Kind & Kittel: Blog zum Leben zwischen Familie und Klinik

Natalja Ostankov ist 27, zweifache Mutter und studiert Medizin in München. Kann man das alles unter einen Hut bringen? Sie sagt ja und schildert in diesem Blog, wie der Alltag zwischen Kindern und Klinik aussieht. Teil 3: Zeit als Kaugummi.

Natalja Ostankov

Operation Karriere-Bloggerin Natalja Ostankov

Guten morgen! Ich fahre gerade zur Uni, um eine Klausur zu schreiben. Als ich eben zur Tür herausging und mein älterer Sohn mir in seinem Trotzanfall “Maaaaaaama, ich will KEINE Hose anziehen!” hinterher schrie, hatte ich das dringliche Gefühl zu "leer" zu sein. Irgendetwas vergessen zu haben. Ich hatte nur einen halbvollen Rucksack auf dem Rücken! Wie lange ist es her, dass ich einfach so geradewegs zur Tür heraus gehen konnte – ohne Baby auf dem Arm, ohne eine riesige Tasche, die vor Windeln, Wechselklamotten und Spielzeug überquillt und ohne meinen älteren Sohn im Schlepptau, der immer irgendetwas vergisst oder verliert? Ich erinnere mich nicht. 

Aber heute, heute ist mein Glückstag, heute darf ich die Klausur in Schmerzmedizin schreiben! Also Trotzanfall hin oder her: Tür zu, Papa kümmert sich um alles. Ich bin dann mal weg.

Früher sah mein Morgen vor einer Klausur ganz anders aus: Aufstehen, frühstücken, Zähne putzen, losfahren. Jetzt hingegen: Aufstehen, den Kindern Frühstück machen, drei Paare Zähne putzen, Papa wecken, der auf das Baby aufpassen muss, Milch fürs Baby warm stellen (die 2 Tage vorher abgepumpt wurde). Während also andere Studenten in letzter Sekunde noch einmal den Klausurenstoff durchgehen, hantiere ich mit Zahnbürsten aller möglichen Größen, suche die richtigen Paar Mickey Mouse-Socken zusammen und sprinte dann in letzter Sekunde zur S-Bahn. Kein Wunder, dass mein Puls auf 180 ist, wenn ich endlich im Hörsaal ankomme. Nicht, dass ich aufgeregt wäre wegen der Klausur. Während der Puls der Studenten um mich herum vor Nervosität ansteigt, geht meiner runter: Puh, rechtzeitig da. Jetzt erst einmal entspannen und ein paar Fragen beantworten …

Kinder

Noch immer sind viele Krankenhäuser bei den Arbeitszeiten über Schichtmodelle organisiert. Um nicht in Personalnot zu geraten, werden von den Kliniken aber immer öfter familienfreundliche Lösungsmodelle angeboten, die man als Assistenzarzt oder Assistenzärztin in Anspruch nehmen kann.

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Als ich ein Teenager war und mich nicht entscheiden konnte, ob ich nun Volleyball spielen, Schwimmen gehen, noch ein Musikinstrument lernen oder alles zusammen nach der Schule machen wollte, sagte mir meine Mutter: “Zeit hast du so viel, wie du brauchst. Zeit ist dehnbar.”

Damals war mir das rätselhaft. Zwischen Schule und Hobbys war ich eher “auf der Suche nach der verlorenen Zeit”, als dass ich meine Zeit wie einen Kaugummi dehnen konnte. Mittlerweile aber, seitdem das Leben mich mit Wörtern wie Effektivität, Prägnanz oder Priorisieren bekannt gemacht hat, wird mir immer klarer, was meine Mutter meinte.

Zu diesen Wörtern habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits sind sie für mich Ausgeburten eines Zeitgeistes, indem mit “Eisenhower-Matrizen” alles priorisiert und auf Effektivität kondensiert wird. Es bleibt keine Zeit für kreatives Nichtstun, kein Raum, um die Seele baumeln zu lassen. Und mittlerweile weiß keiner mehr so recht, warum wir uns so beeilen, wenn wir doch dabei das Leben zu genießen vergessen.

Andererseits liebe ich diese Wörter, da sie mir Zeit sparen und somit Freiheit geben. Mit ihrer Hilfe kann ich lästige aber notwendige Dinge schnell erledigen. Die gesparte Zeit nutze ich dann für Beschäftigungen, die mir Freude bringen. Ohne sie könnte ich meinen Alltag mit Familie, Haushalt und Studium niemals unter einen Hut bringen!

Jetzt wo ich selber Mama bin, wird mir also klar, was meine Mutter meinte. Und wenn ich so zurückdenke, wie sie das sagte, erinnere ich mich immer besser an die Szene: Sie stand am Bügeleisen, guckte Nachrichten, in der Küche köchelte das Abendessen und gleichzeitig antwortete sie auch noch sinnhaft auf die Fragen ihrer Teenager-Tochter. Das ist der Kaugummi.

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