PJ-Blog: Mein Tag des Sieges

Nach reichlich Theorie im Studium endlich im PJ in den Alltag eines Arztes eintauchen – ein Traum für jeden Medizinstudenten – oder? Fräulein Licht berichtet regelmäßig auf www.operation-karriere.de von ihren Erfahrungen an der Klinik. Teil 35: "Mein Tag des Sieges".

Operation Karriere-Bloggerin Fräulein Licht

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Liebes Krankenhaus,

hurra, ja, hurra, heute ist der Tag des Sieges. Und ich stehe gerade mitten in der Menschenmenge auf dem Schlossplatz in St. Petersburg und bin fassungslos. Zwei Arbeitskollegen haben mich mit in die Stadt genommen, um zu feiern. In Russland und einigen osteuropäischen Staaten wird einmal im Jahr der Sieg über den Faschismus bzw. der Sieg im zweiten Weltkrieg gefeiert (international  am 8. Mai, in Russland am 9. Mai).

Siegesparade mit den im Krieg gefallenen Großvätern. Foto: LichtUnd es gibt eine riesige Parade, eine noch größere als am Tag der Arbeit. Panzer fahren herum, die Paradeteilnehmer tragen historische Kleidung mit dem Abzeichen der Sowjetunion und zeigen Schwarzweißbilder ihrer im Krieg gefallenen Großväter. Und ich als Deutsche mittendrin im Gefühlswirbel.

Am Anfang der Parade hatte ich Angst, verständlich, wenn ein riesiger Panzer an einem vorbeirollt. Dann war ich sehr bestürzt, als mir bewusst wurde, wie viele auf Bildern gezeigte Menschen ihr Leben im Krieg verloren haben (natürlich kennt man die Zahlen der gefallenen Soldaten, allein in St. Petersburg waren es Millionen). Aber einen Menschenzug mit dieser Masse an Bildern zu sehen, bereitete mir Gänsehaut. Und danach wurde ich nur noch mehr verwirrt. Es gab ein Konzert auf dem Schlossplatz mit fröhlichen Liedern. Alle waren ausgelassen und froh, dass der Krieg vorbei ist. Vielleicht auch, dass Russland gewonnen hat oder das einfach ein arbeitsfreier Tag war.

Ich konnte nicht begreifen, wie sie von der Trauer um ihre gefallenen Verwandten so auf Freude umschwenken konnten. Ich fühlte mich einfach schuldig (vielleicht lag das an der immer wieder eingebläuten „wenn man Deutscher ist, ist man schuld am Krieg, und sollte keine Witze darüber machen“-Mentalität, ich weiß es nicht). Aber als ich meine Kollegen und all die anderen Tausend Menschen fröhlich zur Musik tanzen sah und sah, wie sie sich umarmten, wurde mir klar, dass sie einfach glücklich sind, dass der Faschismus damals besiegt worden ist. Es ging gar nicht darum, wer wann gegen wen gewonnen hat, sondern darum, dass so etwas Schreckliches besiegt wurde und man feiern sollte, dass solch schlimme Zeiten nie wieder kommen. Und das man einfach froh ist, dass man auf dieser Erde ist. Und das machte auch mich irgendwie froh.

Fräulein Licht (24) studiert Medizin in Münster und hat Ende 2015 ihr Praktisches Jahr an der Klinik begonnen. Alle Blog-Inhalte beruhen auf den Erfahrungen der Bloggerin im PJ und geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Die Namen von eventuell vorkommenden Personen wurden geändert.

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