Nach einigen Jahren und vielen hunderten Einsätzen gibt es wenig, was mich im Rettungsdienst noch großartig überrascht. Der durchschnittliche Einsatz ist häufig Routine und nach einiger Zeit gewöhnte ich mich auch an die teilweise doch sehr außergewöhnlichen Lebensumstände, die ich ungefragt in vielen Wohnungen und Häusern zu sehen bekam.
Immer wieder jedoch kommt es vor, dass ich Einsätze erleben durfte, die sogar meine hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen kurzzeitig zum Stutzen brachten. Einer solcher Einsätze ereignete sich an einem warmen Sommerabend. Gemeinsam mit einem Kollegen fahre ich von einem Badesee zurück Richtung Rettungswache. Ein kleines Mädchen war mit dem Fahrrad gestürzt und vom hinzu alarmierten Rettungshubschrauber versorgt und weiter behandelt worden. Einige Kilometer vor unserer Heimatstadt erhalten wir einen Folgeeinsatz, schalten das Einsatzhorn und Blaulicht an und fahren los zum Einsatzort.
Abstand halten
Einige Minuten später meldet sich die Leitstelle per Funk bei uns und informiert uns darüber, dass wir dringend mit einem Sicherheitsabstand vor dem entsprechenden Wohnhaus parken und weitere Anweisungen abwarten sollen. Da mein Kollege und ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Information über ein Einsatzstichwort oder die Art des Notfalls haben, können wir nur mutmaßen, um welchen Notfall es sich handeln könnte.
Auf der Anfahrt zum Einsatzort werden wir zufällig von zwei Polizeistreifen überholt, die – wie mein Kollege vermutet – zum selben Einsatzort wie wir fahren. Kurz vor dem Ortseingang erhalten wir die Nachricht, dass es sich bei dem entsprechenden Einsatz wohl um einen psychischen Ausnahmezustand mit Waffengebrauch handelt. Wir parken mit einigen Metern Abstand zum Wohnhaus und stehen per Funk mit den Kolleginnen und Kollegen der Polizei in Kontakt. Einige Minuten später erhalten wir dann ein grünes Licht von den Polizeibeamten.
Ich greife mir den Notfallkoffer und gehe gemeinsam mit dem Kollegen in den Keller des Einfamilienhauses. Im ersten Moment sieht es nach einem ganz normalen Keller eines typischen Wohnhauses aus, nachdem wir jedoch durch eine Tür die „Werkstatt“ des Besitzers betreten, wird mir einiges klar. Der Patient sitzt auf einem Klappstuhl, zwei Polizisten direkt hinter ihm. An den Wänden und auf der Werkbank neben ihm hängen und liegen verschiedene Waffen. Angefangen bei mittelgroßen Messern bis hin zu einigen Jagdgewehren und Flinten.
Konstruktive Zusammenarbeit
Mir wird schnell klar, weshalb wir auf der Einsatzfahrt von der Leitstelle die Information erhielten, mit etwas Abstand zum Wohnhaus zu parken. Trotz der Umstände fühle ich mich nicht besonders unwohl, sondern betrachte die Situation des Patienten. Wie die Ehefrau berichtet, sei ihr Mann aggressiv und aufgebracht gewesen und habe gedroht, ihr und sich etwas anzutun. Im Hinblick auf die zahlreichen Waffen hätte diese Situation möglicherweise schnell eskalieren können.
Trotz aller Umstände und der großen Wichtigkeit des Eigenschutzes im Rettungsdienst darf nie vergessen werden, dass die meisten Patientinnen und Patienten ein gesundheitliches Problem aufweisen und bestimmte Extremsituationen häufig nur der letzte Ausweg aus einer solchen Situation sind. Ich hatte selbst in meinen Einsätzen nie Angst vor etwas, dennoch begegnet man einigen Situationen und Einsatzumgebungen mit einem gewissen Respekt. Ohne das schnelle und zielsichere Eingreifen der Polizei hätte die Situation möglicherweise ganz anders enden können. Im Zweifel siegt immer die vorausschauende und konstruktive Zusammenarbeit verschiedener Einsatzkräfte und trotz einer möglichen Gefahr geht es immer darum, den Patientinnen und Patienten bestmöglich helfen zu können.