Als Medizinstudentin habe ich sechs Jahre lang komplizierte lateinische und griechische Fachbegriffe auswendig gelernt und versucht, mir die Sprache der Professoren und ärztlichen Kollegen anzueignen. Denn die Medizin ist oftmals zu komplex, um sie in einfachen Worten wiederzugeben. Kaum war das jedoch geschafft, traf ich im Arbeitsalltag auf die ersten Patienten mit verständnislosen Gesichtern und Fragezeichen in den Augen. Ich merkte, dass verbale nicht gleich soziale Kompetenz bedeutet.
Jetzt weiß ich: Als Arzt muss man zwei Sprachen sprechen – die eine zum fachlichen Austausch mit den Kollegen, die andere zur verständlichen Aufklärung der Patienten. Das Verständnis der eigenen Erkrankung trägt schließlich maßgeblich zum Therapieerfolg bei. Nur der informierte Patient kann Entscheidungen mittragen, präventive Maßnahmen umsetzen und langfristige Therapietreue gewährleisten.
Kostenlose Übersetzung anonym eingesendeter Befunde
Als mir dieser Sachverhalt vor vier Jahren richtig bewusst wurde, begann ich, für die Online-Plattform „Was hab’ ich?“ zu schreiben. Dies ist ein 2011 in Dresden von zwei Medizinstudierenden und einem Informatiker gegründetes Format, das seither die kostenlose Übersetzung von anonym eingesandten Befunden anbietet. Wort für Wort und mit umfassenden Erklärungen zu dem jeweiligen Krankheitsbild transformieren inzwischen rund 1300 Teammitglieder die in Fachsprache verfassten Entlassungsbriefe, Befunde der Funktionsdiagnostik und Untersuchungsergebnisse in einen für den Patienten verständlichen Text.
Die Nachfrage ist groß. Bislang wurden mehr als 25 000 Befunde übersetzt. Die am häufigsten eingesendeten Anfragen betreffen das Fachgebiet der Radiologie. Dass Röntgen-, MRT- oder CT-Befunde besonders oft Fragen hervorrufen, liegt vor allem daran, dass diese den Patienten meist kommentarlos mitgegeben werden und eine Besprechung des Ergebnisses mit dem Hausarzt manchmal erst nach Wochen erfolgt. Doch auch zu allen anderen Fachrichtungen gibt es Anfragen. Ein hohes Patientenaufkommen, finanzieller Druck und Defizite in der Ausbildung führen dazu, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Patient im Klinik- und Praxisalltag oft auf ein Minimum reduziert wird. Viele Patienten gehen mit offenen Fragen nach Hause und fühlen sich schlecht beraten.
Zielgerichtete Fragen entwickeln
Genau diese Lücke versucht „Was hab’ ich?“ zu füllen. Unser oberstes Prinzip ist es dabei, keine Interpretationen zu liefern. Bei fachlichen Fragen ist und bleibt der behandelnde Arzt der einzig richtige Ansprechpartner. Unsere Intention ist es vielmehr, dem Patienten durch eine gründliche Aufklärung die Möglichkeit zu geben, zielgerichtete Fragen zu entwickeln.
Um die Qualität der Übersetzungen bei „Was hab’ ich?“ zu gewährleisten, erhielt ich wie jedes Teammitglied zu Beginn der Tätigkeit eine umfangreiche Schulung in patientenfreundlicher Kommunikation. Vor allem Medizinstudenten, aber auch approbierte Ärzte – berufstätig oder im Ruhestand – engagieren sich auf der Plattform. Zu Beginn hatte ich einen erfahrenen Übersetzer als Tutor an meiner Seite, der in persönlichen Telefonaten die ersten Übersetzungen prüfte und Verbesserungsvorschläge machte. Als ich Sicherheit gewonnen hatte, durfte ich selbstständig arbeiten. Bei Fragen stehen aber immer noch der Tutor oder andere Mitglieder über einen Team-Chat helfend zur Seite. Die Übersetzung erleichtert auch eine stetig wachsende Bibliothek, in der Textbausteine zu wiederkehrenden Gesundheitsthemen zentral abgelegt werden können. Trotz all der Unterstützung brauche ich aber für eine Übersetzung etwa vier bis sechs Stunden – Zeit, die im normalen Berufsalltag nur in den seltensten Fällen für ein ausführliches Patientengespräch zur Verfügung steht. Gut ist jedoch für mich, dass nach Erhalt der Übersetzung der Patient die Möglichkeit hat, mir ein Feedback abzugeben. So ist für uns ehrenamtliche Mitglieder ein stetiger Lerneffekt gegeben.
