Tommy, Du bist Medizinstudent im PJ an einer Berliner Klinik. Wie sieht Dein Tagesablauf aktuell aus?
Tommy: Im Moment mache ich mein Wahltertial in der HNO. Ich gehe morgens ganz normal zur Arbeit – meine Arbeitszeiten sind aktuell wie immer von 7.30 Uhr bis 16 Uhr. Und wie an anderen Kliniken auch wurden bei uns fast alle planbaren OPs abgesagt. Notwendige Operationen laufen noch weiter – beispielsweise Tumor-OPs, gefährliche Abszesse oder Ähnliches. Aber insgesamt ist im Verhältnis zu sonst sehr wenig los. Dementsprechend ist auf der Station wenig zu tun und die Lehre findet leider auch nicht so statt, wie ich mir das wünschen würde, weil beispielsweise Fortbildungen in größeren Gruppen eben auch vermeidbare Infektionsherde sind. Ärztlich gesehen sind wir im Moment aufgrund der reduzierten Stationsauslastung tatsächlich eher noch überbesetzt. Uns hat die Corona-Welle bisher noch nicht getroffen. Deshalb werden wir PJler manchmal auch einfach früher nach Hause geschickt, um nicht unnötig zusammen im Arztzimmer zu sitzen und uns möglicherweise dort gegenseitig anzustecken. Ich habe auch leider aufgrund der reduzierten Patientenzahl nicht so viel Patientenkontakt, wie es sonst im PJ normal wäre. Aber das ist einfach der Situation geschuldet.
Was ist im Moment die größte Herausforderung in der Klinik?
Tommy: Bei uns in der Klinik ist ehrlich gesagt im Moment die größte Herausforderung, die Hygienestandards einzuhalten. Aktuell haben wir viel zu wenig Material: Man muss wirklich um Schutzmasken kämpfen. Das betrifft schon die normalen, chirurgischen Schutzmasken. Aber wenn es in Richtung FFP 2 und FFP 3 geht, dann wird das wirklich ein Problem. In der HNO haben wir extrem engen Kontakt zu Patienten und beschäftigen uns vor allem mit dem Mund- und Nasenraum. Wir mussten wochenlang kämpfen, um an die FFP3-Schutzmasken zu kommen, um uns selbst zu schützen. Die Masken müssen jetzt allerdings auch mehrere Tage am Stück benutzt werden, da wir Ressourcen sparen müssen. Normalerweise wird so eine Maske nach zwei Stunden entsorgt, oder zumindest abgelegt und getrocknet. Aber die Situation bedingt jetzt, dass wir sie länger benutzen müssen – immerhin besser als gar nichts.
Hast Du das Gefühl, dass Deine Klinik auf die kommenden Wochen gut vorbereitet ist?
Tommy: Was die Intensivbetten betrifft, glaube ich, dass wir gut vorbereitet sind. In Deutschland haben wir ja insgesamt im internationalen Vergleich viele Intensivbetten. Letztendlich kann im Moment keiner sagen, wie groß die COVID-19-Welle sein wird. Wenn die Zahl der Patienten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, gering bleibt, wird ein deutsches Krankenhaus damit umgehen können. Wenn die Patientenzahlen aber in so einem Ausmaß ansteigen sollten, wie das in Italien oder Spanien der Fall ist, dann werden wir auch Probleme bekommen. Das kann man schwer abschätzen. Die Entwicklung in Deutschland ist ja zum aktuellen Zeitpunkt ganz anders als in anderen europäischen Staaten. Und auch da können wir über die Ursachen im Moment nur spekulieren. Aber insgesamt denke ich, in Deutschland haben wir gute Voraussetzungen, um mit der COVID-19-Welle umzugehen.
Wie fühlst Du Dich als PJler in der Klinik behandelt?
Tommy: Grundsätzlich finde ich die PJler-Situation in Deutschland nicht gerecht – ganz unabhängig von COVID-19. Krankheitstage sind nicht vorgesehen, sondern werden als Urlaubstage gerechnet. Das ist problematisch, weil es provoziert, dass PJler krank arbeiten kommen. Und auch das Problem mit der Vergütung ist ja bekannt – in Berlin bekomme ich keinen Cent für meine Arbeit. Und ich finde, dass das nicht geht – manche müssen sich dann nach der Arbeit einen Nebenjob suchen, um ihre Wohnung und ihr Essen zu finanzieren. Dann kommen sie am nächsten Morgen übermüdet zur Arbeit – das ist wiederum auch ein Risiko für die Patienten.
Du hast mit Deinem Instagram-Account „tommyviews“ mehr als 200.000 Follower. Viele davon schreiben Dir auch. Was beschäftigt Deine Follower im Moment?
