Manchmal ist es schon fast unheimlich, wie die Dinge zusammenpassen. So auch an jenem Abend, als ich meine kleine Tochter zum ersten Mal alleine bei ihrem Papa ließ, um zum Facharzt-Duell zu fahren. Eigentlich braucht sie mich (bis jetzt noch) zum Einschlafen, aber das Thema dieses Abends interessierte mich so brennend, dass ich es einfach riskierte – “Wird schon klappen!” Dass sie sich ohne mich nicht beruhigen konnte und ich den Vortrag überstürzt verlassen musste, passte wie die Faust aufs Auge zu dem besagt anziehenden Thema: “Kind versus Karriere”.
Facharzt-Duell, das ist eine offene Diskussionsrunde, in der drei bis vier Ärzte Einblicke in ihre Arbeitswelt und Tipps zur Karriereplanung geben. Es soll uns Nachwuchsmedizinern helfen, sich zu orientieren, wie es nach der Approbation weitergehen soll. Die Studenten dürfen vorab per Mail Fragen schicken, die dann im Podium beantwortet werden und nach Ende der Diskussion gibt es eine offene Fragerunde.
Ich darf also vorstellen, drei Ärzte:
- eine niedergelassene Gynäkologin, geschätzt Anfang 50, drei Kinder, zwei davon schon aus dem Haus
- ein Urologe, PD und OA (PD steht für Privatdozent und heißt soviel, dass er neben seiner klinischen Tätigkeit als OA, sprich Oberarzt, auch noch forscht), Mitte 40, ein Sohn (zweieinhalb Jahre), seine Frau ist mit dem zweiten Kind schwanger
- ein Pathologe, Anfang 30, zwei Söhne (zweieinhalb Jahre und 3 Tage), aktuell in Elternzeit.
Sie saßen ganz locker auf ihren Stühlen, blickten unbekümmert auf ihre Karriere zurück und sahen aus, als hätten sie sich nie Sorgen darum gemacht, wie sie da hinkämen, wo sie nun sind. Als es um die Frage ging, welcher Facharzt gut mit Familie vereinbar sei, waren sie sich einig, dass es die ideale Spezialisierung nicht gibt. Aus Sätzen wie: “Wo die Leidenschaft euch hinzieht” und: “Egal wo ihr seid, es kommt auf den Chef an” über: “Zufällig war da eine Urologen-Stelle frei” habe ich mein Fazit gezogen: 1. “You can only succeed in what you enjoy” und 2. Man darf und kann nicht alles planen, ein bisschen Glück und Zufall gehören immer dazu.
Der Alltag mit Familie und Kind
Der Urologe und seine Frau (auch Medizinerin) haben ihren Sohn mit 8 Monaten in die Krippe gegeben. Dort verbringt er den Tag von 8 bis 17 Uhr, und seine Eltern arbeiten in Vollzeit. Schaffen sie es nicht, ihn rechtzeitig abzuholen, so erledigen das Oma oder Opa. Nach der Geburt des ersten Sohnes nahm sich der Vater zwei Monate Elternzeit und wird es beim zweiten auch so machen. Sein Chef hat nichts dagegen, er hat sogar damals in Elternzeit seine Oberarztstelle bekommen! Wie das im Detail ablief, ging in der Diskussion leider unter.
Bemerkenswert an der Gynäkologin fand ich, dass sie gegen den Strom schwamm. Zu ihrer Zeit war es nicht üblich, Kinder und Karriere zu vereinen. Als sie selber eine Krippe in ihrem Dorf organisieren wollte, bekam sie zu hören: “Nur weil du jetzt deine Karriere durchziehen willst, brauchen wir hier in Musterdorf doch keine Krippe!” Also hielt sie sich an Kinderfrauen und Au-Pairs. Sie erzählte, dass es nicht einfach war, jemanden zu finden, der bereit war von 6:30 bis 20:30 Uhr auf ihre Kinder aufzupassen. Da sie also gut zahlen musste, ging ihr komplettes Assistenzarzt-Gehalt drauf. Ihr Mann ist auch Arzt und sie legten sich ihre Wochenend- und Nachtdienste so, dass meist einer von beiden zu Hause war.
Der junge Pathologe war der "dezenteste" in der Runde. Seine Frau ist Architektin und da sie keinen Krippenplatz bekommen haben (das ist keine Seltenheit in München!), hat sie aufgehört zu arbeiten. Mir fiel auf, dass er etwas verschämt davon erzählte, dass seine Frau “zuhause geblieben ist”. Neben den anderen beiden, die trotz Kinder die Karriereleiter ganz weit hoch geklettert sind, glaubte er vielleicht, das klinge etwas schwach.
Das plötzliche Ende des Abends
Die Diskussion ging zu Ende, nun konnten Fragen gestellt werden. Da regte sich etwas in mir, ich spürte förmlich die Aufgeregtheit in mir aufsteigen, konnte aber nicht fassen, was. Und bevor ich dazu kam, bimmelte mein Handy: “Komm nach Hause, Alisa weint und lässt sich nicht beruhigen!” Also sprang ich auf und lief zum Auto. Um auf der Fahrt nicht an mein verzweifeltes Baby denken zu müssen, versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Was war es, das sich da in meinem Bauch bereit gemacht hatte, hervorzuplatzen? Ich wäre am liebsten aufgestanden und hätte gesagt – ja, was hätte ich gesagt? So spontan hätte ich bestimmt keine umwerfende Rede aus dem Ärmel geschüttelt. Aber in meinem Kopf konnte ich sie mir ja zusammenspinnen …
...Wie ich aus diesem Abend schließe, geht also nur ganz oder gar nicht! Zwei der anwesenden Familien lassen ihre Kinder ganztags betreuen und machen Karriere. Wie geht es den Kindern dabei? Vermissen sie ihre Eltern nicht?
In der dritten Variante gibt die Mutter – hoffentlich nicht endgültig – ihren Beruf auf, um für ihre Kinder da zu sein. An dieser Stelle möchte ich meinen Respekt ausdrücken. Hier wende ich mich in meiner Phantasie an den Pathologen: “Ihre Frau betreut Ihr Kind völlig alleine, nun auch noch mit einem kleinen Geschwisterchen. Das ist ein unglaublich anstrengender 24-Stunden-Job, bei dem man sich nicht einmal aussuchen kann, wann und ob man mal ein Päuschen macht. Ich ziehe meinen Hut vor Ihrer Frau!” Dann wende ich mich in Gedanken wieder an alle: “Der heutige Abend hat sein Thema haargenau getroffen: Kind versus Karriere. Mich aber hat er tief enttäuscht. Sollte man nicht Kind fusioning Karriere anstreben? Das zumindest ist es, was mein Ziel ist. Kann ich Karriere machen, ohne dass meine Kinder mehr Zeit mit Fremden verbringen als mit ihren Eltern? Kann ich einen erfüllenden Beruf ergreifen und meinen Kindern ein warmes Zuhause bieten? Mit einer Mama, die für sie da ist? Wo ist die goldene Mitte?”
Lauter Fragen, die mir seit diesem Abend im Kopf herumgeistern. Lauter Fragen, die nach Antworten und weiteren Beiträgen zu diesem Thema schreien…