"Was hab' ich?" an der Universität
Das Konzept der Schulung in patientenfreundlicher und laienverständlicher Kommunikation hat seinen Weg sogar in die universitäre Lehre gefunden. Seit 2014 kann „Was hab’ ich?“ in Dresden, Hamburg, Heidelberg und Marburg als Wahlfach belegt werden. Studierende, die sich für das Fach entscheiden, haben offensichtlich schon während des Studiums erkannt, welche Bedeutung eine Arzt-Patienten-Kommunikation auf Augenhöhe hat. Im Endeffekt profitieren nicht nur die Nutzer des Angebots, sondern auch die Übersetzer selbst von ihrer Arbeit. Sie gibt ihnen die Chance, zu besser kommunizierenden Ärzten zu werden.
Ein konkretes Beispiel
Lieber Nutzer von "Was Hab' ich?",
im Folgenden möchte ich Ihnen Ihren eingesandten Befund übersetzen. Um die Übersetzung für Sie so verständlich wie möglich zu gestalten, würde ich gerne zunächst mit einigen allgemeinen Erläuterungen zur Untersuchungsmethode der Magnetresonanztomographie (MRT) und dem Aufbau der Schulter beginnen, bevor ich mit der eigentlichen Erklärung des Befundes fortfahre. Dabei finden Sie die Originalbegriffe in fett und kursiv, meine wörtlichen Übersetzungen dazu direkt darunter.
Impingementsyndrom im Bereich der Supraspinatussehne bei bestehender AC-Gelenkarthrose mit geringer Einschränkung des subacromialen Raumes.
Es besteht eine eingeschränkte Beweglichkeit (Impingementsyndrom) der Sehne des Obergrätenmuskels (Supraspinatussehne). Es besteht eine Verschleißerscheinung (Arthrose) des Schultereckgelenks (AC = Acromioclaviculargelenks), die zu einer Einengung (geringer Einschränkung) des Raumes unterhalb des Schulterdachs (subacromial = unterhalb des Acromions) geführt hat.
Deutlicher Erguss im Bereich der Bursa subacromiale-subdeltoidea und Knochenmarködem im Bereich des Tuberculum majus.
Es findet sich eine Flüssigkeitsansammlung (Erguss) im Bereich des Schleimbeutels (Bursa), der unterhalb des Schulterdaches (subacromiale) und unterhalb des Dreiecksmuskels (subdeltoidea = unterhalb des Musculus deltoideus) liegt. In dem großen Knochenfortsatz (Tuberculum majus) des Oberarmknochens (Humerus) ist eine Wassereinlagerung (Knochenmarködem) zu sehen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Übersetzung weiterhelfen. Um meine Übersetzungen zu optimieren, würde ich mich über ein kurzes Feedback Ihrerseits sehr freuen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute!
Ihre "Was Hab’ Ich?"-Mitarbeiterin,
Lisa Wünsch
Lust zum Mitmachen?
Welche Voraussetzungen brauche ich?
- Studium der Humanmedizin mindestens im 8. Fachsemester
- Lust auf Teamarbeit
- Eine "altruistische Ader"
- Durchhaltevermögen und die Motivation, auch knifflige Befunde zu entschlüsseln
Wie kann ich mich einbringen?
- Als aktiver Befund-Übersetzer: Hier liegt auch die Hauptaktivität im Netzwerk. Betreut wird man dabei von einem Supervisor, der in die technischen Grundlagen des Systems einführt, fachlich zur Seite steht und anfangs hilft, sich verständlich auszudrücken.
- Als Supervisor: Erfahrene Übersetzer können auch als Supervisor tätig sein, um anderen Studierenden als Mentor zur Seite zu stehen.
Wie ist der zeitliche Aufwand?
Der Umfang der ehrenamtlichen Tätigkeit ist frei wählbar. Jeder entscheidet selbst, wann und wie viele Befunde er übersetzen möchte. Wichtig ist eine gewisse Regelmäßigkeit.
Quelle: Dieser Beitrag ist in Heft 1/2016 von Medizin Studieren, dem Magazin des Deutschen Ärzteblattes für Studierende der Medizin, S. 7, erschienen.