Vier Wochen in der chirurgischen Abteilung der Uniklinik Belgrad haben ausgereicht, um hautnah zu erleben und zu begreifen, wie unterschiedlich die Medizinerwelt selbst innerhalb Europas ist. Wie sehr, das merkte der 25-jährige Haissam Ragab bei seiner vierwöchigen Stippvisite in Serbien im vergangenen September.
Ein Beispiel: In der Ambulanz, wo Ragab überwiegend eingesetzt war, wanderten regelmäßig traditionelle Röntgenbilder von Hand zu Hand. Nicht etwa zwischen Ärzten, sondern von Patient zu Patient. Ausrufe wie „Reich das Bild mal bitte an den Mann dahinten weiter“, schallten regelmäßig durch die Station. Dort drängten sich täglich Patienten dicht an dicht, teils in Begleitung von Angehörigen und beladen mit Reisegepäck. Denn: Das Uniklinikum in Belgrad ist Anlaufstelle für zahlreiche Menschen. Nicht nur die Städter kommen hierher, sondern Menschen aus ganz Serbien, die meisten davon erscheinen unangemeldet. Warum ist schnell beantwortet: Belgrad hat den Ruf, die beste Versorgung des Landes zu liefern. In anderen Teilen Serbiens kann es schwierig sein, adäquat behandelt zu werden.
Neben dem starken Andrang und den daraus resultierenden schwierigen hygienischen Zuständen irritierten den Deutschen die Bedingungen für die Wartenden. Nach der Aufnahme hockten die Patienten stundenlang auf engem Raum in den Gängen zusammen und harrten aus, bis sie an der Reihe waren. „Vier bis sechs Stunden hat jeder gewartet“, sagt Ragab. Und dies auch noch bei drückender Hitze, denn in Serbien kann es im Spätsommer sehr heiß sein. 2015 litt das Land gar unter einer ungewöhnlichen Hitzewelle mit Temperaturen teils über 40 Grad. „Die Hitze hat mich sehr überrascht, solche Temperaturen kenne ich eigentlich nur aus Ägypten“, sagt Ragab, der ägyptische Wurzeln hat. Eigentlich sollte eine Klimaanlage für Abkühlung sorgen, doch davon sei nichts zu spüren gewesen. „Ich würde sagen, sie war defekt, es war unheimlich stickig auf den Gängen.“
Gutes Arbeitsklima in der Ambulanz
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen herrschte in der Ambulanz ein gutes Miteinander – nicht nur wenn es darum ging, Röntgenbilder durchzureichen. „Ärzte und Pflegepersonal haben sich sehr um die wartenden Menschen bemüht. Die Krankenschwestern haben an die Wartenden regelmäßig Plastikbecher mit Wasser verteilt.“ Wenn die Patienten nach Stunden des Wartens endlich behandelt werden konnten, sei immer auch Zeit für ein persönliches Wort geblieben. „Die Ärzte haben den Menschen geduldig zugehört, sich ihrer Lage angenommen.“ Die Abläufe in der Ambulanz waren ansonsten ähnlich wie in Deutschland: Erstuntersuchung. Befragung. Eventuell Bildgebung. Danach wurde der Fall bewertet und über die Dringlichkeit der Behandlung entschieden. In Akutfällen folgte die Überweisung auf die chirurgische Station.
Erstaunlich für Ragab: Die Patienten ertrugen das unbequeme Warten mit Fassung. Der Deutsche wählt sogar das Wort „gelassen“, um die Stimmung der Patienten zu beschreiben. Für sie sei der Zustand in der Ambulanz „nichts Neues“ gewesen. „Gerade die Älteren sind sehr hart im Nehmen“, sagt Ragab. „Aber die Patienten sind ungeachtet der Bedingungen gut drauf, scherzen mit den Ärzten und haben immer wieder aufgelacht.“ Letztendlich stand für die Patienten wohl über allem, dass ihnen geholfen wird.
Mit Blick auf das Gesundheitswesen sind Serbiens Bürger Kummer gewöhnt. Während der vielen Jahre des bewaffneten Konfliktes im Land, Massenflucht und politischer und wirtschaftlicher Instabilität hat das Gesundheitssystem stark gelitten. Es gibt zwar eine gesetzliche Krankenversicherung, über die eine Basisversorgung grundsätzlich gesichert sein soll, doch das Geld ist an allen Stellen knapp, entsprechend schwierig gestaltet sich die Versorgung in den staatlichen Einrichtungen.
Private Einrichtungen besser ausgestattet
Wer es sich leisten kann, sucht im Krankheitsfall deshalb lieber private Praxen und Kliniken auf, vor allem dann, wenn Operationen bevorstehen. Dort sind die Bedingungen deutlich besser. Ragab hat in Gesprächen klare Worte zum Gefälle zwischen der staatlichen und der privaten Versorgung gehört. „Bessergestellte versuchen staatliche Krankenhäuser tunlichst zu vermeiden“, haben Belgrader dem Deutschen berichtet.
Selbst die Ausstattung in Belgrads Uniklinik war nicht so, wie es Ragab aus Hamburg kennt. Aber deshalb war sie noch lange nicht schlecht, betont er. „Es gab alles in der Ambulanz. CT, MRT, Röntgengerät. Nur eben nicht auf dem neusten, modernen Stand.“ Die Röntgenbilder etwa seien dennoch gut gewesen. Ein wirklicher Mangel an medizinischem Großgerät ist dem gebürtigen Bamberger nicht aufgefallen. Allerdings hier: Nähte wurden in der Klinik mit handelsüblichen Wegwerfrasierklingen entfernt. Auch Ragab legte dabei Hand an. „Das war natürlich ungewöhnlich, denn eine Rasierklinge ist sicherlich kein geeignetes Mittel, um Fäden zu ziehen“, räumt er ein.
Auch bei der Desinfektion von Instrumenten griffen die Ärzte auf bewährte Hausmittel zurück: hochprozentigen Alkohol, denn teure Einmalprodukte gab es in der Klinik kaum. „Eine gewisse Improvisation ist im medizinischen Alltag sicherlich nötig“, formuliert es Ragab. Aber der Deutsche sagt auch sehr deutlich: „Die Versorgung der Patienten war im Großen und Ganzen sichergestellt. Die Ärzte hatten ihren Laden gut im Griff.“