlung von fachlicher Kompetenz, möglicherweise auch Authentizität und Reife. Noll-Hussong verweist dabei auf den Vergleich von Dr. Greene und Dr. Shepherd: Die Passanten bevorzugten eindeutig den neutralen, optisch unscheinbareren und konventionell dargestellten Charakter des Dr. Greene.
Doch hat all das ebenfalls Einfluss auf den Alltag in Klinik und Praxis? „Innerhalb des Gesundheitssystems ist auch im weiteren Sinne die Zuschreibung von Stereotypen, zum Beispiel in Bezug auf ‚die‘ Ärzte und ‚die‘ Krankenhausmanager, neuerdings auch ‚die Generation X‘ oder ‚Y‘ alles andere als eine realitätsferne Alltagserfahrung“, meint Mentor Noll-Hussong. Der besondere Einfluss von Stereotypien sei allerdings ein noch nicht hinreichend erforschtes Terrain. Unklar sei auch, inwieweit sich die subjektiven Wahrnehmungen von Patienten in (sozialen) Netzwerken widerspiegeln, zum Beispiel in Arztbewertungsportalen.