Wie ein großes Spinnennetz spannen sich Drahtseile der Brücke von Coca über den Rio Napo. Als das Schnellboot mit 400 PS donnernd unter ihr hindurch fährt, haben die etwa 20 Insassen noch fünf Stunden Fahrt durch endloses Grün vor sich, dass nur manchmal von Bohrtürmen, Autofähren mit Tanklastern und kleinen Siedlungen durchbrochen wird. Das endgültige Ziel des Bootes liegt etwa 500 Meter von der peruanisch-ecuadorianischen Grenze entfernt mitten im Amazonasbecken: Nuevo Rocafuerte.
In Nueva Rocafuerte gibt es das einzige Krankenhaus im Umkreis von 250 Kilometern. Dr. Guzmán Bernabéu ist Direktor des „Hospital Franklin Tello“ und bietet für viele indigene Gemeinschaften im Umkreis den einzigen Zugang zu westlichen Therapiemethoden. Ein Zugang, der sehr unterschiedlich stark in Anspruch genommen wird: „Bei akuten Verletzungen, wie einer Fraktur, kommen viele Menschen eher zu uns ins Krankenhaus – selbst wenn sie dafür tagelang durch den Dschungel müssen“, erklärt der Franziskanerbruder. „Bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes hingegen, gehen sie zum Schamanen oder zum Heiler ihres Dorfes.“
Behandlung mit Drachenblut
Heiler nutzen vor allem Pflanzen des Amazonasbeckens, wie das Sangre de dragon, das Drachenblut, gewonnen aus dem Harz eines Baumens, zur Behandlung. Schamanen hingegen sind in Ecuador nicht vornehmlich für die medizinische Versorgung verantwortlich. Meist sind es weise Männer, selten auch Frauen, die in allen möglichen Lebenssituationen um Rat gefragt werden: bei der Ernte, der Familienplanung, aber auch bei Krankheiten. Der Yachak behandelt vor allem psychiatrische Erkrankungen, die nach der Vorstellung vieler Menschen hier durch böse Geister anderer Schamanen entstehen. Diese vertreiben die Yachaks durch tagelange Rieten, in denen der Patient ständig in Tabakrauch eingehüllt wird.
In Nuevo Rocafuerte gibt es eine meist friedliche Koexistenz zwischen Schamanismus und den westlichen Therapieprinzipien. Um ganz sicherzugehen, nehmen manche Patienten auch beides in Anspruch: Einmal, so Bernabéu, sei ein Patient mit Flankenschmerzen und Algurie gekommen. Er habe eine Pyelonephritis vermutet und diese antibiotisch behandelt. „Zusätzlich ging der Patient zu einem Schamanen, um die Schmerzen zu stillen. Dieser ließ ihn eine Zigarre rauchen, spie ihm eine Flüssigkeit und Rauch auf den Bauch. Die Farbe der Flüssigkeit veränderte sich. Danach war Patient schmerzfrei. Das kann ich mir bis heute nicht erklären.“
Doch manchmal entstehen auch Konflikte mit tragischem Ausgang: Einmal, so erzählt Bernabéu, wurde ein Kind von einer Schlange gebissen. Die Eltern brachten es zum Schamanen und das Kind überlebte ohne Schaden – vermutlich, weil die Schlange es nur oberflächlich verletzt hatte. Als das Kind ein weiteres Mal gebissen wurde und der Arzt ein Gegengift verabreichen wollte, machten die Eltern sich lieber erneut auf den Weg zum Schamanen. Der Junge verstarb binnen weniger Stunden.
Schamanismus als Teil einer ganzheitlichen Therapie
340 Kilometer Luftlinie, neun Stunden Bootsfahrt flussaufwärts und weitere sechzehn Stunden Busfahrt entfernt ist das Verhältnis von Schamanismus und der Medizin des Westens ein völlig anderes: In Otavalo, im Zentrum für alternative Medizin „Jambi Huasi“, versucht der Arzt Patricio Schamanismus mit indigenen, chinesischen und westlichen Heilprinzipien zu kombinieren. Er sehe darin eine wirklich ganzheitliche Behandlung seiner Patienten, erklärt er. Außerdem gebe es viele Parallelen: „Im Schamanismus gibt es das Konzept der Mal Ayre, der schlechten Luft, über die sich Krankheiten verbreiten. Dies ist gut mit der Vorstellung von Infektionskrankheiten vereinbar.“
Patricio hat zwar Medizin studiert sowie eine Ausbildung in traditioneller chinesischer Medizin und in traditioneller andiner Medizin durchlaufen, dennoch wünschen sich manche seiner Patienten einen richtigen Schamanen. Deshalb ist ein solcher Yachak ebenfalls Teil des „Jambi Huasi“.