Medizinstudierende im Praktischen Jahr (PJ) fühlen sich häufig als „Lückenbüßer“, die im Krankenhaus das fehlende Personal ersetzen müssen – und das, ohne ausreichend angeleitet und honoriert zu werden. Dies ist das Ergebnis einer gestern in Berlin vorgestellten Onlineumfrage des Marburger Bundes (MB), an der sich im März und April dieses Jahres rund 1.300 PJ-Studierende beziehungsweise Ärztinnen und Ärzte, die ihr PJ gerade absolviert hatten, beteiligten.
Keine billigen Arbeitskräfte
Auf Kritik stößt beim MB insbesondere eine hohe Wochenarbeitszeit der PJler: So verbrachten der Umfrage zufolge zwei von drei Medizinstudierenden (63 Prozent) 40 bis 50 Stunden pro Woche im Krankenhaus, acht Prozent sogar 50 bis 60 Stunden. Nur 28 Prozent der Medizinstudierenden waren weniger als 40 Stunden in der Klinik. Ein Fünftel (21 Prozent) musste auch regelmäßig Zusatzdienste außerhalb der täglichen Anwesenheitszeit leisten. „Die hohen wöchentlichen Anwesenheitszeiten der PJler und die Zusatzdienste verstoßen gegen die Approbationsordnung und widersprechen eklatant dem Ausbildungscharakter des PJ. Es kann nicht sein, dass Medizinstudierende als billige Hilfskräfte missbraucht werden, weil die Kliniken zu wenig Personal vorhalten“, kritisierte Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes.
Besonders bedenklich ist nach Ansicht von Botzlar, dass ein Großteil der PJler ärztliche Kernleistungen ohne Anleitung und Aufsicht von ärztlichen Betreuern übernimmt. So hätten der Befragung zufolge 74 Prozent der Medizinstudierenden ohne Anleitung und Aufsicht einer Ärztin oder eines Arztes ärztliche Kernleistungen durchführen müssen, wie Anamnesen, Untersuchungen, Diagnosestellungen, Aufklärungsgespräche und Therapieentscheidungen und -durchführungen.
Anleitung, Aufsicht und Verantwortung zwingend notwendig
Zwar dürften Studierende bestimmte ärztliche Verrichtungen in Abhängigkeit von ihrem Ausbildungsstand durchführen, stellte der 2. Vorsitzende des MB klar, dies müsse aber unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes geschehen. Er forderte deshalb: „PJ-Studierende brauchen klare Aufgaben und Arbeitszeiten.“ Als „alarmierend“ bezeichnete Botzlar, dass 18 Prozent der PJler auch Dienste allein bestreiten mussten – ohne Anwesenheit des Arztes.
Einfach machen wollten es sich die Studierenden jedoch nicht, sagte Victor Banas, Vorsitzender des Sprecherrates der Medizinstudierenden im Marburger Bund. „Die Studierenden im PJ fühlen sich den Patienten und ihren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen auf Station verpflichtet. Deshalb bleiben sie häufig länger und helfen aus, wo sie können“, erklärte er. Neben der praktischen Ausbildung müsse ihnen aber auch genügend Lernzeit zur Vorbereitung auf das Examen zur Verfügung stehen sowie auch Zeiten für Erholung und Urlaub. Erkrankungen dürften diese Zeiten nicht verkürzen.
Die möglichen Fehltage während des PJs verwenden die Befragten, um Urlaub zu machen (67 Prozent), sich zu kurieren (37 Prozent), um zu lernen (29 Prozent) oder für sonstige Zwecke (24 Prozent). „Eines unserer Hauptanliegen ist eine Trennung von Fehl- und Krankentagen, damit wir durch Erkrankungen nicht die zum Lernen erforderliche Zeit zu verlieren“, sagte Banas.
Existenzsichernde Aufwandsentschädigung notwendig
„Ferner brauchen wir endlich eine bundesweit einheitliche PJ-Aufwandsentschädigung auf einem mindestens existenzsichernden Niveau, wie dies jüngst auch der Deutsche Ärztetag auf unsere Initiative hin gefordert hat“, forderte der Medizinstudent. Die meisten Studierenden seien während des PJs auf die Aufwandsentschädigung angewiesen.
Der Umfrage zufolge bestritten 35 Prozent der Medizinstudierenden damit den Lebensunterhalt. Erforderlich seien jedoch meist noch Zuwendungen von Eltern oder Familie, da in der Regel die monatliche Aufwandsentschädigung unterhalb des BaföG-Höchstsatzes von derzeit 649 Euro liegt. Ein Drittel der Befragten gab an, weniger als 300 Euro erhalten zu haben. „Die Aufwandsentschädigungen werden derzeit heterogen und willkürlich vergeben“, kritisierte auch Botzlar. „Die Studierenden müssen endlich aus dem Sozialamtsniveau herausgehoben werden.“