Flüchtlinge: Gut versorgt – dank großer Hilfe

Weit mehr als 200.000 Menschen haben in diesem Jahr in Deutschland Asyl beantragt. Pragmatismus und viel freiwilliges Engagement – auch von Medizinstudierenden – sorgen dafür, dass die medizinische Versorgung der Flüchtlinge relativ gut funktioniert.

Ärzte

Die medizinische Versorgung von Flüchtlingen klappt dank großer Hilfe – auch von Studenten. | nyul - Fotolia

Nach Wochen und Monaten auf der Flucht kommen sie oft hungrig, durchgefroren und erschöpft in den Notunterkünften an. Dort wird sich um die Flüchtlinge gekümmert – auch medizinisch. Beim Screening und der Erstversorgung Asylsuchender sind insbesondere die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder gefordert. München war hier überproportional betroffen. Die Menschen, die am Hauptbahnhof ankommen, sind oft körperlich geschwächt. „Viele von ihnen sind dehydriert, übermüdet oder haben Wunden, die versorgt werden müssen“, berichtet Peter Aicher, Geschäftsführer der Ambulanz Aicher München, dessen Organisation mit dem medizinischen Erstscreening der Flüchtlinge durch die Stadt München beauftragt wurde.

Die Flüchtlinge, die in München bleiben, beziehen ihr Übergangsquartier in der Erstaufnahmeeinrichtung Bayernkaserne. Dort leben zurzeit circa 1.200 Flüchtlinge. Über ihre medizinische Betreuung informierten sich vor kurzem die Menschenrechtsbeauftragten der Landesärztekammern. Sie besuchten die Praxis der „Refudocs – Verein zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und deren Kindern“ auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung.

Sprachliche, kulturelle und bürokratische Hindernisse

Die kurative medizinische Versorgung bereitet den Flüchtlingen oft Probleme. So sei der Zugang zum Gesundheitswesen für die Betroffenen mit sprachlichen, kulturellen und bürokratischen Hindernissen verbunden, sagt der Kinderarzt und Initiator von Refudocs, Dr. med. Mathias Wendeborn. In Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Sozialministerium und der Regierung von Oberbayern habe man daher ein neues Konzept entwickelt, das den Besonderheiten der Migrantenmedizin auf verschiedenen Ebenen Rechnung trage.

In der Praxis der Erstaufnahmeeinrichtung werden nach Auskunft Wendeborns täglich etwa 50 bis 70 Patienten behandelt. Das Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Bayernkaserne sei um Container erweitert worden, so dass in den Bereichen Allgemeinmedizin, Gynäkologie, Psychiatrie und Pädiatrie jeder Facharzt die Möglichkeit habe, in einem eigenen Sprechzimmer unter Wahrung der Privatsphäre die Patienten zu behandeln. Unterstützt wird Refudocs auch von Famulanten, zum Beispiel von Stefan Hollatz, der an der Technischen Universität München im siebten Semester Medizin studiert. „Ich konnte den Ärzten beispielsweise bei der Dokumentation helfen. Dadurch hatten sie dann mehr Zeit für ihre Patienten.“ Er habe allen Ärzten auch bei der Anamnese und den körperlichen Untersuchungen assistiert. „Nur bei den Gynäkologinnen bin ich aus Respekt, vor allem vor den arabischen Patientinnen, nicht gewesen.“

Praxisgegenstände wurden gespendet

Die Praxisgegenstände seien von Ärzten gespendet worden, die Einrichtung stamme von Ikea, berichtete Wendeborn. Seit Anfang September sei auch eine Dermatologin vor Ort, die die Flüchtlinge auf unversorgte Hautinfektionen, Wunden und Verletzungen untersuche und behandele. Schwierigkeiten könnten die Sprachprobleme der Flüchtlinge bereiten. Die meisten Patienten sprächen kein Deutsch, häufig verstünden sie auch kein Englisch. Zu den Sprechzeiten seien daher immer ein bis zwei Dolmetscher vor Ort. „Wir können auf den gesamten Dolmetscherpool der Stadt München zurückgreifen und haben zusätzlich noch ein eigenes Netzwerk von Dolmetschern“, betont Wendeborn.

