Blut, Knochenbrüche und verbeulte Motorhauben

Unser Operation Karriere-Blogger Laurin wird häufig gefragt, ob es bei seinen Einsätzen im Rettungsdienst nicht oft „blutig" zugeht und wie er damit umgeht. Dabei kommt das eigentlich nur selten vor. Für Laurin sind es eher die unspektakulären und manchmal skurrilen Einsätze, die in Erinnerung bleiben.

Laurin Gerdes studiert im 7. Semester an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und arbeitet seit 2018 nebenher im Rettungsdienst. Parallel zum Studium hat er zusammen mit einem Freund die E-Learning-Plattform fracto gegründet und engagiert sich im Hartmannbund. | privat/DÄV

Triggerwarnung: In diesem Text geht es unter anderem um das Thema Suizid". Bei manchen Menschen kann das negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist. Bei Suizidgedanken ist die Telefonseelsorge rund um die Uhr kostenlos unter 0800 1110111 und 0800 1110222 erreichbar.

Eine weitere Schicht steht an, diesmal ein Wochenenddienst. Meistens sind Wochenend-Schichten recht entspannt, was die Einsatzfrequenz angeht, doch mit einiger Zeit beim Rettungsdienst hört man auf, sich Gedanken über das mögliche Einsatzaufkommen zu machen. Häufig kann man darauf sowieso keinen Einfluss nehmen und manchmal klingelt der Melder eben fünf Minuten vor Dienstende. Doch heute beginnt der Tag ruhig und es bleibt, wie so oft, Zeit für Kaffee, Kuchen und den einen oder anderen dummen Spruch mit den Kolleginnen und Kollegen. Mein Kohlenmonoxid-Messgerät, welches zur persönlichen Schutzausrüstung gehört und leider von vielen Kolleginnen und Kollegen nur stiefmütterlich am Körper getragen wird, fällt zu Boden. Genervt hebe ich das Messgerät vom Boden auf und ziehe die Klemme fest, ehe ich es mit einem Klick wieder an meiner Hose befestige.

Blutige Notfälle?

Tatsächlich werde ich seit meiner Tätigkeit im Rettungsdienst oft gefragt, wie ich mit dem „ganzen Brutalen“ und mit all den „blutigen Notfällen“ umgehen würde. Ich muss dann immer etwas ausholen und erklären, dass es sich dabei um einen gewissen Mythos handelt. Viele Außenstehende reagieren auf meine Antwort immer etwas verwundert, wenn ich etwas sage, wie „so viele blutige Einsätze gibt es gar nicht, einprägsam sind eher die skurrilen und unspektakulären Erinnerungen“. In der Tat sind die wenigsten Notfälle im Rettungsdienst „richtige“ Unfälle, die sich blutig oder besonders brutal gestalten. Viel häufiger sind die internistischen oder beispielsweise psychische Notfälle, die gänzlich ohne Blut und zerbeulte Motorhauben auskommen.

Unser Operation Karriere-Blogger Laurin Gerdes hat im Bundesfreiwilligendienst als Rettungssanitäter gearbeitet. In seinem neuen Beitrag beschreibt er neugierige Zuschauer bei Rettungseinsätzen und wie sich diese auf die Rettungskräfte auswirken.

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So erlebe ich auch an diesem grauen Herbsttag einen Einsatz, den ich bis heute bildlich in Erinnerung habe und der sich, wie ich allzu oft antwortete, durch sein skurriles Setting in meinem Gedächtnis eingeprägt hat. Der Melder klingelt und das Einsatzstichwort lautet „Bewusstlose Person – Einfamilienhaus“. Wie so oft sind die Einsatzstichwörter nur sehr vage formuliert und durch die meldende Person via Telefon an die Notrufzentrale übermittelt. Hinter einer bewusstlosen Person kann also vieles stecken, denke ich bei der Anfahrt. Am Einsatzort angekommen, finden wir einen mittelalten Mann leblos neben seinem Auto in der Garage vor. Obwohl es Spätherbst ist, riecht es in der Einfahrt verdächtig stark nach Grill-Geruch. Bevor eine Person unserer Besatzung am Patienten angekommen ist, beginnt mein Kohlenmonoxid-Melder zu piepsen. „Komisch“ denke ich, es ist das erste Mal, dass das gelbe Messgerät sich meldet. Nach kurzer Verwirrung begreife ich jedoch blitzschnell, was der Grill-Geruch, das laufende Auto in der Garage unseres Patienten und mein piepsendes Messgerät gemeinsam haben: Ein langer Plastikschlauch an der Abgasanlage des Fahrzeugs der in das halbherabgelassene Autofenster mündet, bestätigt den Rest.

Eigenschutz geht vor!

Mit dem Notarzt im Team beraten wir kurz, welches Vorgehen im Hinblick auf die Gefahr des Kohlenmonoxids, einem farb- und geruchlosen Gas, am sinnvollsten erscheint. Der Eigenschutz geht schließlich selbst in den brisantesten Einsatzsituationen vor. Der Notarzt entscheidet, die Reanimation des Patienten in der Einfahrt des Grundstückes durchzuführen, weitere lebensrettenden Maßnahmen erweisen sich jedoch nach einer guten Dreiviertelstunde als erfolglos.

Nachdem wir uns wieder einsatzklar bei der koordinierenden Leitstelle zurückmelden und die Heimfahrt antreten, realisiere ich erst, was sich eben abgespielt hat. Innerlich danke ich meinem gelben Messgerät und mir selbst, dass ich es trotz seines seltenen Nutzens am Körper getragen habe. Mit meinem Kollegen bespreche ich, wie so oft nach einem Einsatz mit Todesfolge, das Geschehene. Das hilft häufig, die Erlebnisse und Eindrücke zu verarbeiten.

Einige Zeit später treffe ich einen Schulfreund, den ich seit meinem Abitur nicht mehr gesehen habe. Wir tauschen uns kurz über unsere Tätigkeiten aus und er fragt mich nach den eindrücklichsten Einsätzen in meiner Zeit beim Rettungsdienst. Urplötzlich steigt mir der Grill-Geruch in die Nase, als er mich fragt: „In der Notfallmedizin erlebt man doch bestimmt sehr oft blutige Einsätze, wie gehst du damit eigentlich um?“.

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