Wie ich bereits im vorherigen Blogeintrag berichtet habe, gehört die Vorklinik zu der Zeit, in der man wichtige Grundlagen für das Leben in der Klinik lernt. Damit man sich aber noch detaillierter vorstellen kann, wie das Studium in den Semestern aufgebaut ist, werde ich in den nächsten Blogeinträgen die einzelnen vorklinischen Semester vorstellen. Und los geht's!
Gelehrt wird in den Fächern Medizinische Psychologie und Soziologie, Physik, Chemie, Biologie, Anatomische Propädeutik, Medizinische Terminologie und Einführung in die Klinische Medizin.
Das Fach „Medizinische Psychologie und Soziologie“ spricht in Vorlesungen und kleinen Seminargruppen vielseitige Themen an. Wie der Name schon sagt, geht es um die psychologischen Aspekte (und Krankheiten) des Menschen und natürlich um den Menschen als soziales Wesen.
Erste Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen
Wie beeinflusst die Gesellschaft unser Handeln? Warum sterben Männer eher als Frauen? Was ist eine Depression und wie diagnostiziert man sie? Man erfährt zum ersten Mal etwas über psychische Krankheiten des Menschen, beschäftigt sich viel mit der richtigen Kommunikation zwischen Patient und Arzt, analysiert Arzt-Patient-Beziehungen und lernt den richtigen Umgang mit Patienten. Auch wenn das Fach teilweise etwas trocken war: wenn es zum Beispiel um das Auswendig lernen von Entwicklungsstufen des Kindes ging, hat man doch gemerkt, dass dieses Wissen für die Zukunft durchaus wichtig sein kann. Außerdem gab es zwischendurch kurze praktische Übungen: Es war das zweite Seminar. Ich hatte die Rolle des Arztes eingenommen, ein Kommilitone war der Patient. Diagnose: Dickdarmkrebs. Ja, und dann saß ich da, die anderen Kommilitonen schauen mich an, die Dozentin ganz vorne dabei. „Herr Müller, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass das Ergebnis der histologischen Untersuchung den Verdacht auf Dickdarmkrebs bestätigt hat.“
Irgendwie raste mein Herz, auch wenn es nur Schauspielerei war. Zum ersten Mal musste ich überlegen, wie ich jemandem eine Nachricht übermittele, die sein ganzes Leben auf den Kopf stellen könnte. Gar nicht so einfach. Aber dafür, dass es das erste Mal war, war ich mit meiner Leistung ziemlich zufrieden.
Zum Abschluss wird eine Multiple-Choice-Klausur über den Semesterstoff geschrieben, die Fortsetzung des Faches folgt dann im vierten Semester.
Auf zum nächsten Fach: Physik. Als ich noch im ersten Semester war, gab es nur eine Vorlesung, die auf das Praktikum im zweiten Semester vorbereiten sollte. Vergangenes Wintersemester wurde ein Seminar eingeführt, das zusätzlich die Grundrechenarten und das Rechnen mit physikalischen Aufgaben vertieft. Es geht grundsätzlich um alle Themen der Physik: Mechanik, Wärmelehre, Gasgesetze, Elektrizität, Atomphysik, etc. Im ersten Semester wird keine Klausur geschrieben, die Vorlesung ist freiwillig. Stattdessen müssen im zweiten Semester das Praktikum und die Klausur bestanden werden. Dazu mehr im nächsten Blogeintrag.
Schwerpunkt Chemie
Der Hauptschwerpunkt in diesem Semester liegt ganz klar bei der Chemie. Die Vorlesung ist gegliedert in die anorganische und die organische Chemie (kurz zum Unterschied: In der Anorganik geht es um die Chemie zwischen kohlenstofffreien Verbindungen, die Organik ist verantwortlich für die Chemie zwischen Verbindungen, die Kohlenstoffe beinhalten). Zur täglich stattfindenden Vorlesung gibt es jede Woche ein mehrstündiges Praktikum, dem vorher ein Seminar angeschlossen ist. Bevor man im Chemielabor irgendwelche Substanzen zum Reagieren bringt, werden vorher in kleinen Gruppen die theoretischen Grundlagen besprochen. Ist man gut vorbereitet, gibt es eine Unterschrift, ist man das nicht, geht man ohne Unterschrift nach Hause und darf am Experiment nicht teilnehmen. Hat man eine bestimmte Anzahl an Unterschriften nicht gesammelt, wird man nicht zur Klausur zugelassen und muss (häufig) den verpassten Teil im nächsten Wintersemester wiederholen.
Insgesamt werden zwei Klausuren geschrieben, einmal zur anorganischen und einmal zur organischen Chemie. Es sind Klausuren mit Multiple-Choice-Fragen, aber auch offenen Fragen. Lernt man gut, ist das Bestehen gut möglich.