Tommy: Es gibt ja viele Quellen, die generell über das Virus aufklären. Aktuell fragen mich viele, welche Auswirkungen eine Corona-Infektion beispielsweise in der Schwangerschaft hat, oder wie die Krankheit bei Kindern verläuft. Viele wollen auch wissen, wann diese Situation wieder vorbei ist. Viele sehen ja die großen Einschränkungen in ihrem Sozialleben – also: „Wann können wir uns wieder frei bewegen?“. Das weiß ich ja leider auch nicht – und das muss ich dann auch so beantworten. Vor einem Monat hätte ich nie gedacht, dass unser Leben jetzt so aussehen könnte. Deshalb ist es im Moment sehr schwer abzuschätzen, wie es allein in zwei Wochen aussehen wird.
Trotz allem gibt es immer noch Leute, die die Corona-Krise kleinreden. Was antwortest Du auf solche Mails?
Tommy: Anfangs habe ich versucht, solche Leute mit Argumenten zu überzeugen und zu erklären, warum ich die Lage schon für ernster halte. Aber ich habe schon das Gefühl, dass es diesen Menschen nicht unbedingt um das argumentieren geht, sondern dass sie nur ihren Standpunkt ausdrücken wollen. Worum es da genau geht, weiß ich gar nicht. Aber eine rationale Diskussion ist da sehr schwierig. In meinen Stories versuche ich dennoch immer wieder auf die Ernsthaftigkeit der Situation aufmerksam zu machen und auch „Fake-News“, die das Virus oft zu bagatellisieren versuchen, zu widerlegen.
Wie ist es für Dich, dass viele Leute Dir Fragen stellen, die Du als Medizinstudent ja gar nicht beantworten kannst?
Tommy: Ich muss diese Fragen schon sehr ernst nehmen. Die Leute verlassen sich auf mich, auch wenn ich natürlich noch kein Arzt bin. Trotzdem empfinde ich eine Verantwortung, weil die Leute mir vertrauen. Deshalb nehme ich auch nur die Aspekte auf, die ich selber aus seriösen Nachrichtenquellen ziehen kann – also zum Beispiel Informationen vom Robert Koch Institut (RKI). Ich vermeide es aber, jemandem konkrete Ansagen zu machen – zum Beispiel, was den Krankheitsverlauf bei Kindern betrifft. Dazu gibt es aktuell nicht genug Daten, um eine sichere Antwort geben zu können. So ist es auch bei der Immunität von Patienten, die COVID-19 überstanden haben. Da muss ich einfach klar kommunizieren, dass hier noch Fragen offen sind, und darf keine falschen Informationen rausgeben.
Was möchtest Du anderen Nachwuchsmedizinern in dieser Situation mit auf den Weg geben?
Tommy: Krankenhäuser freuen sich derzeit grundsätzlich immer über Unterstützung – besonders im Bereich der Pflege. Wir haben ja alle ein Pflegepraktikum gemacht und können hier helfen. Allerdings haben sich inzwischen glücklicherweise schon so viele Studierende freiwillig gemeldet, dass Krankenhäuser Ehrenamtliche teilweise schon ablehnen müssen. Aktuell ist die Situation noch überschaubar – wie es nächste oder übernächste Woche aussehen wird, wird sich dann zeigen. Wer helfen möchte, sollte auch nach einer Absage weiter hellhörig bleiben und schauen, ob in ein, zwei Wochen vielleicht doch mehr Bedarf an freiwilligen Helfern besteht. Denn dann ist es für die Krankenhäuser wichtig, dass genug Leute da sind.
Kurz zu Dir: Warum bist Du auf Instagram so aktiv geworden? Was willst Du damit erreichen?
Tommy: Ich hatte ehrlich gesagt keine direkte Intention, als ich damit angefangen habe. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass die Leute sich sehr für medizinische Themen interessieren. Deshalb habe ich vor zwei, drei Jahren angefangen, über diese Themen zu sprechen. Das wollte ich Leuten näherbringen, die sich vielleicht selber für ein Medizinstudium interessieren. Als ich mich über das Studium informiert habe, gab es nicht diese Art von Erfahrungsberichten, wie ich sie jetzt geben kann. Es gibt aber auch ein grundsätzliches Interesse an mehr medizinischen Inhalten, auch von „Nicht-Medizinern“, auf Social Media, was mich natürlich sehr freut! Insgesamt denke ich, dass Instagram eine tolle Möglichkeit ist, um vor allem bei der jungen Bevölkerung ein größeres Bewusstsein für das Thema Gesundheit zu schaffen.