Studentendemo in Mainz: „In unserem Lehrmitteletat klafft eine riesige Lücke!“

In der vergangenen Woche sind in Mainz mehrere hundert Medizin- und Zahmedizinstudierende auf die Straße gegangen, um für eine bessere Lehre zu demonstrieren. Was die Hintergründe sind, erklärt der Hauptverantwortliche Lukas Schmülling im Interview.

Mehr als 500 Medizin- und Zahnmedizinstudenten haben am 10. Januar 2020 in Mainz für eine bessere finanzielle Ausstattung der Lehre demonstriert. | Lukas Schmülling

Lukas, am vergangenen Freitag gab es in Mainz eine große Demo unter dem Motto „#Lehre am Limit“. Auf was für ein Problem wolltet ihr damit aufmerksam machen?

Lukas Schmülling: Die SPD-Landesregierung hat sich ja auf die Fahnen geschrieben, für mehr Medizinstudienplätze zu sorgen und dem Ärztemangel entgegenzuwirken. Das bedeutet, dass die Uni Mainz jedes Jahr mehr Medizinstudenten aufnimmt. Das begrüßen wir grundsätzlich sehr. Allerdings fehlt aus unserer Sicht derzeit noch die nötige finanzielle Unterstützung der Landesregierung – denn der Lehrmitteletat wurde nicht entsprechend erhöht. Das bedeutet, dass für den einzelnen Mainzer Medizinstudenten weniger Geld zur Verfügung steht, als eigentlich nötig ist. Vor einigen Jahren hat die Landesregierung mal festgesetzt, dass ein Medizinstudienplatz pro Jahr 33.400 Euro kostet. Aktuell zahlt sie aber nur 27.500 Euro pro Jahr pro Studienplatz – also 6.000 Euro zu wenig. Wenn man das alles auf alle Studierenden hochrechnet, liegt das Defizit in der Lehre pro Jahr bei insgesamt etwa 22 Millionen Euro.

Lukas Schmülling studiert Medizin in Mainz und hat die "#Lehre am Limit"-Demonstration mitorganisiert. | privat

Wie wirkt sich das konkret auf eure Studienbedingungen aus?

Lukas Schmülling: Wir haben einfach zu wenig Lehrmittel. Zum Beispiel gibt es nicht genug Gruppenräume, in denen eine Nachbesprechung von Untersuchungskursen stattfinden kann: Wir besprechen uns regelmäßig in einer Abstellkammer, weil es keinen besseren Raum gibt. Oder wir sitzen mit zehn Leuten in einem Arztzimmer, das eigentlich nur für zwei Personen gedacht ist – und das im Sommer bei 35 Grad. Das überlebt man natürlich, aber optimale Bedingungen sind das nicht. Ein anderes Problem ist, dass wir zu wenige Dozenten haben. Es stimmt zwar, dass wir in Mainz ungefähr 140 Professoren in der Humanmedizin haben. Allerdings haben wir das Problem nicht bei den Professoren, sondern bei den Dozenten, die direkt am Patientenbett unterrichten: Da werden viele Kurse von Assistenzärzten gegeben, die gleichzeitig im Stationsdienst arbeiten und dafür verantwortlich sind, dass die Patienten gut versorgt werden. Gleichzeitig sollen sie unterrichten – und das führt dazu, dass die Assistenzärzte oft zu spät sind, weil sie vielleicht noch in der Notaufnahme oder im OP gebraucht wurden. Das geht zulasten der Lehre: Viele Kurse sind überfüllt – das führt dazu, dass schüchterne Studenten sich vielleicht nicht trauen, ihre Fragen zu stellen. Und für die Patienten ist es belastend, wenn 15 Leute an ihnen üben, das Herz abzuhören.

Was hat das für Folgen für den Ablauf und die Dauer des Studiums?

Lukas Schmülling: Weil die Kurse so voll sind, wird im Fachbereichsrat darüber diskutiert, eine Art „Inneren NC“ einzuführen: Das bedeutet, dass es beispielsweise für das Pathologie-Praktikum 100 Plätze gibt. Wenn sich 150 Leute bewerben, wird per Los entschieden, wer teilnehmen darf. Wer keinen Platz bekommt, kann den Kurs in diesem Semester nicht machen – und dann kann sich unter Umständen das Studium verlängern. Das ist natürlich prekär für eine Universitätsklinik, die in ihrem Bundesland die einzige ist – und das bei ohnehin schon eklatantem Ärztemangel.

