Die Stadt
Dass sich das Leben in Palo Alto vom Rest der USA unterscheidet, wird einem spätestens dann klar, wenn man versucht eine günstige Unterkunft für seinen Aufenthalt zu finden und sich wünscht, man wäre stattdessen in London oder Zürich auf Wohnungssuche.
Die Lage in der Bay Area in unmittelbarer Nähe zu den Großstädten San Francisco und San Jose sowie die große Zahl von Menschen, die als Angestellte oder Besitzer von Technologieunternehmen zu Geld gekommen sind, haben dazu geführt, dass die Lebenshaltungskosten wohl mit keiner anderen 70.000-Einwohner Stadt der Welt zu vergleichen sind.
Einmal angekommen bestätigt sich der erste Eindruck: Statt Fastfoodketten prägen Superfood-Cafés und Yogaschulen das Stadtbild, auf einen Walmart kommen gefühlt 5 Wholefoods und auch wenn man wesentlich mehr Pick-up Trucks als in Deutschland sieht, ist ihre Zahl verglichen mit der der Teslas verschwindend gering.
Trotz der enormen Dichte sehr reicher Menschen, wird in Palo Alto wesentlich weniger geprotzt als in manchen Bezirken deutscher Großstädte. Sich einen Personal Trainer für das Training im Fitnessstudio zu buchen (und einen Zweiten, der mit den Kindern trainiert) sowie im Supermarkt Unsummen für Körnermischungen mit exotischen Namen auszugeben, ist einfach Standard.
Entsprechend reduziert ist das Angebot für deutsche Medizinstudenten, die versuchen möglichst günstig über die Runden zu kommen, ohne Auto Probleme haben einen günstigen Supermarkt zu erreichen und deren Unterkunft keine Küche besitzt, um selbst zu kochen. Wer sich deshalb nicht einen Monat auf das Sub des Tages und Chipotle beschränken will, sollte frühzeitig planen, um sich das ein oder andere Stipendium zu sichern, mit dem zumindest ein Teil des Aufenthalts oder die Reisekosten finanziert werden können.
Die Klinik
Eine frühzeitige Planung empfiehlt sich auch, weil man sich um ein paar Dinge kümmern muss, die für deutsche Famulaturen nicht üblich sind. So muss man neben seinem Impfpass (hier wird aber nichts verlangt, was man als deutscher Medizinstudent nicht ohnehin haben sollte) auch zwei negative Tuberkulin-Hauttests nachweisen und sich von einem Arzt bestätigen lassen, dass man keine Gefahr für seine Patienten darstellt.
Wenn der Papierkram erledigt ist, steht einer sehr lehrreichen und interessanten Famulatur, in meinem Fall im Department of Radiation Oncology im Stanford Cancer Center, nichts mehr im Weg.
Grundsätzlich wird natürlich in Stanford im Wesentlichen so behandelt wie in den meisten anderen universitären Zentren der Welt auch – es gibt schließlich nicht umsonst Leitlinien. Höchstens die Anzahl an laufenden Studien und die Vielzahl verschiedener Tumorboards unterscheiden sich vom Alltag an einer deutschen Universitätsklinik. Trotzdem gibt es einige Dinge, die einem sehr positiv auffallen:
Die Abläufe in der Klinik:
Wenn der Patient an der Rezeption eincheckt, bekommt der zuständige Arzt oder Nurse Practitioner direkt auf seinem Dienst-Smartphone Bescheid und macht sich auf den Weg zur jeweiligen Ambulanz. Zudem scheint wesentlich großzügiger geplant zu werden, sodass die Wartezeiten für die Patienten meist extrem kurz sind.
Das Arzt-Patient-Verhältnis:
Es kommt natürlich trotzdem vor, dass ein Arzt auch mal gestresst ist, aber anmerken lässt es sich, zumindest während meiner Zeit dort, außerhalb des Pausenraums niemand. Shared decision-making wird groß geschrieben, wobei der Patient natürlich aufgrund aktueller Studien und den Erfahrungen des Arztes eine Empfehlung bekommt. Auch bei Fragen des Patienten lässt man sich viel Zeit und erklärt gründlich, sodass am Ende wirklich alle Unklarheiten beseitigt sind. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass es einem die Patienten größtenteils sehr leicht machen: Viele gehen gut vorbereitet in die Gespräche und machen sich Notizen. Was aber wohl am meisten beeindruckt, ist das Verhalten in der Anamnese: Während man in Deutschland auf die Frage nach den Beschwerden gerne mal: „Ich hab Schmerzen!“ und beim Erfragen der Lokalisation: „Überall!“ zu hören bekommt, geben einem die Patienten in Stanford teilweise Antworten, die man 1:1 in den Arztbrief übertragen könnte.
Der Geruch:
Ein kleines Detail mit großer Wirkung: Die Desinfektions- und Putzmittel haben einen sehr dezenten Geruch, sodass einem beim Betreten der Klinik nicht sofort das beißende Krankenhausaroma entgegenschlägt, was sich bei den Patienten (und z. T. auch beim Personal) wirklich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt. Zudem kommt aus den Desinfektionsmittelspendern keine Flüssigkeit, von der die Hälfte auf den Boden tropft, sondern ein Schaum, was die Hemmschwelle, sich einmal öfter die Hände zu desinfizieren, weiter senkt.
Die Betreuung:
Ich wurde während meiner Famulatur zwei Attendings zugeteilt und hatte so die Chance das Fach, das mich interessiert, mal nicht nur aus der Sicht eines Studenten oder Assistenzarztes, sondern auch aus der eines Ober- bzw. Chefarztes kennenzulernen, was einem im Bezug auf die spätere Spezialisierung mit Sicherheit weiterhilft. Zudem wurde mir sehr viel beigebracht und ich wurde, trotz meines kurzen Aufenthalts, sogar in wissenschaftliche Arbeiten und das Erstellen von Buchkapiteln miteinbezogen.
Kolibris:
Da Patienten aus einem sehr großen Einzugsgebiet nach Stanford kommen (ein Patient wohnte auf Hawaii und kam alle 3 Monate für seinen Kontrolltermin eingeflogen), sieht man wahrscheinlich an wenigen Orten auf der Welt so viele seltene Erkrankungen.
Fazit
Mehr sehen und lernen geht in 30 Tagen wahrscheinlich kaum. Wer gerne praktisch tätig werden möchte, sollte sich aber vor seiner Famulatur informieren, inwiefern das als ausländischer Medizinstudent möglich ist und seine Pläne dementsprechend anpassen. In einem Fach wie der Strahlentherapie, wo ein Großteil der Arbeit am PC oder im Gespräch mit Patienten stattfindet, wird man von möglichen Einschränkungen allerdings wenig beeinträchtigt.
Ansonsten gilt wie immer bei Auslandsfamulaturen: Frühzeitig planen, Stipendien mitnehmen und die Zeit genießen.
Paul Yannick Windisch ist seit 2012 Medizinstudent an der Universität Heidelberg und promoviert zur Zeit im Fachbereich der Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum. Neben seinem Studium unterstützt er das Journal Cureus als "Student Ambassador". Windisch studiert seit 2012 als Stipendiat Humanmedizin an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und arbeitet nebenbei als Lehrbuchautor für Elsevier.