Chemie war eindeutig das härteste Fach des ersten Semesters. Die Chemie für Mediziner ist sehr umfangreich, man hat das Gefühl, das ganze Chemiestudium in einem Semester zu absolvieren. Es ist einfach die Masse an Stoff, die einem neben den anderen Veranstaltungen 'aufgedrückt' wird. Aber im Nachhinein bin ich doch dankbar für diesen Druck, denn spätestens im dritten Semester muss man viel mehr Lernstoff in noch weniger Zeit in seinen Kopf kriegen. Durchhalten und am Ball bleiben, das sind die chemischen Lösungen.
Biologie: einfach und logisch
Hatte man den Biologie-Leistungskurs in der Schule, so wird man keine Schwierigkeiten mit der Biologie im Studium haben. Aber auch wenn nicht, der Stoff ist wirklich einfach und logisch. Zuerst wird auf die Zelle eingegangen, die eigene Organellen besitzt und dadurch spezifische Aufgaben erfüllt, ihre Teilung und ihr Tod werden beleuchtet. Außerdem gibt es einen kleinen Einblick in die Genetik. Die Vorlesung wird von einem Praktikum begleitet, in dem man das Mikroskopieren und Anfertigen von Präparaten beigebracht bekommt. Abschließend gibt es eine MC-Klausur mit 30 Fragen. Teil 2 der Biologie kommt dann im zweiten Semester.
Das Fach „Anatomische Propädeutik“ soll einen im ersten Semester bereits neugierig machen auf den Präp-Kurs im dritten Semester. In den wöchentlich stattfindenden Seminaren mit Studierenden als Tutoren werden die Knochen und Gelenke mit ihren stabilisierenden Bändern und einigen klinischen Aspekten besprochen. Leider ist es bei vielen so gewesen, dass durch den Chemie-Lerndruck das Fach etwas zu kurz kam. Auch wenn man ohne Vorbereitung dem Tutorium folgen konnte, konnte man unvorbereitet keinen Mehrwert erreichen. Am Ende des Semesters wird auch hier eine Klausur geschrieben. Wenn man diese Klausur besteht, so entfällt das erste Testat für den Präparierkurs im dritten Semester.
Die Lateiner unter euch werden es mit der Medizinischen Terminologie nicht schwer haben. Hier werden (ca. 350) wichtige medizinische Begriffe gelehrt, außerdem kriegt man einen kleinen Einblick in die Medizingeschichte. Ah ja, und es wird dekliniert, dekliniert, dekliniert. Das Fach ist wirklich Grundlagenwissen für unser späteres Fachchinesisch. Nach einer bestandenen Klausur, die aus offenen Fragen besteht, ist man in der Lage, Wörter wie „Appendektomie“ in ihre lateinischen und griechischen Stammwörter zu zerlegen, um so auf ihre Bedeutung zu kommen.
Einführung in die klinische Medizin
Und damit die Klinik in der Vorklinik nicht zu kurz kommt, gibt es eine kleine Einführung in die klinische Medizin. Wir haben uns einmal in der Woche um 8 Uhr morgens auf dem Venusberg getroffen, um FachärztInnen zu lauschen, die ihre Fachbereiche vorgestellt haben. Neben trockenen Frontalvorlesungen gab es ganz oft Vorstellungen von echten PatientInnen, die von ihrer Krankheit und ihrem alltäglichen Leben berichtet haben.
Ich erinnere mich dabei an einen jungen Patienten, der von den Urologen vorgestellt wurde. Zuvor wurden von ihnen die theoretischen-anatomischen Grundlagen der Harnröhre angerissen und was mit ihr im Laufe des Lebens so schiefgehen kann. Anschließend erzählte der Patient von sich, seinen Symptomen, wie er auf die gestellte Diagnose reagiert und wie sich sein Leben nach der OP verändert habe. Sehr beeindruckend. Mir ist nach solchen Vorstellungen immer mehr bewusst geworden, was für eine große Verantwortung man für das Leben seines Patienten trägt. Eine Tatsache, der man sich schon in der Vorklinik bewusst werden sollte.
Im Großen und Ganzen ist das Studium an allen deutschen Universitäten ähnlich aufgebaut. Alle Unis sind verpflichtet, bestimmte Veranstaltungen anzubieten, die den Anforderungen des Stoffkatalogs des IMPPs (Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen) entsprechen. Ich möchte zu guter Letzt darauf hinweisen, dass die obige Vorstellung des ersten Semesters nicht jeder Universität entsprechen muss. Letztendlich sind die Unis selbst für die Organisation des Medizinstudiums verantwortlich. Nichtsdestotrotz gibt es große Überschneidungen, spätestens im gelehrten Stoff wird man keine Unterschiede finden.
Aller Anfang ist schwer, aber auch der endet irgendwann!
Andrej Weissenberger (21) studiert Medizin in Bonn und wohnt in Köln. Derzeit befindet er sich im dritten vorklinischen Semester und bereitet sich auf sein Physikum im kommenden Jahr vor.