Medikamente werden auf Privatrezept verordnet, sind aber von der Zuzahlung befreit, sofern Stempel und Kostenstelle, wie mit dem Vertragspartner vereinbart, angegeben sind. Mit Genehmigung des Sozialministeriums habe man das Dispensierrecht der Apotheken insofern aufgehoben, als OTC-Medikamente ausnahmsweise in kleinen Mengen zur Akutversorgung ausgegeben werden dürfen. „Auf diese Weise können wir den Patienten bei Zahnschmerzen oder Muskelverspannungen Schmerzmittel mitgeben, ohne dass sie erst zur Apotheke gehen müssen.“

Zusätzliche medizinische Versorgung

Nicht zuletzt kann Refudocs Wendeborn zufolge auch Neid und Missgunst bei der ortsansässigen Bevölkerung verhindern, „weil bedarfsgerechte zusätzliche medizinische Versorgung entsteht, die nicht in Konkurrenz zu den Kassenversicherten tritt“. Wendeborn kann sich vorstellen, dass das System in andere Städte exportiert werden könnte.

Und Hollatz zieht ebenfalls ein überaus positives Resümee: „Die Tätigkeiten waren sehr vielfältig, und es herrschte bei den Refudocs immer eine gute, wertschätzende Grundstimmung. Es war für mich auch interessant zu sehen, wie die verschiedenen Ärzte mit unterschiedlichen Krankheitsbildern umgehen.“ Hollatz geht davon aus, dass die Arbeit mit Flüchtlingen „ein Teil unserer Zukunft wird“. Deswegen hält er es für sinnvoll, aber auch bereichernd sich mit deren kultureller Vielfalt zu beschäftigen.

Ähnliche Erfahrungen hat Linda Avena gemacht. Die Medizinstudentin im siebten Semester an der Ludwig Maximillians-Universität in München engagiert sich bereits seit 2012 bei MigraMed München, einer von Medizinstudenten gegründeten Initiative, die sich für die Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Asylbewerbern einsetzt. „Wir sind derzeit etwa 100 aktive Helfer, begleiten Flüchtlinge zu Arztterminen und helfen mit unserem medizinischen Hintergrundwissen bei der Umsetzung von Therapieplänen“, erläutert sie gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt Medizin studieren. Diese Hilfe würde dankbar angenommen, denn häufig seien die zuständigen Sozialarbeiter überfordert. Hilfe wird jedoch nicht nur in München benötigt: „Vielerorts in Deutschland gibt es Medi-Büros, bei denen man mitarbeiten kann“, weiß Avena. Beispiel zwei: Köln, Herkulesstraße. Das ehemalige Straßenverkehrsamt der Stadt liegt zwischen Autobahn und Zubringer. Dort, wo früher die Autos der Besucher parkten, stehen jetzt Bänke in der Sonne, zwei kleine Blumenbeete sind frisch angelegt. In den ehemaligen Amtszimmern wohnen zurzeit gut 600 Männer, Frauen und Kinder, die in Deutschland auf Asyl hoffen. Die Notaufnahmeeinrichtung ist die größte der Stadt Köln.

Ansturm nicht leicht zu bewältigen

7.800 Flüchtlinge versorgte die Kommune zurzeit, deutlich mehr als doppelt so viele wie im Oktober 2013, sagt Dr. med. Anne Bunte, die Leiterin des Kölner Gesundheitsamtes. Die meisten Menschen stammten aus Syrien, aus dem Kosovo, Albanien, Eritrea und Somalia. Unterkünfte wie die in der Herkulesstraße oder ein umfunktionierter Baumarkt im Stadtteil Porz sind nötig, weil der Ansturm der Flüchtlinge anders nicht zu bewältigen ist. Ziel ist es, dass die Menschen dort nur für kurze Zeit untergebracht werden. Doch Wohnraum ist knapp, und angesichts der großen Zahl der Neuankömmlinge verlängert sich die Wartezeit auf eine eigene Wohnung.