Und das, obwohl die Landesregierung ja eigentlich dem Ärztemangel entgegenwirken wollte…

Lukas Schmülling: Genau. Wir wünschen uns ja auch, dass mehr Studienplätze geschaffen werden – wir gönnen jedem, der Medizin studieren möchte, dass er auch einen Studienplatz bekommt. Aber das Geld muss da sein – sonst wandern die Studierenden und die jungen Ärzte in andere Bundesländer ab. In Schleswig-Holstein wurde im vergangenen Jahr beispielsweise fast eine Milliarde Euro in die Bereiche Lehre und Forschung an den beiden Standorten Kiel und Lübeck investiert, und das Uniklinikum Lübeck expandiert massiv. Dadurch wird das Land natürlich auch langfristig für hochqualifizierte Mediziner attraktiv. Im Vergleich dazu gehen in Mainz 112 Millionen Euro in die Lehre – da ist das Geld für die Forschung allerdings nicht drin.

Student mit Smartphone

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Ihr steht mit eurem Protest ja auch nicht allein da. Wer unterstützt euch?

Lukas Schmülling: Es waren auch Vertreter der Landesärztekammer, des Marburger Bundes und von Ver.di bei der Demonstration dabei. Finanzielle Probleme gibt es ja nicht nur im Bereich der Lehre: Im vergangenen Jahr haben schon die Chefärzte der Uniklinik Mainz bei der Landesregierung Alarm geschlagen, weil das Geld, das von der Landesregierung für die Krankenversorgung zur Verfügung gestellt wird, nicht ausreicht. Ein paar Monate später drohte der Generalstreik der Pflegekräfte – der wurde allerdings abgewendet. Jetzt sind es eben die Studenten.

Seid ihr zufrieden mit der Demonstration?

Lukas Schmülling: Als Hauptverantwortlicher für diese Demonstration bin ich hochzufrieden. Es waren 500 Leute angemeldet und wir waren am Ende sogar etwas mehr. Es ist sehr erfreulich, dass das auf so eine große Resonanz gestoßen ist. Aber das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Uns ging es vor allem darum, Aufmerksamkeit zu erregen und die Öffentlichkeit mit einzubeziehen. Den meisten ist bewusst, dass im Gesundheitssystem Geld fehlt. Aber wie eklatant das ist und was es auch für die eigene Versorgung bedeuten kann, das ist vielen nicht so klar.

Wie sieht der Austausch mit der Politik aktuell aus?

Lukas Schmülling: Wir haben Anfang Januar einen offenen Brief geschrieben. Wissenschaftsstaatssekretär Dr. Denis Alt (SPD) hat unseren Brief persönlich angenommen und ist deshalb aktuell unser Gesprächspartner in der Landesregierung – und grundsätzlich steht er unserem Anliegen positiv gegenüber. Wir haben den Brief auch an viele Landtagsabgeordnete und an die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer geschickt. Aber außer vom Staatssekretär haben wir keine Antworten bekommen. Das Problem ist einfach, dass das Versprechen „Wir schaffen mehr Medizin-Studienplätze und sorgen dafür, dass mehr Ärzte aufs Land gehen“ ja erstmal gut klingt – zumindest für alle, die sich damit nicht intensiver beschäftigen. Wir warten jetzt erstmal auf die Reaktion der Regierung auf unseren Protest. Anfang Februar wird es aber ein Treffen mit dem Wissenschaftsrat geben – dann kommen wir da hoffentlich weiter.

Was wünscht ihr euch konkret von der Landesregierung?

Lukas Schmülling: Wir wünschen uns, dass die Landesregierung einerseits die Lehre ausfinanziert – und zwar langfristig. Vor fünf Jahren gab es ja schon mal eine Demonstration der Mainzer Medizinstudenten, da ging es um dasselbe Thema. Die Landesregierung hat damals reagiert und etwa eine halbe Million Euro gezahlt, aber eben nur einmalig. Wir stehen jetzt im Austausch mit Staatssekretär Alt. Der sagte, dass es eine Erhöhung des Bildungsetats um 10 Millionen Euro geben wird – das schließt allerdings noch nicht die Lücke von 22 Millionen Euro. Außerdem sollen ja jedes Semester weitere Studienplätze entstehen. Es kommen also perspektivisch noch weitere Kosten hinzu, die auch gedeckt werden müssen. Wir fordern also, dass diese 6.000 Euro, die derzeit pro Student pro Jahr fehlen, ausgezahlt werden und dass dieses Geld in die Lehre fließt.

Wie kann man mehr über den aktuellen Stand der Gespräche erfahren?

Lukas Schmülling: Wir sind unter dem Hashtag #lehreamlimit auf Facebook und Instagram zu finden. Da erfährt man, wenn es etwas Neues gibt. Wir freuen uns über jeden, der sich an unserer Arbeit beteiligen möchte.

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