Wenn ein Kurs einem nach dem Studium besonders gut in Erinnerung bleibt, so handelt es sich dabei in den allermeisten Fällen um den Präparierkurs (auch: Präpkurs). Der Präpkurs ist meiner Meinung nach der spannendste Kurs der Vorklinik, der in Bonn im dritten Fachsemester angeboten wird.
Die Studierenden werden in Gruppen à 10-15 Personen eingeteilt, die wiederum einem Tisch und TutorInnen zugeordnet werden. Dabei handelt es sich um erfahrene, meistens bereits in der Klinik befindliche Medizinstudierende, die die unerfahrenen Vorklinik-Studierenden beim Präparieren der Leichen unterstützen sollen. In diesen Tischgruppen finden auch die Prüfungen zu den Themen allgemeine Anatomie, Bewegungsapparat, innere Organe sowie Kopf, Hals und deskriptive Neuroanatomie statt. Mehr dazu habe ich im vorherigen Blogeintrag geschrieben.
Grundausrüstung muss selbst besorgt werden
Zum Präparierkurs gehören Handschuhe, ein Kittel, die universitätseigene Anleitung zum Präparieren sowie das Präparierbesteck zur Grundausrüstung, die jeder Studierende selbst besorgen musste.
Bevor man in den hell erleuchteten, kalten Anatomiesaal ging, musste man sich umziehen und seine persönlichen Sachen im Spind einschließen. Im Anatomiesaal verstreut warteten die TutorInnen und DozentInnen auf uns, zügig ging es zum jeweiligen Tisch, dem man zugeordnet wurde. Nach einer kurzen Begrüßungs- und Vorstellungsrunde ging es ans Eingemachte.
Auf jedem der fünfundzwanzig Edelstahl-Tische lag eine Leiche, die in weißen, in Formalin getränkten Tüchern eingewickelt war. Man konnte deutlich die Körperform erahnen, da musste der ein oder andere Studierende einen Moment innehalten. Für viele Studierende war nämlich der Präparierkurs die erste Begegnung mit einem Toten.
Erstmals mit Skalpell in der Hand
Die TutorInnen leiteten uns an, die Tücher vom Körperspender zu entfernen: So hoben wir gemeinsam die Leiche an und positionierten sie so, dass wir innerhalb der nächsten Minuten nanfangen konnten, die Haut zu präparieren. Uns allen wurde bewusst, dass es bald ernst wird und wir zum ersten Mal mit einem geschärften Skalpell in die Haut eines Menschen schneiden werden.
Nachdem wir kurz den Aufbau der Haut besprochen und die Präparierweise geübt hatten, ging es los: Im Laufe der nächsten Monate wurde der Körper des Spenders von uns komplett präpariert. Das bedeutet, dass zuerst die Haut und das Fettgewebe entfernt wurden. Anschließend wurden die Faszien von den Muskeln entfernt, Muskeln an bestimmten Stellen gekappt, der Brustkorb eröffnet, die inneren Organe dargestellt, ja sogar die Extremitäten in den Gelenken amputiert. Das alles geschah stets unter Schonung von Nerven und Gefäßen, denn diese waren genauso prüfungsrelevant wie die präparierten (und bereits entfernten) Geweben.
Besondere Begegnung, die in Erinnerung bleibt
Es ist eine besondere Begegnung zwischen Studierenden und KörperspenderInnen, gewiss eine Begegnung zwischen Leben und Tod. Es wird einem bewusst, dass das Leben vergänglich ist. Auch aus diesem Grund ist die Begegnung eine von besonderer Art: Man lernt das Leben, gleichzeitig auch den Tod zu schätzen. Ich denke, ich muss hier nicht weiter ausführen, dass jegliche Handlungen an den Körpern der SpenderInnen von großer Dankbarkeit und Respekt begleitet wurden. Aus diesen Gründen fand am Ende der Präparierkurses eine von den Studierenden organisierte Beerdigung der KörperspenderInnen statt, bei der auch viele Verwandte der SpenderInnen vor Ort waren. Auch diese Begegnung ist besonders wichtig und bleibt einem vermutlich das ganze Leben in Erinnerung.
Als Studierender und als Außenstehender muss man sich bewusst machen, dass sich die KörperspenderInnen freiwillig im Laufe ihres Lebens dankenswerterweise der Forschung zur Verfügung gestellt haben, sodass nicht nur Studierende der Human- und Zahnmedizin an ihnen lernen können, sondern auch die Forschung vorankommt. Viele Menschen denken, dass man, zumindest was die Anatomie des menschlichen Körpers angeht, alles entdeckt hat, was es zu entdecken gibt. In diesem Zusammenhang verweise ich gerne auf das Ende von 2013, in dem ein neues Band im Knie entdeckt wurde. Auch die Forschung über Heilungsmethoden von Brüchen und andere Gewebeverletzungen wird mithilfe der KörperspenderInnen vorangetrieben, deren Ergebnisse man an Lebenden im OP verwirklichen kann.
Furchtbar stechender Geruch
Nochmal zurück in den Anatomiesaal. Am gewöhnungsbedürftigsten fand ich den Geruch, den das Formalin verursachte. Die krebserregende Fixierlösung stoppt die eigenständige Zersetzung und die Fäulnis der Gewebeproben und macht diese so dauerhaft haltbar. Und genauso riecht sie auch. Es ist ein furchtbar stechender Geruch, der die Augen zum Tränen bringt und Kopfschmerzen verursacht. Die Symptome sind reversibel und verschwinden einige Stunden nach dem Kurs, aber es gibt wohl Einzelfälle in der Welt, bei denen die Beschwerden jahrelang anhielten. Aus diesem Grund müssen Anatomiesäle ein besonders gutes Lüftungsystem besitzen, was die meisten auch tun. Viele Universitäten verzichten inzwischen auf den Präparierkurs, um ihre Studierenden nicht unnötig einer Gefahr auszusetzen.
Für mich persönlich ging alles viel zu schnell. Gefühlt war ich noch ein kleines Kücken im ersten Semester und hatte nichts Anderes im Kopf als chemische Formeln. Und dann stand ich da vor einer Leiche, mit Skalpell und Pinzette ausgestattet. Wahnsinn. Die Mühe und Zeit, die ich in die Vor- und Nachbereitung des Kurses gesteckt habe, haben sich absolut ausgezahlt. In keinem anderen Kurs habe ich so viel gelernt und für die Zukunft mitgenommen wie im Präparierkurs. Ein Grund mehr, sich auf das Medizinstudium zu freuen.
Andrej Weissenberger (21) studiert Medizin in Bonn und wohnt in Köln. Derzeit befindet er sich im dritten vorklinischen Semester und bereitet sich auf sein Physikum im kommenden Jahr vor.