Dr. med. Karin Satow gehört dem Pool von zehn Ärztinnen und Ärzten an, die regelmäßig in der Herkulesstraße Dienst tun. Die Kinderärztin führt eine Einzelpraxis im äußersten Westen von Köln. „Weil es hier keine Flüchtlingsunterkunft gibt, habe ich wenig mit Flüchtlingen zu tun“, sagt die 54-Jährige. „In der Herkulesstraße kann ich mich wenigstens ein bisschen in deren Versorgung mit einbringen.“ Im Prinzip behandelt sie im Container dieselben Erkrankungen wie auch in der Praxis. Am häufigsten kommen Kinder mit Erkältungen und Fieber. Satow impft und führt Vorsorgeuntersuchungen bei Neugeborenen und Säuglingen durch.

Um medizinische Leistungen in Anspruch nehmen zu können, müssen die Flüchtlinge einen Krankenbehandlungsschein vorlegen. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist das Leistungsspektrum allerdings eingeschränkt. Wie kommt man damit als Ärztin zurecht? Satow sieht da für sich durchaus Handlungsspielraum. Sie hat zum Beispiel in der Herkulesstraße ein Kind mit Mukoviszidose betreut, das dort ohne Medikamente angekommen war. Zur weiteren Diagnostik und zur Einstellung auf neue Arzneimittel wollte sie das Kind in die Klinik einweisen. „Das musste erst vom Sozialamt genehmigt werden“, sagt Satow. „Das hat zwar lange gedauert, aber dann doch funktioniert.“ Oft mache es ja auch Sinn, dass Dinge vorab genehmigt werden müssten, beispielsweise wenn Eltern für ihr Kind einen Rollstuhl oder einen speziellen Kinderwagen benötigten.

Als Student mithelfen

Von Medizinstudierenden gegründete Initiativen, wie beispielsweise Migrantenmedizin Regensburg e.V. und MigraMed München, setzen sich für die Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Asylbewerbern ein und suchen aktive Helfer. Die Studierenden dürfen aufgrund der fehlenden ärztlichen Approbation noch nicht selbst praktizieren, helfen aber Flüchtlingen, Arzttermine zu bekommen, begleiten diese dorthin, kümmern sich um die Umsetzung von Therapieplänen und vieles mehr.

Viele deutsche Städte haben weitere nichtstaatliche Anlaufstellen: Medibüros, Medinetze oder Medizinische Flüchtlingshilfe. Medizinstudierende als Mitarbeiter sind auch dort meist mehr als willkommen. Medinetze sind Menschenrechtsinitiativen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen zu verbessern, die ansonsten ganz oder teilweise von der medizinischen Versorgung ausgeschlossen wären. Sie vermitteln in Sprechstunden medizinische Hilfe für Flüchtlinge und MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus. In persönlichen Gesprächen, bei denen medizinisches Hintergrundwissen von Vorteil ist, stellen sie fest, durch welche Fachärzte eine Behandlung am besten begonnen werden sollte. Anschließend erfolgt die Vermittlung an Ärztinnen und Ärzte, die sich bereiterklärt haben, Flüchtlinge und Migranten anonym und kostenlos oder kostengünstig zu behandeln. Zudem vermitteln sie Übersetzer oder übersetzen selbst.

Linkliste: Wo kann man helfen?

Quelle: Dieser Beitrag ist in Heft 4/2015 von Medizin Studieren, dem Magazin des Deutschen Ärzteblattes für Studierende der Medizin, S. 7, erschienen.

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